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Eine Agrar-Genossenschaft: Das Kartoffelkombinat baut mit den Genossenschaftsbeiträgen Gemüse an, die Ernte wird an die Mitglieder verteilt. Ein Ansatz, um das kapitalistische System zu überwinden?

Das Kombinat (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Solidarische Landwirtschaft

Nicht nach Profit, sondern nach dem Bedarf wirtschaften, gemeinschaftlich füreinander und nicht nach ökonomischen Tauschprinzipien, kurz: nicht weniger als die Überwindung des Kapitalismus ist das Ziel des Kartoffelkombinats. Das ist eine landwirtschaftliche Genossenschaft bei München, gegründet 2011: ein idealistisches Unternehmen, das sich in der realen Welt nicht nur behaupten, sondern diese Welt auch verändern will. Mit „Das Kombinat“ blickt Moritz Springer auf das größte Projekt solidarischer Landwirtschaft; er hat es fast zehn Jahre lang begleitet.

Schon in Projekt A, seinem Film über verschiedene – im weitesten Sinne – anarchistische Projekte hat Springer das Kartoffelkombinat vorgestellt; das war 2015, damals war dort noch alles erfüllt vom Aufbruchsgedanken. Hier knüpft Das Kombinat an.

Im ersten Kapitel setzt Springer auf Werbeästhetik. Er ist offensichtlich eng verbunden mit dem Kombinat, daraus macht er keinen Hehl. Und so verführt er visuell den Zuschauer, sich in die Idee des Kombinats nicht nur einzufühlen, sondern diese wohlwollend zu umschließen. Da grapscht dann ein Baby neugierig nach einer leckeren, frisch geernteten Karotte, das ist nicht nur höchst appetitlich, sondern auch noch moralisch gut, weil: erstens Bioanbau, zweitens Gemeinschaft, drittens: schon im jüngsten Alter begreifen die Kleinen, wo das Essen herkommt.

Es geht um Wertschätzung für das Wachsen, um Fairness in der Bezahlung, um das große gemeinsame Ziel, etwas zu tun, um die Welt zum Besseren zu wenden. Zunächst ein paar Dutzend, dann ein paar Hundert Haushalte der Region werden Teil der Genossenschaft; kaufen Anteile am Projekt und erhalten dafür regelmäßig Gemüsekisten: das, was mit ihren Investitionen in ihrem Namen angebaut wurde, das für sie geerntet wurde. Der Konsument ist zugleich der Produzent: regional und Bio, erwirtschaftet ohne Profitinteressen. Der Markt als Mittelpunkt des kapitalistischen Systems soll ausgehebelt werden.

Es geht nicht mehr um Angebot und Nachfrage, sondern um Erzeugen und Nutzen: Das ist die große Vision, und auf jeden Fall in kleinerem Rahmen funktioniert dieses System. Doch Simon Scholl und Daniel Überall, die Gründer des Kartoffelkombinats, denken weiter, denken größer; Springer begleitet sie, und ihr Weg führt in die Krise. Ist diese unausweichlich?

Die Zusammenarbeit mit der Gärtnerei, in die sich das Kombinat in den ersten Jahren eingepachtet hat, zerschlägt sich; das Kombinat erwirbt eigenen Grund und Boden, die Produktionsmittel gehören nun tatsächlich der Genossenschaft – die sich dafür allerdings erweitern muss. 1500 Mitglieder sind notwendig. Man kann sich damit nicht mehr persönlich kennen. An diesem Punkt, wenn das Persönliche nicht mehr möglich ist, zeigt sich die Kraft eines Wirtschaftssystems: Der Einkauf im Laden ist anonym; die Investition in eine künftige Ernte basiert dagegen stark auf Vertrauen in die Individuen.

Was, wenn die Anonymität in diesen Ansatz Einzug hält?  Oder: Was ist mit all den anderen Initiativen für solidarische Landwirtschaft, die es in Deutschland gibt? Wie kann man sich verknüpfen? Muss man Einzelkämpfer bleiben? Woher die Energie nehmen für den laufenden Betrieb und das Netzwerk und die Zukunftsvision?

Es zeichnet Das Kombinat aus, dass der Film nicht beim positiven Porträt verharrt, sondern weitergeht, dass er auch tiefer blicken kann, in die unterschiedlichen Richtungen, die Simon und Daniel einschlagen wollen, in die Verwerfungen, die sich mit dem Wachstum ergeben, in die Animositäten, Misstrauen und Lagerbildung. So entwickelt Springer seinen Film immer weiter entlang der Geschichte des Kartoffelkombinats, zeigt, wie sich die Wege verzweigen können, selbst, wenn man dasselbe Ziel im Auge hat. Blickt genau hin auf die Dynamiken und erzeugt so das komplexe Bild einer Gemeinschaft, die das Neue und Andere wagt. Die sich aufmacht ins Ungewisse jenseits der Marktwirtschaft. Die weiß: Das Risiko lohnt.

Das Kombinat (2023)

Über neun Jahre begleitet der Dokumentarfilm das Kartoffelkombinat aus München auf seinem Weg zur größten solidarischen Landwirtschaft in Deutschland. Mit dem Gemüseanbau treiben die beiden Gründer aber eine viel größere Idee voran: eine Alternative zur kapitalistischen Produktionsweise zu finden. Doch der Weg dorthin ist steinig und plötzlich steht das Projekt kurz vor dem Scheitern. (Quelle: Filmfest München)

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Meinungen

Franziska Frühholz · 06.03.2024

Sehe mir heute Abend: Das Kombinat an.
Bin schon sehr neugierig