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Kommentar

Gleichzeitigkeiten: Der Diskurs über „The Zone of Interest“

„The Zone of Interest“ ist ein herausfordernder Film. Sebastian Seidler und Benjamin Johann wünschen sich eine tiefgreifendere Auseinandersetzung mit der Komplexität des Films. Ein Kommentar.

Meinungen
Zone of Interest

Der gerne in Filmkritiken getroffene Feststellung, ein Film sei wichtig, gar für unsere Gegenwart von allergrößter Bedeutung, wohnt eine seltsame Spannung inne. Es herrscht ein Ungleichgewicht zwischen der behaupteten Bedeutung und dem tatsächlichen Diskurs, wie er in der Öffentlichkeit geführt oder vielmehr eben nicht geführt wird. Filme werden registriert, kritisch verarbeitet und in der Folge abgeschlossen: Der Text ist geschrieben, das Urteil in der Welt. Zweifellos ist „The Zone of Interest“ ein Film von enormer Wichtigkeit, was sich schon daran zeigt, dass er sein Publikum findet und Menschen in das Kino zieht – bemerkenswert, bedenkt man dessen Unzugänglichkeit und kompromisslose Ästhetik.

Selbstverständlich wird über den Film geschrieben. Sehr viel sogar. Viel zu selten aber miteinander. Eine wirkliche Debatte entsteht nicht. Jetzt, nach dem Gewinn des Oscars für den Besten fremdsprachigen Film, kann man auch weitergehen, sich den kommenden Filmen zuwenden. Was in diesem Zusammenhang jedoch noch viel schwerer wiegt, ist das Ausbleiben einer Reflexion darüber, wie sich dem Film angenähert wird. Ohnehin ein großes Problem der Kulturkritik, die sich viel zu sehr der Form der Kritik anbiedert, wie sie vom Feuilleton oder im Filmjournalismus allgemein gefordert wird: Es geht kaum je darum, was ein Film für einen Text verlangt; der Text stülpt sich über die Bilder.

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Wir haben den Eindruck, dass ein Großteil der Kritik zu The Zone of Interest sich an jener Linie abarbeitet, die sich ausgehend von Lanzmanns Shoa ziehen lässt: Thematisiert wird, auf die eine oder andere Weise, die ethisch-moralische Frage nach der Darstellbarkeit des Undarstellbaren. Getrieben durch, wie der französische Philosoph Jacques Rancière es formulieren würde, den paradoxen Wunsch, es gäbe noch diese Ausnahme der Darstellung, diese einzige Form des Respekts, die der Einzigartigkeit des Ausnahmeereignisses angemessen wäre. Lukas Foerster merkt im Filmdienst an, dass der Film, wenn auch aus anderen Gründen als Hedwig Höß, besessen von der Vision der Idylle neben dem Konzentrationslager sei. Gerade diese Paradoxie reflektiere der Film nicht. Die Kritik neigt sich in die gleiche Richtung, wie bei Patrick Holzapfel, der im Perlentaucher Glazer unterstellt, er unterliege der visuellen Faszination seiner eigenen Reduktion, tappe somit in die Falle der Repräsentation: Es wiederhole sich lediglich die kalte technokratische Weltsicht in der Banalität des Alltags. Der Film, ein einziges Bemühen um intellektuelle wie moralische Souveränität, der in diesem Bemühen glatt seine Menschlichkeit vergisst.

Auf der anderen Seite konstatiert Jörgen Kiontke bei Filmgazette, dass das Aussparen des Leids der Opfer, das Ausblenden der Menschen als Individuen, keine Kunst, sondern vielmehr Eskapismus sei und der Film daher scheitere. Was aber, wenn es Glazer gar nicht um eine ethisch-moralische Haltung gegenüber den Opfern und auch gar nicht so sehr um die Täter und die Banalität des Alltags geht? Was, wenn vielmehr eine andere Sache überhaupt erst durch das Aussparen zum Erscheinen gebracht werden soll, die wir zu selten in den Blick nehmen?

Wir stellen folgende Perspektive in den Raum: The Zone of Interest erzählt nicht von der Banalität des Bösen, der Idylle und der bürgerlichen Kälte einerseits und andererseits dem Grauen hinter der Mauer. Es geht in dieser grandiosen Zumutung um die Gleichzeitigkeit all dieser Dinge, deren Unerträglichkeit und Ambivalenz wir sofort wegsortieren müssen. Simon Rothöhler ist auf der richtigen Spur, wenn er bei Cargo schreibt, dass dem Film vielmehr an dem gespenstischen Gewöhnlich- und Hintergründigwerden der Shoah gelegen ist, während diese stattfindet.

Das Nachdenken über den Film schließt zu schnell, zieht voreilig Schlüsse aus dem Gesehenen oder den Film in fixierten Bildern ab, klappt die Bilder zu. Fertig, gebändigt, aus. Es wird angenommen, man habe es bei The Zone of Interest mit einer Haltung des Verstehens zu tun: Ich, Jonathan Glazer, habe verstanden und einen Weg gefunden, das Grauen auf ethisch korrekte Weise auf der Leinwand zu bannen. Wir halten dem entgegen: Der Film ist eine Offenheit, die sich an die Zuschauer*Innen richtet und den Blick, auch jenen des Gedenkens, auf sich selbst zurückwendet. Erinnern wir, gedenken wir der Vergangenheit richtig? Vergessen wir darüber den Blick auf die Gegenwart, der uns aus der Zukunft entgegeneilt?

Wir möchten hier gar nicht zur großen Interpretation ansetzen, sondern drei ausgewählte Szenen oder Aspekte aufgreifen und eröffnen.
 

1.    Anfang

Menschen an einem malerischen See inmitten saftig grüner Wiesen und Wälder. Keine Spur von Eile. Dafür Ruhe und Gelassenheit: eine Idylle. Nehmen wir an, wir wüssten nichts über Glazers Film und die historischen Bezüge. Dann könnten die Einstellungen dieser ersten Szene nach der bildlosen Ouvertüre die Eindrücke eines Films sein, der ganz im Geiste des poetischen Naturalismus eines Films wie Menschen am Sonntag steht.

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So heißt der deutsche Film aus dem Jahre 1930 der späteren Ikonen Robert und Curt Siodmak, Edgar Ulmer und Billy Wilder. Ein Film, der das Bild eines gänzlich anderen Deutschlands zeigte – vor dem Krieg. Doch der Nationalsozialismus und die Flucht ins Exil verzweigten die Geschichte in andere Richtungen. Und die Menschen am Sonntag fanden sich bald schon in einer anderen Realität wieder. Die gezeigte Idylle in Zone of Interest ist kontaminiert. Durch eine Gleichzeitigkeit?
Was die einen als Paradies begreifen, ist mit tödlicher Konsequenz angeeigneter Lebensraum. Wie Tomer Dotan-Dreyfus im Neuen Deutschland schreibt, darf Erinnerungskultur unter diesen Bedingungen nicht nur Auschwitz sein. Sie liegt auch in den Häusern, in den Gärten. Sie durchzieht die Sonntagsausflüge, die scheinbare Normalität, wirksame Illusionen und Versprechen, die nur zu haben waren und sind, wenn man sich in der immerwährenden Gleichzeitigkeit des Schreckens eingerichtet hat. Was sagt das über das heute? Gibt es wirklich diese Banalität des Bösen? Oder ist es nicht der Mensch, der eine grausame Banalität ist?

 

2.    Titel

Patrick Holzapfel kritisiert, dass der deutsche Verleih den Titel nicht übersetzt hat. Statt des historischen Begriffs Interessengebiet, ein grausiger Euphemismus der SS für das Sperrgebiet um das Lager Ausschwitz, habe man den gefälligeren englischen Ausdruck Zone of Interest verwendet. Aber sollte man den Titel wirklich lediglich in dieser historischen Engführung lesen? Die Mehrdeutigkeit des Films beginnt bereits im und durch den Titel.
Zone of Interesse, Zone des Interesses: Interesse ist Anteilnahme, Aufmerksamkeit, Neugier, Offenheit. Substantivierung des lateinischen interesse (dazwischen sein, verschieden sein, gegenwärtig sein, Anteil nehmen). Interesse hat auch einen rechtssprachlichen Gebrauch im Sinne von Eigennutz oder Zinsen, also eine Dimension, die den Anderen instrumentalisiert, ihn tendenziell aus dem Interesse verdrängt, und etwas von ihm zum eigenen Vorteil möchte oder aneignet.
Zone, das ist ein Bereich des Übergangs zwischen den Grenzen und der Übergang ist die Mischung. Nicht Paradies hier und Hölle dort, sondern Gleichzeitigkeit und gegenseitige Bedingung. Die Täter auf der einen, die Opfer auf der anderen Seite. Diese Trennung lässt sich nicht vollziehen. Die Asche ist im Fluss, in der Luft, sie nährt die Blumen, an denen andere sich erfreuen, sie düngt das Gemüse, das gegessen wird.

 

3.    Blick in die Zukunft

Da steigt Höß die Treppe hinunter. Dunkel und Licht wechseln sich ab und sind im Bild doch eine Gleichzeitigkeit. Er würgt, erbricht aber nicht. Etwas drängt aus diesem Körper nach außen. Doch keine Selbsterkenntnis, kein Eingeständnis. Oder ist es unser wünschender Blick, der eben diese somatische Reue herbeiwünscht. Man könnte an das Ende von Joshua Oppenheimers The Act of Killing (2012) denken. Dort überkommt einen ehemaligen Folterer und Mörder das Würgen, als er seine Taten zu reflektieren beginnt. Die Gleichzeitigkeit ist ein Würgen, das Aufsteigen des Mageninhalts und das gleichzeitige Zurückhalten und Beherrschen.

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Dann allerdings blickt Rudolf Höß durch einen Flur in eine Zukunft, die unsere Gegenwart ist. Die Zeit des Nationalsozialismus, die Vergangenheit, wird über den Sprung in das heutige Auschwitz-Museum mit unserer Gegenwart verbunden. Reinigungskräfte säubern Glasscheiben, hinter denen bspw. Kleidung von Ermordeten ausgestellt werden. Scheiben trennen und verbinden, der Blick kann passieren. Begreifen im Sinne von Anfassen ist nicht möglich und die Scheiben müssen sauber sein, sodass der Blick nicht gestört oder verzerrt wird. Aus der Mauer sind Scheiben geworden. Klarheit.
Geht es Glazer hier um die Banalität, die sich von Höß ausgehend bis ins Jetzt verlängert? Oder stellt er nicht unseren Umgang mit der Vergangenheit als arretierte Vergangenheit, also diese Stillstellung infrage? Mahnt er gar einen anderen Umgang, einen Umbruch in der Gedenkkultur an?

Belassen wir es bei diesen Gedanken. Fest steht für uns: Man sollte den Film nicht zu schnell zu den Akten legen. Er stellt Fragen an uns und wir sollten ihn als eine Zäsur mit dem bisherigen Erinnern ansehen, als ein Ereignis der Infragestellung und keine Bannung der Shoa. Erinnerung wird in The Zone of Interest zum Eingedenken – Vergangenheit als nie abzuschließendes, in die Gegenwart reichendes, somit in der Jetztzeit wirkendes Ereignis –, und bleibt damit lebendige Praxis, die nicht vor Glasscheiben verharren darf, sondern den Alltag im eigenen Idyll dekonstruieren sollte, der womöglich an Mauern grenzt.

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