The Act of Killing

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Geschichtsaufarbeitung als Herausforderung

Dokumentarfilme können eine echte Herausforderung sein. Für die Zuschauer, die Protagonisten, die Filmemacher. Der Dokumentarfilm The Act of Killing stellt für alle eine immense Herausforderung dar. Und geht noch einen Schritt weiter: In letzter Konsequenz fordert der Film ein ganzes Volk dazu auf, sich seiner Vergangenheit zu stellen.
Als General Suharto mit einem Militärputsch in Indonesien 1965 die Macht an sich riss, schickte er Todesschwadronen durch das Land, die innerhalb eines Jahres mehr als 1 Millionen mutmaßliche Kommunisten, Chinesen und Intellektuelle ermordeten. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das bis heute ungeahndet ist. Denn die Mörder von einst prägen noch heute das gesellschaftliche und politische Leben, bestimmen die öffentliche Wahrnehmung, definieren Gut und Böse. Paramilitärischen Vereinigungen wie die Pancasila Youth ziehen junge Menschen an, die die alten Mörder wie Helden verehren. Die Nachkommen der Opfer dagegen wagen es nicht, sich öffentlich über ihre Traumata zu äußern.

Eine aberwitzige, an Zynismus kaum zu überbietende Realität, der der amerikanische Filmemacher Joshua Oppenheimer das erste Mal begegnete, als er 2001 für sein Filmprojekt The Globalization Tapes nach Indonesien ging. Aus einer jüdischen Familie stammend, die durch den Holocaust viele Opfer zu beklagen hat, traf er hier auf eine Gesellschaft, in der Massen-Mörder ungestraft und öffentlich mit ihren grausamen Taten prahlen. Oppenheimer begann ausführlich über den Hergang der Massaker zu recherchieren und Interviews zu führen. Während die Dreharbeiten mit überlebenden Opfern immer wieder von lokalen Behörden boykottiert wurden, posierten die Täter um so bereitwilliger vor der Kamera, gabenstolz und unreflektiert ihre Sicht der Dinge zum Besten. Der Regisseur sah sich vor der Herausforderung: Wie macht man unter diesen Umständen einen Film, der die von den Gewinnern definierte Realität durchbricht und den Blick öffnet für das Grauen dahinter?

Joshua Oppenheimer hat eine erstaunliche filmische Antwort gefunden, faszinierend in der Wirkung, ein wenig fragwürdig in der Methode. Durch einen Kunstgriff „zwingt“ er einige reuelose Täter zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit ihren Taten: Er bietet ihnen an, dass sie ihre Geschichte vor der Kamera selbst inszenieren – so wie sie sie sehen (wollen). Als Western, als Musical, als Gangster-Epos. Ganz im Stile der großen Hollywood-Filme, die Anwar Congo und seine Kumpane so lieben. Bevor Anwar als Mörder angeheuert wurde, hat er den Schwarzmarkt für Kinotickets kontrolliert. Vom schönen Schein im Kino waren es nur ein paar Schritte herüber, auf die andere Seite. Zu der Dachterrasse, auf der er hunderte von Menschen eigenhändig tötete.

Anwar demonstriert für die Kamera, wie: mit einer Drahtschlinge. Mafia-Filme hätten ihn dazu inspiriert, sagt er grinsend und präsentiert sich tänzelnd vor der Kamera. Eine Performance, die in ihrer Selbstgefälligkeit kaum auszuhalten ist. Er und die anderen Täter gefallen sich in der Überhöhung ihrer Taten. Angesichts der Abgründe, die sich dahinter auftun, ist die Fallhöhe beträchtlich. Im Laufe von The Act of Killing wird Anwars Selbstbild ins Wanken geraten. Wenn er am Ende nochmals auf der Dachterrasse vor der Kamera steht, hat er sich und das Bild, das er abgibt, nicht mehr im Griff, stattdessen würgen ihn die Erinnerungen, die ihn sonst nur in seinen Alpträumen verfolgen.

The Act of Killing ist eine zutiefst erschütternde Erfahrung, für Zuschauer und Protagonisten. Oppenheimer schlägt die Täter mit derselben Methode, mit der sie bisher ihr Gewissen ruhig gestellt haben: die Kunst der Inszenierung, das Schaffen einer eigenen Realität. Indem der Regisseur die filmischen Phantasiewelten auf seine Protagonisten zurückspiegelt, ihnen die Szenen zeigt, in denen sie ihre Taten glorifizieren, aber auch in die Opfer-Rolle schlüpfen, beginnt sich tatsächlich etwas in deren Wahrnehmung zu verschieben. Fragt sich Anwar Congo anfangs nur, ob sein Gebiss richtig sitzt und ob er seine Haare färben sollte, so hinterfragt er im Laufe der Filmarbeiten plötzlich, ob richtig war, was er getan hat. Zwischen Traum-Bildern und Helden-Phantasien bricht sich die Wirklichkeit bahn, die Täter beginnen ihre Taten zu reflektieren.

The Act of Killing spiegelt ein historisches Verbrechen und seine Gegenwart in der heutigen indonesischen Gesellschaft, zeigt Massen-Mörder als durchaus sympathische Protagonisten, schärft den Blick für Repräsentation und Realität, verhandelt die Definitions-Macht und ist sich dabei der Macht der Bilder stets bewusst. Ein packendes, schillerndes, erschreckendes Monstrum von einem Film: Surreal und enthüllend zugleich. Ein Dokumentarfilm, dessen Bilder einen so schnell nicht mehr loslassen, dessen Inhalt emotional aufrüttelt und dessen Machart die Grenzen des Dokumentarischen neu definiert.

„Beispiellos in der Geschichte des Kinos“ nennt Werner Herzog diesen Film. Zusammen mit Errol Morris (Fog of War) hat er als ausführender Produzent das Projekt unterstützt. Herzog ist für seine an Skupellosigkeit grenzende Kompromisslosigkeit beim Filmemachen berühmt bis berüchtigt, und auch Oppenheimers Vorgehensweise wirft die Frage nach der Verantwortung des Filmemachers auf, wenn er in Bezug auf eine inszenierte Massaker-Szene sagt: „Was wir nicht erwartet haben, war eine solch gewalttätige und realistische Szene; so sehr, dass sie ernsthaft angsteinflößend war für die Beteiligten, für Anwars Freunde von Pancasila Youth und ihre Frauen und Kinder.“ Hätte es nicht in seiner Verantwortung als Regisseur (nicht der inszenierten Szenen, aber des ganzen Filmprojekts, wohlgemerkt) gelegen, dieser wuchernden Inszenierung Grenzen zu setzen, in der kleine Kinder instrumentalisiert und vielleicht traumatisiert werden? Oder hat er das einfach billigend in Kauf genommen?

Das Schlagwort von der „Kamera als Waffe“ ist hier mehr als treffend. Oppenheimer setzt diese gezielt gegen die Täter ein. Und als Zuschauer wünscht man sich während des Films, dass er trifft, dass die Täter endlich begreifen, was sie getan haben, jetzt, wo ihre eigenen Kinder schreien und weinen. Später ertappt man sich bei der Frage, ob die Täter psychologische Unterstützung während der Filmarbeiten hatten. Die weinenden Kinder hat man selbst billigend in Kauf genommen. Und so entpuppt sich The Act of Killing letztendlich auf einer weiteren Ebene als erschütternd und enthüllend: Er spiegelt auch den Zuschauer.

The Act of Killing

Dokumentarfilme können eine echte Herausforderung sein. Für die Zuschauer, die Protagonisten, die Filmemacher. Der Dokumentarfilm „The Act of Killing“ stellt für alle eine immense Herausforderung dar. Und geht noch einen Schritt weiter: In letzter Konsequenz fordert der Film ein ganzes Volk dazu auf, sich seiner Vergangenheit zu stellen.
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Meinungen

henrianto · 06.08.2013

An der Zeit Jahre 1965 wurde Chinesische Indonesier einfach alle als Komunist gestempelt.

Mann musst an der Zeit vorsichtig sein, weil eine Verleundung als Kommunist zu sein, wurde den Kopf kostet