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Darling der Woche

Darling der Woche: Mädchen//Kindheit

„Aftersun“, “Tótem“ und „The Quiet Girl“ — in allen drei Filmen geht es um die Kindheit eines jungen Mädchens. Eine seltene Perspektive in der Filmgeschichte. Wir haben ein paar Perlen zusammengetragen.

Meinungen
Kindheit/Mädchen
Petite Maman / The Quiet Girl / Missverstanden

Petite Maman von Céline Sciamma

Céline Sciamma hat in ihrer Karriere einige zärtlich-sensible Filme gedreht, in denen eine weibliche Perspektive eingenommen wird. Man hätte auch das trans Drama Tomboy hier aufführen können. Petite Maman ist jedoch derart außergewöhnlich, dass er einen aus der so abgeklärten Bahn wirft. Wir alle haben sie – eine Kindheit. Und doch wissen wir oftmals gar nichts von der Kindheit unserer Eltern oder Großeltern. Sie waren einfach immer schon erwachsen, so wie sie sind. Es ist immer ein seltsamer Moment, wenn man plötzlich Kinderfotos der Eltern sieht oder von deren Kindheit erzählt wird. So wie wir immer Kinder in Bezug auf unsere Eltern bleiben — alterslos, schwebend, belastend –, so bleiben sie immer in ihren Rollen. Einzig der Körper verfällt.

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Céline Sciamma erzählt in einer Art Zeitreisemärchen von einem Mädchen, das im Wald eine Gleichaltrige trifft, die sich doch tatsächlich als ihre Mutter herausstellen wird. Diese Begegnung über die Zeit hinweg lässt eine Menschlichkeit aufsteigen, die vor allem darin begründet ist, dass wir eigentlich immer nur im Begriff sind, erwachsen zu werden. Das gelingt deshalb ganz ohne Kitsch, weil Sciamma aus der Kindheit kein süßliches Abziehbild werden lässt, sondern Kindheit ernst nimmt, ohne sie zu verklären. Ein absoluter Triumph des Kinos.

Sebastian Seidler

Mein Nachbar Totoro von Hayao Miyazaki

Von Nausicaä und Kiki über Chihiro und Ponyo bis zu Arrietty und Der Mohnblumenberg: Im Zentrum der allermeisten Filme des Anime-Großmeisters Hayao Miyazaki stehen junge Mädchen, die große Träume haben und mal in bodenständige, mal phantastische Konflikte mit ihrem Umfeld geraten. Im Falle von Mein Nachbar Totoro ist es die Krankheit der Mutter. Während die im Krankenhaus liegt, bezieht der Papa mit seinen beiden Kindern — der schon etwas reiferen Satsuki und der noch sehr jungen Mei — ein altes Haus auf dem Land. Die Hoffnung, dass die Mutter bald nachkommt, wird jedoch enttäuscht: Ihre Krankheit schlägt erneut durch. Das belastet insbesondere Mei, die zugleich dem Waldhüter Totoro begegnet, einem ebenso flauschigen wie freundlichen Riesen.

Mein Nachbar Totoro (c) Studio Ghibli

 

Was Mein Nachbar Totoro auf so wunderbare Weise zeigt, ist das Spannungsverhältnis zwischen einer harmonischen, wohlbehüteten Kindheit und einer drohenden (Familien-)Tragödie, vor der einen das persönliche Umfeld abschirmen und beschützen will. Und wie Satsuki und Mei, die natürlich clever genug sind, um hinter diesen Schleier zu blicken, das alles verarbeiten. Auf der einen Seite unbeschwertes Tollen über Wiesen und durch Wälder, auf der anderen die so tiefgreifende Angst vor dem Verlust der Mutter — erzählt in wunderschöner Bilderbuchoptik samt luftig-liebenswerter Stimmung, die dieses (für uns) so weit entfernte Gefühl von Kindheit auch ästhetisch einfängt.

Christian Neffe

Little Miss Sunshine von Jonathan Dayton und Valerie Faris

Auch wenn Little Miss Sunshine ein Ensemble-Stück ist, in dem jede Figur — vom erfolgspredigenden, aber erfolglosen Vater (Greg Kinnear) über den in einem Schweigegelübde steckenden Bruder (Paul Dano) bis zum suizidalen Onkel (Steve Carell) — ihr eigenes Päckchen zu tragen hat: Im Zentrum all dessen steht die kleine Olive (Abigail Breslin). Schließlich ist es ihr unbändiger Wunsch, an einem Schönheitswettbewerb teilzunehmen, der die Ereignisse ins Rollen bringt, die Familien auf einen Trip gehen und auf diesem all ihren emotionalen und zwischenmenschlichen Ballast verarbeiten lässt.

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Als sie schließlich ihr Ziel erreichen, Olive — im kompletten Kontrast zu ihren braven, perfekt gestylten Konkurrentinnen — eine laszive Tanz-Performance zum Besten gibt, den Saal damit in Rage bringt und schließlich ihre ganze Familie mit ihr auf der Bühne steht, dann ist das ein Moment puren filmischen Goldes. Einer, der einerseits deutlich macht, wie sehr auf all die toxischen (Schönheits-)Ideale zu pfeifen ist. Der andererseits die Wichtigkeit familiären Zusammenhalts verdeutlicht, ohne ihn zu verkitschen und in Pathos zu ertränken. Und der zeigt, dass man auch, wenn nicht gar erst recht als jüngste des Clans für jenen Zusammenhalt sorgen kann.

von Christian Neffe

Missverstanden von Asia Argento

Keine Liebe. Dafür aber eine Katze. Aria (Giulia Salerno) ist neun Jahre alt und – wie es der Titel verrät – fühlt sich missverstanden. Die Eltern sind Künstlerexistenzen, mitunter egozentrische Monster. Streit und Scheidung tönen durch die Gänge der Wohnung. Da beschließt das Mädchen zu rebellieren, sich in eine anarchistische Freiheit zu stürzen. Für eine Neunjährige ist da nicht alles angemessen. Aber im Überschlag drückt sich auch die Traurigkeit aus.

Regisseurin Asia Argento erzählt episodisch. Die 80er sind bunt und lebendig. In satten Farben erzählt die Tochter von Regie-Legende Dario Argento auch von ihrer eigenen Kindheit und mischt selbstbewusst die große Filmgeschichte darunter.

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Falk Straub schreibt in seiner Filmkritik: „Arias Vater Guido Bernadotte ist ebenso eine Reflexion Dario Argentos wie eine Hommage an Helmut Berger und Dirk Bogarde, deren Rollen bei Tinto Brass und Liliana Cavani in einer alten Rolle Guido Bernadottes in Missverstanden ihren Widerhall finden. Die Protagonistin selbst ist eine filmische Wiedergängerin geprügelter Kinder von Francois Truffauts Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) bis zu Sergio Comencinis Andrew Duncombe (Stefano Colagrande) aus dessen Film Incompreso.“ 

Missverstanden ist ein persönlicher und gleichsam unpersönlicher Film über eine Außenseiterin, über Lebenslust und Liebesdurst. Mädchen sind eben nicht harmlos. Gut so. 

Sebastian Seidler

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