zurück zur Übersicht
Darling der Woche

Luca Guadagnino: Opulenz, Rausch und Begehren

Am 24. November kommt Bones and All, der neue Film von Luca Guadagnino, in die Kinos. Der italienische Filmemacher probiert sich gerne aus, spielt mit den Genres und bleibt ständig in Bewegung. Ein Überblick über sein Schaffen.

Meinungen
Luca_Guadagnino
I am Love / A Bigger Splash / Call me by your name

Thematisch zieht sich wahrlich kein roter Faden durch das Schaffen von Luca Guadagnino. Auf dem Filmfest Zürich sagte er im Rahmen der Masterclass, dass er sehr hoffe, keinen eigenen Stil zu haben. Hätte er einen, würde er sich erschießen. Wenngleich sicherlich eine gewisse Portion Narzissmus hinter solchen Aussagen vermutet werden kann, kann man nicht von der Hand weisen, dass sich auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten zwischen den Filmen ausmachen lassen. Und doch gibt es Überschneidungen, egal wie sehr sich der italienische Filmemacher auch winden mag: Sein empathischer Umgang mit Raum und Figuren ist mindestens auffällig. Guadagnino ist ein Ästhet, der als Regisseur jede Form von billigem Psychologismus verbannt. Seine Figuren entstehen mit den Räumen, in der Art wie sie schweigen, sich bewegen oder zueinander auf Abstand stehen.

Das Rom in I am Love wird im selben Maße neu entdeckt, wie sich Tilda Swinton in diesem Film neu entdecken darf. Man kann nicht an diese Emma denken, ohne die Räume zu fühlen, die erstarrte Kälte der Villa, oder die entstehende Wärme der Seitengassen. In A Bigger Splash spitzt sich ein kompliziertes Liebesdreieck zu, und der Swimmingpool ist nicht bloß eine Referenz an den Klassiker Der Swimmingpool mit Romy Schneider, sondern auch eine räumliche Metapher auf die Liebestrunkenheit, in der man schweben, aber auch untergehen kann. Und ebenso clever lässt Suspiria die Zeit im Bühnenbild zu Architektur werden: verwinkelt, gespiegelt, geheimnisvoll. 

Guadagnino hat keine Trademarks wie ein DAvid Lynch oder ein Lars von Trier. Dennoch erkennt man seine Filme an der Art, wie er sich in seine Protagonist*Innen räumlich entäußert.

The Protagonists (1999)

Der weitgehend unbekannte Debütfilm von Guadagnino lief damals auf vielen internationalen Festivals, hat aber nie seinen Weg ins Kino gefunden. Mit der Qualität des Films hat das nichts zu tun, wenngleich man zugeben muss, dass diese eigenwillige Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm zu den weniger zugänglichen Filmen des Italieners gehört. Tilda Swinton spielt darin eine britische Schauspielerin, die gemeinsam mit einem italienischen Filmteam einem realen Mordfall und der Faszination für Mord und Mörder nachgeht: Zwei Jugendliche aus der britischen Oberschicht haben 1994 ohne ersichtlichen Grund einen Mann in einer Londoner Seitenstraße erstochen. Der Vorfall war ein großes Thema in der Presse, die sich regelrecht auf den Fall stürzte. Und mit eben diesen Dynamiken der Dramatisierung spielt The Protagonists, der sich als feinsinnige Studie über die Wirkung von Narration, Bild und Medien erweist.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Gleichzeitig wird auch der Prozess des Filmemachens selbst offengelegt und mit unterschiedlichen Genre-Elementen gespielt, die sowohl an David Lynch als auch an den Giallo denken lassen. Auffällig ist der sehr prominente Einsatz von Musik, wie es Guadagnino auch in seinen späteren Filmen zu tun pflegt. Das Spiel mit Zooms, die schnellen Schnitte ins Detail und eine Sichtbarmachung der Form ist auch bereits deutlich erkennbar. Wer seine Hände an den Film bekommt, sollte sich diesen Film nicht entgehen lassen. 

Sebastian Seidler

Melissa P. – Mit geschlossenen Augen

Guadagnino hat in der Tat den Skandalroman Mit geschlossenen Augen der italienischen Autorin Melissa Panarello verfilmt. Das Buch, damals unter Pseudonym veröffentlicht, war das Tagebuch sexueller Ausschweifungen einer Teenagerin. In Italien wurde das Werk unter dem schönen Titel 100 colpi di spazzola prima di andare a dormire – „Hundert Striche mit der Bürste vor dem Schlafengehen“ veröffentlicht. Bis heute ist umstritten, ob es sich um eine Autobiografie handelt oder alles der Vorstellungskraft Panarellos entsprungen ist.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Die Themen der Verführung und der Illusion/Lüge scheinen Guadagnino anzuziehen, jedenfalls wird er sich in A Bigger Splash erneut mit ähnlichen Themen befassen. Dabei erreicht das Erotikdrama in keinem Moment den Tiefgang der späteren Filme. Das Spiel mit der Lolita-Figur, die ihre Naivität als Waffe einsetzt, wobei es immerzu zweifelhaft bleibt, wie sehr sie die Kontrolle letztlich behält. Wer die Wirren der Pubertät aus den Augen von Guadagnino erleben will, der schaue lieber Call Me By Your Name oder eben Bones And All.

Sebastian Seidler

I Am Love (2009)

Ein Film von geradezu makelloser Schönheit; das Ergebnis einer langjährigen Arbeit, die in jedem Moment zu spüren ist. Mit I Am Love bekundet Guadagnino seine Liebe zu Luchino Visconti und zu dessen Œuvre. Insbesondere das historische Drama Der Leopard (1963) hat hier deutliche Spuren hinterlassen – und Guadagninos Inszenierung fällt nicht weniger imposant aus als bei jenem Klassiker der Filmgeschichte.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Gezeigt wird das Leben einer Mailänder Textil-Dynastie; im Zentrum steht Emma, eine perfekt anmutende Ehefrau, Mutter und Society-Lady, die eine Affäre beginnt. Neben der einnehmenden und hochemotionalen Musik des Komponisten John Adams, den edlen Kostümen und der exquisiten Ausstattung, die bei allem Prunk stets erkennen lässt, welche Kühle hier durch die Villa der Familie weht, sind es vor allem Tilda Swinton in der Hauptrolle sowie Alba Rohrwacher als Tochter, die dieses Werk zu einem sinnlichen Erlebnis machen.

Andreas Köhnemann

A Bigger Splash (2015)

Irgendwo zwischen Psycho-Thriller und Eifersuchtsdrama angesiedelt, entfaltet dieser sonnendurchflutete Film seine Kraft vor allem in der Stellung der Figuren zueinander, die alle ihre inneren Dämonen und Verletzungen verstecken. Tilda Swinton spielt die erschöpfte Rocksängerin Marianne, die sich von einer Stimmoperation erholen muss und kein Wort sprechen darf. Mit ihrem Liebhaber, dem trockenen Alkoholiker Paul (Matthias Schoenaerts), hat sie sich in einer schicken Villa auf einer italienischen Insel zurückgezogen.

Dann allerdings kündigt sich Besuch an: Harry, der ehemalige Produzent und Lebensgefährte von Marianne, bringt die Idylle ganz gehört durcheinander. Der exzentrische Brite (Ralph Fiennes) ist laut, trinkt zu viel und nutzt jede Gelegenheit, sich in den Vordergrund zu drängen. Im Schlepptau seine Tochter Penelope (Dakota Johnson), die sich lasziv am Pool räkelt, alles beobachtet und ein Auge auf Paul geworfen hat. Ob das nicht ein Teil des Plans ist? Denn Harry hegt immer noch Gefühle für seine Ex und will sie zurückerobern. Ein kompliziertes Duell aus Anziehung und Abstoßung beginnt.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Guadagnino erzeugt eine erotische Atmosphäre, ohne jemals etwas auszuspielen. Ein Erotik-Thriller ist der Film wahrlich nicht. Vielmehr dreht sich alles um Schein und Lebenslügen, die in der Konfrontation mit der Realität wie Seifenblasen zerplatzen. Mariannes Verstummen wird zur Metapher einer Frau, die zwischen zwei Männern ihre eigene Rolle verloren hat. Und Ralph Fiennes zuckt wie eine Naturgewalt durch diesen Film.

Die geheimnisvolle Zurückhaltung von Dakota Johnson ist jedoch die wahre Show in A Bigger Splash: Ihre Penelope bleibt auf halbem Weg zwischen verführerischer Schönheit und einer sich in Unsicherheiten verfangenden, fragilen Existenz stecken – ein Zwischenort, der vielleicht einsamer ist als der Grund des Swimmingpools. Was man nicht tun sollte: den Film als ein Remake von Jacques Derays Klassiker Der Swimming Pool begreifen. Damit kommt man nicht weit. Vielmehr interessiert sich Guadagnino für die Dynamiken des Begehrens und zieht Inspiration aus alten Filmen, die er lustvoll neu arrangiert.

Sebastian Seidler

Call Me by Your Name (2017)

Der Film erzählt – auf Basis des gleichnamigen Romans von André Aciman –, wie sich der 17-jährige Elio (Timothée Chalamet) im Laufe eines Sommers, den er in den frühen 1980er Jahren mit seinen freigeistigen Eltern (Michael Stuhlbarg und Amira Casar) in Norditalien verbringt, in den 24-jährigen Oliver (Armie Hammer) verliebt. Die wunderschönen Bilder, der wilde Musik-Mix zwischen Klassik, Italo-Disco-Nummern und den melancholischen Songs von Sufjan Stevens sowie nicht zuletzt die lustvollen, herrlich linkischen Tanzeinlagen sind auch bei wiederholter Sichtung absolut mitreißend.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen einen externen Inhalt von GIPHY präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Das Coming-of-Age-Drama fängt ein Begehren ein, das von der ersten Sekunde an im Raum ist und doch lange braucht, um endlich das Hervorbrechen zu wagen. Es gibt betont seltsame Momente der Annäherung und ein unfassbar tolles Vater-Sohn-Gespräch. „I remember everything“, heißt es gegen Ende, ehe uns der Film mit einer der zauberhaftesten Schlusseinstellungen der Kinogeschichte zurücklässt.

Andreas Köhnemann

Suspiria (2018)

Dario Argentos Film von 1977 ist einer der ganz großen Klassiker des Horrorgenres. Mit seiner expressiven Farbgestaltung, den in Grün- und Rottönen getauchten Räumen der Finsternis und einem wahnsinnigen Score von Goblin zieht einen Suspira in eine unheimliche Märchenwelt. Was dabei so besonders ist: Der Film wirkt brüchig, angedeutet und rätselhaft offen, wie als gäbe es in der Welt dieser Tanzschule so viel mehr zu entdecken.

Luca Guadagnino liebt Suspiria. Insofern ist seine Version der Geschichte durchaus eine leidenschaftliche Hommage, die gleichzeitig in all die unerforschten Untiefen der Geschichte vordringt. Um ein Remake handelt es sich nicht. Es ist wohl sinnvoll, von einer Art Cover wie in der Musik zu sprechen oder den Film als eine Psychoanalyse des Originals zu begreifen: Mithilfe der Bilder dringt Guadagnino in die Seele des bereits bei Argento angelegten Matriarchats, verlegt die Geschichte nach Berlin in die Zeit der Studentenunruhen und überblendet historische Schuld mit Gewalt und Tanz. Selten wurde in einem Film mit einer derartigen Anmut getötet, wenn jede Tanzbewegung im Körper einer anderen jungen Frau die Knochen zersplittern lässt: Grauen und ästhetische Form liegen hier dicht beieinander. 

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Guadagninos Film spaltet die Lager der Kritiker*Innen: Die große Liebe wollte nicht aufkommen. Vor allem Fans des Originals finden sich in der neuen Variante nicht wieder. Die Zeit wird aber zeigen, dass dieser sehr eigensinnige und eigenständige Bezug auf ein filmisches Vorbild zu den besten Horrorfilmen seiner Zeit gehören wird. Klug, traumhaft dunkel und sehr, sehr weiblich: ein poetisches Meisterwerk.    

Sebastian Seidler

Meinungen