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Interviews

Das Wunder einer Freundschaft – Im Gespräch mit Sebastian Schipper

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Nachdem er in Victoria eine Gruppe von jungen Menschen durch die Berliner Nacht schickte, begleitet der Regisseur Sebastian Schipper in seiner neuen Arbeit Roads zwei Jugendliche auf einem Trip von Marokko nach Frankreich.

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Sebastian Schipper, Fionn Whitehead und Stéphane Bak
Sebastian Schipper, Fionn Whitehead und Stéphane Bak

Roads (Kinostart: 30.05.2019) erzählt von dem Briten Gyllen (Fionn Whitehead), der während des Familienurlaubs in Marokko das Wohnmobil seines Stiefvaters stiehlt, um zu seinem Vater Paul (Ben Chaplin) nach Frankreich zu fahren. Dabei lernt er den etwa gleichaltrigen William (Stéphane Bak) kennen, der aus dem Kongo stammt und nach seinem Bruder sucht. Im Laufe der gemeinsamen Reise entwickelt sich zwischen den beiden eine Freundschaft. Andreas Köhnemann traf Sebastian Schipper in Berlin zum Interview.

 

Herr Schipper, an einer Stelle in Ihrem Film fällt der Satz „You made my day“, der eine ganz besondere Bedeutung für die zwischenmenschliche Beziehung hat, die sich zwischen den beiden Protagonisten aufbaut. Was können Sie uns zu diesem Satz sagen?

Im Film bedeutet dieser Satz, dass es uns vielleicht nicht nur dann gut geht, wenn wir ganz direkt auf der Jagd nach dem Glück sind und uns mit fassbaren Dingen versorgen, sondern dass wir uns auch einander öffnen müssen. Dass es uns auch mal guttut, wenn wir uns der Welt aussetzen.

 

Man könnte „Roads“ als buddy movie bezeichnen. Allerdings haben buddy movies oft homophobe Untertöne, indem zum Beispiel Sprüche und Witze gerissen werden, um die beiden Helden möglichst hetero wirken zu lassen. Ihr Film verzichtet erfreulicherweise auf solche Dinge.

Roads ist ein Film über das Wunder einer Freundschaft. Es geht darum, einen Seelenverwandten im Leben zu finden. Ich habe schon viele Filme über Freundschaft gemacht, weil mich das Thema fasziniert. Für mich zeichnen sich Freundschaften dadurch aus, dass man sich voneinander erzählt – wie es einem geht, was einem Angst macht, worauf man sich freut und wovon man enttäuscht ist. Und so wollten mein Co-Autor Oliver Ziegenbalg und ich das dann auch schildern. Die beiden Hauptfiguren Gyllen und William sind schon zwei gute Typen – und die haben solche Sprüche gar nicht nötig.

Fionn Whitehead und Stéphane Bak in Roads; Copyright: StudioCanal
Fionn Whitehead und Stéphane Bak in Roads; Copyright: StudioCanal

 

Der Film hat sehr emotionale Momente – und erlaubt sich diese Emotionen auch. Damit wagt man ja immer etwas, weil es schnell zu kitschig, zu pathetisch werden kann. Hatten Sie Befürchtungen, sich dem zu sehr hinzugeben?

Natürlich! Das Risiko, Roads zu machen, war für mich nicht geringer als das Risiko, Victoria zu machen. Bei Victoria habe ich nächtelang wach gelegen und hatte Angst, dass wir es nicht schaffen, einen Film in einer Einstellung zu drehen, und ähnlich ging es mir auch bei Roads. Ich dachte mir: Bin ich denn von allen guten Geistern verlassen, dass ich einen Film mache, der sich mit der Migrationssituation befasst – ich bin ja kein politischer Aktivist. Aber ich wollte eine Geschichte erzählen, die in unserer Lebenswirklichkeit stattfindet. Ich konnte nicht einfach nur zwei Leute mit irgendwelchen Drehbuchproblemen auf einen Roadtrip schicken. Und da hatte ich natürlich große Angst – entweder oberlehrerhaft ein Sozialdrama, einen Problemfilm zu machen oder das Ganze zu leichtzunehmen. Aber letztendlich ist genau das meine Lebenswirklichkeit: Ich nehme manche Dinge leicht, ich gucke auch mal irgendeinen Quatsch, ich freue mich über ein tolles Paar Sneaker oder eine neue Bar, in der es gute Drinks gibt – aber das hält mich nicht davon ab, mit meinen Freunden politische Diskussionen zu führen und viel über politische Themen zu lesen und mich damit auseinanderzusetzen. Ich bin ein privilegierter Westler, ich führe ein fantastisches Leben, habe aber dennoch ein politisches Bewusstsein, mache mir viele Gedanken und auch viele Sorgen um das, was in der Welt passiert. Und ich habe mir dann gesagt: Ich mache das jetzt so gut, wie ich es kann, ich mache einen Film, der charmant und emotional ist – und trotzdem tiefgründig.

 

Könnte man „Roads“ als einen humanistischen Film bezeichnen?

Vielleicht – allerdings nicht in einem belehrenden Sinn. Mir kommt in der politischen Diskussion zu kurz, dass wir uns persönlich voneinander erzählen. Es gibt zu viele abstrakte Thesen, man hört einander zu wenig zu.

Fionn Whitehead und Stéphane Bak in Roads; Copyright: StudioCanal
Fionn Whitehead und Stéphane Bak in Roads; Copyright: StudioCanal

 

Wie sehr haben Sie die biografischen Hintergründe der beiden Hauptfiguren ausgearbeitet und was war Ihnen dabei wichtig?

Die Familie von Gyllen aus Großbritannien ist durch eine Tragödie zerbrochen, die die meisten von uns nicht erlebt haben. Aber ich glaube, zerbrochene Familien kennen wir alle – auf die eine oder andere Weise. Das ist ein ganz starkes Phänomen im Westen, dass Familien nicht zusammenbleiben, dass alte Leute oft allein ihr Leben beenden und dass es eine totale Individualisierung gibt. William wiederum kommt aus dem Kongo. In den afrikanischen Staaten gilt sozialer Zusammenhalt ganz viel. Als Reichtum gilt, viele Freunde zu haben, eine große Familie zu haben, mit der man in Kontakt ist, und sozial kompetent zu sein. Das sind Dinge, über die ich mir auch zusammen mit den Schauspielern Gedanken gemacht habe.

 

Bemerkenswert ist, dass zwei sehr emotionale Momente des Films fernmündlich, also via Telefon, stattfinden – was ja eigentlich ziemlich „unfilmisch“ ist.

Ich glaube, das Telefon ist auch mythologisch aufgeladen, wenn man sich so nahe ist. Ich telefoniere sehr gerne mit Freunden. Man schafft es, mit Freunden im Telefonat wichtige Dinge zu besprechen, sei es als Teenager, wenn man damals ewig an der Strippe hing, oder heute als Erwachsener. Einer meiner besten Freunde lebt in den USA – und dann gibt es immer wieder diese 60- oder auch mal 90-Minuten-Telefonate, in denen wir intensiv miteinander reden. Das ist für mich Teil des Freundschaftserlebnisses, dass man das dann auch kann und will.

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Dann gibt es im Film auch noch die 20-Sekunden-Umarmung. Wie kam es dazu und wie war das beim Drehen?

Es ist erst beim Drehen entstanden, weil der wunderbare Ben Chaplin, der Gyllens Vater spielt, uns das zum Abschied gesagt hat – dass eine Umarmung 20 Sekunden dauern muss, damit Endorphine freigesetzt werden. Und das wurde dann sofort geklaut und in den Film eingebaut (lacht).

 

Können Sie abschließend noch etwas zu kommenden Projekten sagen?

Ich habe mir schon vor längerer Zeit die Rechte der Biografie einer amerikanischen Terrorexpertin gekauft. Diesen Stoff will ich als Film umsetzen. Und es gibt noch ein sehr neues Projekt, das ich in Deutschland drehen will.

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