Victoria (2015)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Berliner Nacht

Wäre die Textzeile „Atemlos durch die Nacht“ nicht schon durch Helene Fischer über Gebühr strapaziert, gäbe sie eine ziemlich perfekte Beschreibung für Sebastian Schippers Victoria ab. Wobei der Film wesentlich zwingender, packender und virtuoser geraten ist als das Gesäusel der Chanteuse. Eine Vorahnung davon bekommt man schon bei den ersten Bildern und Tönen: Ein hypnotischer Techno-Beat, dazu Stroboskoplichter, die jeden Epileptiker an den Rande eines Anfalls bringen, gleißende Helle, aus der sich erst im Laufe der Zeit eine Gestalt herausschält: Auftritt Victoria (Laia Costa), der die Kamera für den Verlauf der nächsten 140 Minuten bedingungslos folgen wird.

Victoria kommt aus Madrid und ist seit drei Monaten in Deutschland. Vielleicht ist sie ja eine jener jungen Spanierinnen, die aus Frust über die miserablen Jobaussichten ihre Heimat verlassen haben, um ihr Glück im fernen Berlin zu suchen. Jetzt aber scheinen alle Sorgen für den Moment verschwunden, ekstatisch tanzt sie zu den peitschenden Beats, will alles hinter sich lassen, will feiern. Doch es ist spät geworden bzw. früh. Um sieben Uhr muss sie das Café aufsperren, in dem sie für einen Hungerlohn jobbt, also raus aus dem Club, die Treppen hoch und aufs Fahrrad, damit sie wenigstens noch eine oder zwei Stunden Schlaf bekommt. Dann aber trifft sie die Jungs: Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski) und Blinker (Burak Yigit) haben gerade den Geburtstag ihres Kumpels Fuss (Max Mauff) gefeiert und wollten eigentlich ebenfalls in den Club, sind aber an den Türstehern gescheitert. Also geht es oben weiter. Und weil Victoria, die sie ansprechen, vielleicht noch zu aufgepeitscht ist, um Ruhe oder Schlaf zu finden, zieht sie mit ihnen los. Es wird die erste von diversen falschen Entscheidungen an diesem frühen Morgen in Berlin sein.

Denn Boxer, der im Knast war, steht in der Schuld von Andi (André M. Hennicke), der im Gefängnis seine schützende Hand über ihn gehalten hat. Und diese Schuld soll Boxer nun mit Hilfe seiner Freunde einlösen. Nur ein kleiner Überfall auf eine Privatbank, von der ein Kunde, so hat Andi in Erfahrung gebracht, in aller Herrgottsfrühe 50.000 Euro abholen will, keine große Sache, zwei Minuten, rein-raus, das war’s. Aber klar, die Sache geht schief. Und plötzlich wird aus der Truppe cooler Jungs und ihrer Zufallsbekanntschaft ein Haufen Gejagter voller Angst. Wie gesagt, einer falschen Entscheidung folgten nur ein paar andere, doch die Konsequenzen sind katastrophal.

Sebastian Schippers vor Energie und Unmittelbarkeit berstender Film ist im wahrsten Wortsinne atemlos, ein Tanz auf der Rasierklinge, eine Starkstromerfahrung in Echtzeit und ohne einen einzigen Schnitt, gedreht in einer einzigen Einstellung. Der wilde Ritt durch die Berliner Nacht mit vier ABSOLUTEN DILETTANTEN und ihrer zufälligen Komplizin ist von solcher Unmittelbarkeit, dass man sich als Zuschauer wie Victoria selbst vor die Entscheidung gestellt sieht, dem Lauf der Dinge zu folgen und sich dem Strudel der Ereignisse hinzugeben oder aber den Gestalten, denen man zusammen mit der jungen Spanierin begegnet, zu misstrauen und sich von ihnen fernzuhalten. Hätte sie freilich deutsche Filme gesehen, wüsste sie, dass man sich mit Typen, die von Frederick Lau gespielt werden, besser nicht einlässt, denn das bedeutet zumeist Stress und Ärger.

Eines aber ist gewiss: Entscheidet man sich für das Mitgehen, ist dies im Gegensatz zu Victorias Wahl eindeutig eine gute und in vielen Momenten sogar beglückende Option, die Adrenalin und Endorphine en masse durch die Adern pumpt.
 

Victoria (2015)

Wäre die Textzeile „Atemlos durch die Nacht“ nicht schon durch Helene Fischer über Gebühr strapaziert, gäbe sie eine ziemlich perfekte Beschreibung für Sebastian Schippers „Victoria“ ab. Wobei der Film wesentlich zwingender, packender und virtuoser geraten ist als das Gesäusel der Chanteuse. Eine Vorahnung davon bekommt man schon bei den ersten Bildern und Tönen.

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Meinungen

Indra · 24.02.2020

Habe nach 20 Minuten abgeschaltet. Szenen im Halbdunkeln, langweilige Dialoge, keine Spannung...frage mich ob ich denselben Film gesehen habe, der vielerseits so hoch gelobt wird.

Martin Zopick · 19.02.2020

Der Plot ist ungewöhnlich, das Ende überraschend und die Darsteller authentisch.
Die junge Spanierin Victoria (Laia Costa) macht mit vier echten Berliner Jungs eine Sause: Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burat Yigit), Fuß (Max Mauff) und Sonne (Frederick Lau). Als Verständigung radebrechen sie alle auf Englisch. Sonne verliebt sich ich Victoria. Am Ende der Nacht müssen die Jungs für Obergangster Andi (André M. Hennicke) noch einen Auftrag ausführen. Boxer kennt ihn aus dem Knast.
Weil einer ausfällt, übernimmt Victoria ahnungslos einen Job als Fahrerin. Man ahnt, dass es ein Bankraub wird, den die vier recht unprofessionell erledigen. Überleben wird den Coup nur Victoria.
Nur eine Sache ist an dem Film nicht besonders gelungen: er ist viel zu lang (über zwei Stunden!). Da es nur ein Drehbuch von wenigen Seiten gibt, wird ausgiebig improvisiert. Es gibt entsprechend viel Palaver. Also Leerlauf. Viele quatschen gleichzeitig durcheinander. Obwohl die Darsteller das gut rüberbringen, entsteht ein Hohlraum. Über die Lösung kann man diskutieren. Victoria die einzig Unschuldige entkommt mit dem Geld. Die Polizei spielt hier eine eher untergeordnete Rolle. Filmfestival geeignet.

Kim · 26.08.2015

Sehenswert und anstrengend.

Ka · 20.08.2015

Der Film wirkt. Auf jeden Fall eine lohnende Erfahrung! Man ist mittendrin und fühlt sich am Ende des Films so, als ob man grade selbst alles erlebt hätte.

Sascha · 20.08.2015

Hm, scheine einen anderen Film gesehen zu haben...
Finde immer "atemlos, packend, mitreißend" usw.
Bin "leider" durch die Filmpreise, in der Cinema durch den Vergleich mit Lola rennt (einer meiner All time favorites) und durch den fantastischen "Berlin-Film" Oh Boy in Victoria "gelockt" worden.
Was für eine Enttäuschung, was für ein Debakel.
ich habe die 140 min nicht durchgehalten ... überlege nur noch, ob es DER schlechteste Film aller Zeiten, den ich je gesehen habe, gewesen ist oder doch nur einer der Schlechtesten ...
Fazit: wartet etwas ab und schaut ihn Euch selber auf Arte an (ist Co-Produzent) und freut Euch, daß Ihr nicht wie ich 9€ aus dem Fenster geschmissen habt (habe mich noch nie so geärgert für´s Geld).

Gruß, hoffentlich demnächst wieder bei einem besseren Film
S.

Peter Madei · 12.08.2015

Dieser Film spielt nicht mit seinem Publikum, sondern nimmt es, auch in der schönsten Leichtigkeit (denn in jungen Jahren ist das Leben auch in größter Kümmernis immer wieder wunderbar leicht) verdammt ernst. So läuft das Spiel im Film und der Spielfilm im Leben, und ich ahne, dass die fünf jungen Leute, um die es geht, ihm so wenig entrinnen können wie die Zuschauer. Ich spüre, wie er mich in sich hineinzieht wie in ein Schwarzes Loch. Wollte ich ihm entkommen, machte ich mich nur lächerlich.
Trotzdem, und das ist kein Widerspruch, hoffe ich die ganze verdammte Zeit, dass mir das bittere Ende erspart bleibt. Dass es nicht ganz so bitter wird. Während der Film mir vor Augen führt, dass das Privileg der Jugend, Zeit zu haben, Zeit für sich und vor sich zu haben, in der Halbwertszeit der herrschenden Verhältnisse unwiderbringlich verloren geht.

wignanek-hp · 03.08.2015

Der Film macht atemlos. Man krallt sich am Kinosessel fest und möchte am liebsten auf die Leinwand, um die Jungs vor der nächsten Dummheit zu bewahren. Uff! Ein Mädchen das neben mir saß, sagte, nachdem alles vorbei war: "Man, das war ja anstrengend"! Da hatte sie recht. Aber diese Anstrengung hat sich gelohnt. Ich habe selten so einen intensiven Film gesehen mit so furiosen Schauspielern, die auf den Punkt gespielt haben. Dieser Film wird die Kinolandschaft verändern! Sebastian Schipper sei Dank! Hoffentlich besinnen sich diejenigen, die das Geld geben darauf, den Kreativen mehr Freiheiten zu lassen für neue Ideen und nicht immer gleich auf die zu erwartenden Zuschauerzahlen zu schielen und damit ewig bei demselben zu bleiben. Ob man den Film letztlich mag, hängt ganz viel davon ab, was man von Kino erwartet. Pure, sinnfreie Unterhaltung ist das jedenfalls nicht.

chrissi · 21.06.2015

iselbst ansehen und eine Meinung bilden,der Film wurde nur gelobt und ausgezeichnet,begeistert war ich nicht so.