Log Line

Sebastian Schippers neuer Film „Roads“ hat einen einfachen Titel – und ist noch dazu ein Road Movie. Wird er vier Jahre nach „Viktoria“ wieder sein Publikum begeistern?

Roads (2018)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Mit Sogkraft

In diesem Film steckt so viel drin, und dann ist er doch recht einfach und frei von Schnickschnack. Sebastian Schippers „Roads“ erzählt eine Fluchtgeschichte – die eines relativ verwöhnten Jungen und die des aus dem Kongo Geflüchteten William (Stéphane Bak), der seinen Bruder Baptiste (Josue Ndofusu) sucht. Und dann ist „Roads“ einfach auch ein filmisches Meisterwerk.

Es ist sein 18. Geburtstag – und irgendwie läuft alles falsch für Gyllen (Fionn Whitehead). Deshalb rennt er weg, nein, er fährt. Er nimmt das Wohnmobil seines Stiefvaters und verlässt das familiäre Feriendomizil in Marokko. An der Küste parkt er den Wagen und kann ihn nicht mehr starten. Da kommt ihm William zu Hilfe.

Die beiden jungen Männer sind in etwa gleich alt, aber gänzlich unterschiedlich – in vielen Bereichen. William hat sein Heimatdorf im Kongo verlassen, um seinen emigrierten älteren Bruder zu suchen. Er weiß, dass Baptiste bis Nordfrankreich gekommen sein muss, doch seitdem hat er nichts mehr von ihm gehört, und die Familie macht sich große Sorgen, dass ihm etwas passiert sein könnte. William hat kaum Reisegepäck dabei und Geld sowieso nicht, aber er spricht sehr gut Englisch und auch ein wenig Französisch. Er kennt sich mit Autos aus, ist gut vernetzt, kennt die Geschichten seiner Landsleute.

Gyllen dagegen ist in einem wohlhabenden Zuhause in England aufgewachsen. Er hat Kreditkarten, das Wohnmobil und eine Menge Klamotten dabei. An Wissen aber fehlt es ihm: Er ist naiv. Er vertraut Menschen wie Luttger (Moritz Bleibtreu), die schon auf den ersten Blick einen schreckhaften Eindruck machen. Und er scheint keine Ahnung davon zu haben, wie die Welt funktioniert. Nachdem er seine Familie verlassen und auch seinen biologischen Vater Paul (Ben Chaplin), der in Frankreich lebt, vor den Kopf gestoßen hat, ist Gyllen auf sich allein gestellt. In William aber wird er einen Freund finden.

Roads erzählt eine stringente Geschichte: Hier ist keine Nebenfigur zu viel, kein Schauplatz ein Zufall, die Handlung macht keine überflüssigen Umwege. Gelegentlich sind manche dramaturgischen Übergänge zwar etwas holprig, aber doch gleichzeitig charmant gelöst, z.B. wenn Gyllen am Hafen auf endlich spanischer Seite stehen gelassen wird. Der Film – geschrieben von Sebastian Schipper in Zusammenarbeit mit Oliver Zierbalg – erzählt vom Alleinsein und von Freundschaft, vom Weggehen und Weiterziehen, von Werten und Zweifeln. Für Gyllen ist die Reise von Marokko über Spanien durch ganz Frankreich eine Zeit des wirklich Erwachsenwerdens, für William hat die Flucht nach Europa ganz andere Dimensionen, sie wird sein Leben, seinen Alltag und seine Zukunftsperspektiven grundlegend verändern – wenn er nicht doch zurückkehrt nach Hause.

Beides machen sowohl die Dialoge zwischen den beiden Figuren, aber auch konkrete Szenen deutlich: am Tisch mit Vater Paul und dessen neuer Freundin oder am Imbissstand irgendwo in Frankreich, als die beiden Reisenden nur eine Cola bestellen wollen. Und es sind diese kleinen Episoden, welche die Geschichte mit Leben füllen und greifbar machen, den Film als großes Ganzes wirken lassen – sowohl die Geschichte von Williams Flucht in all ihrer gesellschaftlichen Relevanz als auch die von der Einsamkeit eines jungen Menschen, der doch scheinbar alles hat, was er zum Leben braucht, wie ihm immer wieder suggeriert wird.

Die beiden jungen Hauptdarsteller überzeugen als Gyllen und William, vor allem bei der gegenseitigen Annäherung, aber auch jeder für sich selbst – Fionn Whitehead in der Verletzlichkeit von Gyllen und Stéphane Bak, dessen Figur gezeichnet ist von traumatischen Erlebnissen und der Härte des Lebens. Gefühle wie Ängste werden spürbar, die das Erwachsenwerden wie das Fremdsein mit sich bringen.

Ästhetisch ist der Film eine Wucht. Und auch der Soundtrack ist grandios. Egal ob in den Montagesequenzen, die melodisch unterlegt sind, oder in den Momenten der dramaturgischen Ruhe, die von fast sphärischen Klängen begleitet werden. Es entsteht ein Klangbild, das dem Film eine einzigartige Stimmung gibt. Die Bilder sind größtenteils recht dunkel: im Wagen, in den vielen Nächten des Fahrens, Sich Versteckens, Feierns. Großartig, wenn Gyllen und William sich voreinander selbst inszenieren – als Fußballspieler, Kindersoldat, Jesus. Das hat eine unglaubliche Kraft und einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Roads (2018)

Gyllen ist mit seiner Mutter und dem Stiefvater im Familienurlaub in Marokko, als er sich mit dem gemeinsamen Wohnwagen plötzlich nach Frankreich aufmacht, um endlich seinen leiblichen Vater zu finden. Unterwegs trifft er auf William, einem afrikanischen Flüchtling, der in Europa nach seinem ausgewanderten Bruder sucht.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen