Der letzte Mentsch

Eine Filmkritik von Ines Meier

Wie man beweist, dass man Jude ist

Marcus Schwartz (Mario Adorf) ist ein alter Mann, der weiß, dass er bald sterben wird. Er nimmt diese Tatsache friedfertig zur Kenntnis – der Tod ist nichts, was ihm bedrohlich erscheint oder etwas, wogegen er sich auflehnt. Er ist für ihn ein Ereignis, dessen Umstände er klären will und Anlass, sich nach Jahrzehnten der Verleugnung wieder mit seiner jüdischen Identität auseinanderzusetzen, sich mit ihr zu versöhnen. Marcus Schwartz möchte auf einem jüdischen Friedhof begraben werden. Dieser schlichte Wunsch scheitert in dem tragikomischen Roadmovie Der letzte Mentsch des französischen Regisseurs Pierre-Henry Salfati (Tolérance) wie so viele Wünsche jedoch erst einmal an der Bürokratie.
Denn für ein jüdisches Begräbnis muss Marcus Schwartz beweisen, dass er Jude ist. Er hat jedoch weder eine Geburtsurkunde, noch einen Ehevertrag seiner Eltern noch sonstige Nachweise darüber, dass seine Mutter Jüdin war. In einem kleinen ungarischen Dorf geboren, wurde er mit seinen Eltern und Geschwistern von den Nationalsozialisten erst nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz deportiert. Den Holocaust hat er als einziger in seiner Familie überlebt. Aber auch das Tattoo seiner Häftlingsnummer aus Auschwitz reicht nicht zum Beweis, schließlich, so argumentiert die jüdische Gemeinde, hätten sich in den Konzentrationslagern nicht nur Juden befunden.

Marcus Schwartz bleibt also nichts anderes übrig als Köln, wo er seit Kriegsende lebt, weil ihm alles egal war und er vor allem vergessen wollte, zu verlassen und das Dorf seiner Kindheit aufzusuchen. Nicht mit dem Zug, weil er nie wieder Zug fahren will, sondern mit dem Auto. Als Fahrerin gewinnt er die junge kratzbürstige Deutschtürkin Gül (Katharina Derr), die dafür den neuen BMW ihres deutschrussischen Freundes entwendet und nur selten ihre knallrote Jacke ablegt, auf deren Rücken in großen Lettern „CCCP“ prangt. Was folgt, ist vorhersehbar überkonstruiert – die ungleiche Fahrgemeinschaft gerät natürlich zunächst in schönster Regelmäßigkeit aneinander. Irgendwann bricht langsam das Eis zwischen den Generationen und kulturellen Hintergründen, ein Buch mit jüdischen Witzen dient als Vermittler.

Im Zuge der langen Reise, die natürlich auch eine Reise zur je der eigenen Identität ist, werden Biographien ausgetauscht, tränendrüsige Lebensweisheiten vorgetragen und nach Zwischenstationen landen die beiden tatsächlich irgendwann in Vàc. Marcus Schwartz trifft dort auf einen alten Freund, einen griechischstämmigen Schrotthändler, der der jüdischen Gemeinde allerdings nicht als Zeuge taugt, weil er zu abgewrackt(!) scheint. Es kommt noch besser: Marcus Schwartz lernt eine blinde Jüdin kennen (Hannelore Elsner), die fortan mit feenhafter Penetranz durch die Szenen lichtert und ihn erfolgreich umgarnt. Mehr metaphorische Schwere war in dieses antipodische Paar wohl nicht zu pressen: Er als Sehender, der die Augen vor der Vergangenheit verschließt, sie als Blinde, die ihn mahnt, sich dieser Vergangenheit zu stellen. Da fehlt noch eine Figur im Ensemble der aufeinander losgelassenen Klischees? Richtig: Ein junger Deutscher, der für Steven Spielberg arbeitet, im jüdischen Altenheim in Vàc die Lebensgeschichten der Bewohner filmisch dokumentiert und sich in Gül verliebt.

Ja, Marcus Schwartz darf am Ende friedlich sterben, wird, weil sich doch noch eine „richtige“ Augenzeugin auftreiben lässt, auf einem jüdischen Friedhof beerdigt und Gül fährt mit einer frisch tätowierten Häftlingsnummer auf dem Unterarm Richtung Köln davon. So weit, so voller haarsträubenden Kitsches. Hätte Pierre-Henry Salfati sich in Der letzte Mentsch mehr bissigen Sarkasmus, mehr Mut zu absurdem Wahnwitz zugetraut, vielleicht wäre der Film nicht in pathetischer Geschichtsklitterung versackt. So jedoch kann man seinem Roadmovie nur wenig zugute halten, allen voran die Besetzung Mario Adorfs, der Marcus Schwartz gewinnend mit schlagfertiger Ironie und einer körperlichen Schwere spielt, die die Widrigkeiten, die er überwinden muss, physisch greifbar macht.

Der letzte Mentsch

Marcus Schwartz (Mario Adorf) ist ein alter Mann, der weiß, dass er bald sterben wird. Er nimmt diese Tatsache friedfertig zur Kenntnis – der Tod ist nichts, was ihm bedrohlich erscheint oder etwas, wogegen er sich auflehnt. Er ist für ihn ein Ereignis, dessen Umstände er klären will und Anlass, sich nach Jahrzehnten der Verleugnung wieder mit seiner jüdischen Identität auseinanderzusetzen, sich mit ihr zu versöhnen.
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