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Lynch-World: Liebevolle Dunkelheit

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Seine Filme sind rätselhafte Dunkelheit. Nicht umsonst spricht man von lynchesken Welten. Unter all den offensichtlichen, labyrinthischen Seltsamkeiten, gerät eine andere Qualität von David Lynch aus dem Blick: die Figuren. 

Meinungen
David Lynch
Mulholland Drive / Blue Velvet / Twin Peaks - The Return

Er gilt als der große industrielle Surrealist der USA, als postmoderner Zampano des rätselhaften Mindfucks. David Lynch mag bis heute polarisieren. Dennoch wird seine Kunst selbst von denen (zumindest von den meisten) respektiert, die mit seinen Filmen nicht viel anfangen können. Unzählige Veröffentlichungen setzen sich mit dem Rätselcharakter, dem Symbolismus und der psychisch-narrativen Tiefenstruktur seiner Filmwelten auseinander: Was soll das alles bedeuten? Wie funktioniert das eigentlich? Und worauf bezieht sich der Filmemacher in der Filmgeschichte (z. B. „Sunset Boulevard“ in „Mulholland Drive“)?

Was bei all dieser verkopften Analyse dann häufig übersehen wird: So dunkel und abgründig die Welten auch sein mögen, man kehrt gerne in sie zurück. Die Filme von, sagen wir, Lars von Trier laden nicht unbedingt dazu ein, sie immer und immer wieder anzusehen. So grandios diese filmgewordenen Provokationen auch sein mögen, ihnen wohnt eine Schroffheit inne, die es bei David Lynch nicht gibt. 

In dreams I walk with you

Das Gegenteil ist der Fall. Egal wie dunkel, abartig und pervers die Alpträume auch sein mögen: Allen Filmen von David Lynch wohnt eine Wärme inne, eine eigenartige Romantik, die vor allem durch die Figuren entsteht. Ja, die sind allesamt schräg, übermäßig naiv oder aufgespreizt böse. Doch man nehme nur die obszöne Brutalität von Dennis Hopper im zeitlosen Meisterwerk Blue Velvet, die immerzu zwischen beinahe schon lächerlicher Verletzlichkeit und harter, toxischer Männlichkeitspanzerung oszilliert.

Dennis Hopper als Frank Booth. © Alamode

Da ist diese Szene im Nirgendwo, als Frank (Hopper) den völlig verängstigten Jeffrey aus dem Auto zerrt, sich die Lippen mit rotem Lippenstift beschmiert und sein jüngeres Ebenbild küsst. Das Küssen, diese Geste der Zärtlichkeit, kippt in eine kannibalische Übergriffigkeit. Frank scheint Jeffrey verschlingen zu wollen, hinterlässt aber gleichzeitig Spuren in seinem Gesicht. Dann beginnt er den Roy Orbinson Klassiker In Dreams zu performen: In dreams I walk with you / In dreams I talk to you / In dreams you′re mine all of the time / We’re together in dreams, in dreams.

Es handelt sich – so könnte man es zuspitzen – um eine Liebesszene, wie sie nur David Lynch inszenieren kann: eine tödliche Verschlingung zweier Charaktere, die einander spiegeln, die das jeweils Andere im Anderen begehren. Frank mag eine brutale, furchtbare Figur sein – doch sie ist kein Monster. Sie ist verletzlich, und Lynch gibt ihr eine Seele.

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Wird er die erlösende Identität sein? Balthazar Getty als Pete. © Concorde Video

Die Lynch-World ist bevölkert von solchen Männerfiguren, die sich mit ihrer Gewalt absichern wollen und sich dabei doch letztlich selbst zerstören. Dasselbe gilt für den Frauenmörder Fred Madison (Bill Pullman) in Lost Highway, der seine Identität in einer Möbiusschleife auflöst, die sich mehr und mehr ineinander dreht. Ständig transformiert er sich, verwandelt sich in andere Menschen und kann aus deren Leben die Bruchstücke des alten dennoch nicht heraushalten. Man wünscht sich so sehr, er möge seine Frau nicht umgebracht haben und wird gleichzeitig von dieser Figur abgestoßen, gerade wenn er sich in den potenten Pete Dayton (Batlhazar Getty) hineinträumt. Auch hier ist das Thema die Männlichkeit, die sich abhärten will und sich dabei immer weiter von sich selbst entfernt. 

All das wird nicht kühl analytisch seziert, sondern in empathischen, affektiven und höchst verdichteten Filmgemälden zusammengesetzt. Man beachte die Räume in Lost Highway, wie sehr sie zum erweiterten Raum der Figuren werden. Die labyrinthisch-dunkle Wohnung des Jazzmusikers Fred gleicht den Gehirnwindungen, dem Unterholz der Seele: Darin kann man mehrere Leichen verstecken. Und in den Träumen werden diese Figuren mit uns wandern und uns ermahnen, dass das Böse in jedem von uns haust.

Kauzigkeit und Alltag

Neben all den obszönen und bösen Figuren, die eine verletzliche Tiefe erhalten, gibt es diese kauzigen Charaktere, deren Seltsamkeiten und neurotisch-niedlichen Ticks derart alltäglich dargestellt werden, als seien diese Dinge das Normalste von der Welt. Twin Peaks ist bevölkert davon. Von Lucy (Kimmy Robertson), der naiv-gutmütigen Sekretärin mit der piepsigen Stimme, über den vollkommen durchgeknallten Hippie-Psychiater Jacoby (Russ Tamblyn) bis natürlich zu Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) selbst.

Der Agent und das Mädchen: Twin Peaks. ©ABC

Eigentlich dürfte eine solche Ansammlung an schrägen Vögeln nie und nimmer funktionieren, zumal Twin Peaks zwar bisweilen grotesk ist, aber niemals eine Groteske wird. Vielmehr spielt Lynch mit den unterschiedlichen Stimmungen und lässt einen Alltag entstehen, der unserem gar nicht so fremd ist. Jeder ist in seinem Leben schonmal Menschen begegnet, die auch aus einem Film von Lynch gefallen sein könnten. Die Welt ist ein wahrlich fremder Ort. Niemand hat das besser begriffen, als der exzentrische Filmemacher in den weißen Hemden. Darin liegt womöglich ein Geheimnis, warum wir uns in diesen Bildern so wiederfinden, so einmummeln können und Zuhause fühlen – die eigene Kauzigkeit darf sein, der Makel, all das Angekratzte gehört dazu. 

Sie können es nicht fassen: Alvin macht sich auf den Weg. © Senator

Straight Story mag für all das exemplarisch stehen. Anders gesagt: Dieser Film, der in der Tat eine sehr geradlinige Geschichte von einem Roadtrip auf einem Rasenmäher erzählt, liegt unter all den Geheimnissen der anderen Filme. David Lynch ist ein verdammt guter Geschichtenerzähler. Und zu guten Geschichten gehören so herrliche Figuren wie eben jener Alvin Straight, der sich nicht von seinem Plan abbringen lässt, seinen todkranken Bruder nochmal zu besuchen. Die Langsamkeit selbst wird zu einem Charakter, umhüllt diese Figuren, die jederzeit vor einem in der Schlange stehen könnten. 

Lynch ist mehr als der bloße Zampano des geheimnisvollen Films. Die Tricks, die Wendungen und Twists sind mehr als bloßer Trick. Immer kommen sie aus den Figuren selbst, die nie nur Effekte des Drehbuchs sind. Lynch liebt seine Figuren, bis zu den kleinen Rollen hinab nimmt er sich Zeit spezifische Charakterzüge zu erfinden, die nicht immer etwas zur Handlung beitragen. Die Vermieterin aus Mulholland Drive bleibt ebenso im Gedächtnis, wie die Frau im Büro, die aus Versehen Opfer eines tollpatschigen Killers wird. Von dieser Fähigkeit könnten einige Filmemacher*Innen etwas lernen. 

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