Lost Highway (1997)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die ganze Macht des Kinos

Fred Madison (Bill Pullman) ist Jazzmusiker und steckt mit seiner Gattin (Patricia Arquette) gerade in einer tiefen Beziehungskrise. Denn es spricht alles dafür, dass Renee eine Affäre hat und ihrem häufig abwesenden Mann nicht die Wahrheit sagt. Zudem häufen sich seltsame Ereignisse in Freds Leben, die er sich nicht erklären kann: Eine unbekannte Stimme in der Gegensprechanlage informiert ihn vom Tod eines Mannes, den der Saxophonist nicht kennt, ein Voyeur lässt ihm Videokassetten zukommen, die ihn und Renee in intimen Momenten zeigen und ein geheimnisvoller Mann gibt zu verstehen, dass er das Paar beobachtet und es zudem versteht, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Dann wird Fred eines Tages aus heiterem Himmel verhaftet – er soll seine Frau auf bestialische Weise ermordet haben, alle Beweise sprechen gegen ihn. Doch Fred fehlt jede Erinnerung an die Vorgänge und an die Tat, die er angeblich begangen haben soll. Trotzdem landet er im Gefängnis, die Beweise sind zu erdrückend. Als die Wärter eines Morgens die Zellentür öffnen, befindet sich statt Fred ein unschuldiger junger Mann namens Pete (Balthazar Getty) an dessen Stelle. Natürlich wird Pete sofort entlassen, denn er steht ja nicht unter Anklage. Doch auch Petes Leben scheint mit den Geschehnissen um Fred und Renee verbunden zu sein, und die Geschichte wird immer rätselhafter und verworrener…

Schon lange vor Lost Highway galt David Lynch als ein Regie-Exzentriker, der mit Werken wie Eraserhead, Blue Velvet, Wild at Heart oder mit der Fernsehserie Twin Peaks außergewöhnliche Filme abseits des Mainstreams geschaffen hatte. Mit Lost Highway aber wagte Lynch erneut den Schritt auf filmisches Neuland und kombinierte Thriller-, Film Noir- und Horror-Elemente mit einem bewusst alogisch gehaltenen Plot, der sich einer eindeutigen Interpretation entzog und immer wieder Leerstellen der Erzählung betonte. So umstritten seine Filme auch stets waren, immer ging von ihnen ein unbestreitbarer Sog aus, dem sich die Zuschauer kaum entziehen konnten, und auch bei Lost Highway ist dies nicht anders.

Man kann David Lynchs Kino als Scharlatanerie ansehen oder als ernsthaftes Bemühen, ein zunehmend in Formelhaftigkeit erstarrtes Kino mit den eigenen Mitteln zu schlagen und dem Film wieder die Wildheit und Uneindeutigkeit einer wahren Avantgarde zurückzugeben. Man kann ihn hassen oder lieben, über eines aber besteht kaum ein Zweifel: Im Ozean der Mittelmäßigkeit ist David Lynch bis zum heutigen Tag ein Monolith, der an die Grenzen und über die Grenzen des Mach- und Erzählbaren hinausgeht. Und Lost Highway ist sein vielleicht wichtigster Film, eine Ode an die Macht der Imagination, an die dunklen Seiten des Geistes und an das Wesen des Kinos.
 

Lost Highway (1997)

Fred Madison (Bill Pullman) ist Jazzmusiker und steckt mit seiner Gattin (Patricia Arquette) gerade in einer tiefen Beziehungskrise.

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