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Baby, we’re a firework – Sexuelle Metaphern im Film

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Ein Zug. Ein Feuerwerk. Eine Champagnerflasche. Harmlose Filmmotive? Mitnichten! Vielmehr stehen sie für sexuelle Erlebnisse – mal als clevere Anspielungen, mal als plumpe Gags.

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Grace Kelly und Cary Grant in „Über den Dächern von Nizza“
Grace Kelly und Cary Grant in „Über den Dächern von Nizza“

Wie soll man zeigen, was man nicht zeigen darf? Wie soll man von etwas erzählen, was als Tabu gilt? Im Hollywoodkino der frühen 1930er Jahre bis hinein in die späten 1960er Jahre bewirkte der sogenannte Hays-Code, dass Sex auf der Leinwand nicht stattfinden konnte. Oder jedenfalls nicht auf offenkundige Weise. Einfallsreiche Filmschaffende wie Alfred Hitchcock entdeckten indes stets visuelle oder rhetorische Möglichkeiten, um allen Zuschauer_innen, die das Geschehen nicht völlig unbedarft und unaufmerksam verfolgen, zu vermitteln: Hier geht’s gerade richtig zur Sache!

Eine der gewitztesten Umgehungen der damals geltenden Darstellungsrichtlinien ist das herrlich frivole Schlussbild aus Hitchcocks Krimikomödie Der unsichtbare Dritte (1959). Nachdem der Held (verkörpert von Cary Grant) seine Liebste (Eva Marie Saint) am Ende einer gemeinsam durchgestandenen Odyssee zu sich nach oben ins Bett eines Schlafwagens zieht und das glückliche Paar sich innig küsst, folgt die Aufnahme eines langen Zuges, der in einen schmalen, dunklen Tunnel rast. Ja nun … es bedarf wohl keiner allzu schmutzigen Fantasie, um sich vorstellen zu können, was nach dem Schnitt in diesem Zugabteil passiert. Hitchcock selbst bezeichnete die Schlusseinstellung im berühmten Interview mit François Truffaut mit erkennbarem Stolz als „impertinent“.

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Eine Explosion der Leidenschaft

Nicht ganz so kühn, aber ebenfalls überaus smart hatte der Master of Suspense zusammen mit Grant bereits 1955 eine Sequenz realisiert, in welcher durch die Kunst der Montage der erotische Funkenschlag zwischen den beiden Hauptfiguren noch intensiviert wurde, ohne dadurch gegen den strengen Hays-Code zu verstoßen. In Über den Dächern von Nizza liefern sich ein ehemaliger Juwelendieb und die Tochter einer Millionärin (gespielt von Grace Kelly) einen Schlagabtausch, der zugleich als heftiger Flirt daherkommt. Eindringliche Blicke, zwei Körper, die sich annähern, zärtliche Berührungen, lieblich gesäuselte Worte voller eindeutiger Doppeldeutigkeiten („As long as you’re satisfied …“), dazu der gefühlvolle Score von Lyn Murray und ein buntes Feuerwerk, das zunächst im Bildhintergrund zu sehen ist und dann immer wieder in den Dialog zwischen dem zentralen Paar geschnitten wird. Hitchcock durfte natürlich nicht ins Bild setzen, wie die beiden endgültig von der Lust ergriffen werden, wie sie sich entkleiden, sich ihrer Begierde hingeben und zum sexuellen Höhepunkt kommen – aber das zunehmend stärker und prächtiger werdende Feuerwerk ist hierfür eine ziemlich klare und hübsche Metapher.

 

Begehren und Bedrohung

Noch interessanter ist derweil eine ähnliche Passage aus Joe Wrights Leo-Tolstoi-Adaption Anna Karenina (2012). Auch darin symbolisiert ein Feuerwerk das eskalierende Verlangen zwischen der titelgebenden Protagonistin (Keira Knightley) und dem Grafen Vronsky (Aaron Taylor-Johnson). Insbesondere die Nahaufnahmen von Knightleys erregtem Gesicht muten an, als seien sie einer klassischen Liebesszene entnommen. Gewiss war die britische Produktion keinem Code unterworfen und wird an einigen Stellen dann auch entschieden expliziter; der Plot ist jedoch in einem Umfeld angesiedelt, in welchem gar noch weitaus rigidere, lustfeindlichere Regeln als im Hollywood der 1930er bis 1960er Jahre herrschten. Die Inszenierung nähert sich dem Thema daher auf eine Art und Weise an, die uns die Brisanz des Ganzen veranschaulicht. Die gezündeten Feuerwerkskörper sind hier nicht nur Metaphern für eine aufflammende Wollust, sondern auch für die Gefahr, die die beginnende Affäre einer verheirateten Frau im Russland des 19. Jahrhunderts für deren weiteres gesellschaftliches (Über-)Leben bedeutet.

Keira Knightley in „Anna Karenina“; Copyright: Universal Pictures International
Keira Knightley in „Anna Karenina“; Copyright: Universal Pictures International

 

Zu den gängigsten Mitteln, um das Sexuelle metaphorisch abzubilden, zählt seit jeher das Spiel mit Phallussymbolen. So gelang es etwa Billy Wilder in seiner Komödie Das verflixte 7. Jahr (1955), ein recht offensichtliches Hantieren mit einer Champagnerflasche unterzubringen, ohne dass die Sequenz beanstandet wurde und entschärft werden musste. Wenn der völlig verzückte Strohwitwer Richard Sherman (Tom Ewell) besagte Flasche zu entkorken versucht und seine neue Nachbarin (Marilyn Monroe) damit beeindrucken möchte, nimmt eine (für damalige Verhältnisse) recht schlüpfrige Nummer ihren Lauf, die mit reichlich Situationskomik die sexuelle Spannung zwischen den beiden Figuren illustriert. Mehr als 60 Jahre später kopierte der Regisseur Dan Mazer für seine brachiale Posse Dirty Grandpa (2016) jene Passage, indem er einen schrecklich überdrehten Robert De Niro, eine große Sonnencremetube und eine furchtbar vergeudete Aubrey Plaza in einer ähnlichen Anordnung einfing. Die miese, unoriginelle Umsetzung demonstriert, dass die Verwendung von Metaphern für sexuelle Handlungen und Gelüste zuweilen auch einfach nur als müder Scherz enden kann.

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Neben zweideutigen Bildern, die ein explizites Zeigen ersetzen, wurde zudem schon früh mit Verbalerotik gearbeitet, um uns indirekt von den libidinösen Empfindungen der Figuren zu erzählen. Kurz bevor der Hays-Code im Jahre 1934 für Filmproduktionsunternehmen zur Pflicht wurde, wagte sich das von Hauptdarstellerin Mae West verfasste Skript zur Musicalromanze Ich bin kein Engel (1933) noch an äußert unmissverständliche Sentenzen. „I’m always wonderful at night“, sagt die selbstbewusste Artistin Tira gegenüber dem wohlhabenden Jack Clayton (Cary Grant) – und schickt lasziv grinsend hinterher: „When I’m good, I’m very good. But when I’m bad, I’m better!“ Es ist nicht anzunehmen, dass sie damit lediglich auf ihre Bühnenqualitäten aufmerksam machen will. Zu Zeiten des Hays-Code war dann etwas mehr Verschlüsselung vonnöten. Gleichwohl sind auch in dieser Phase Bonmots entstanden, die wenig Zweifel an ihrer Vieldeutigkeit lassen. So zum Beispiel in Howard Hawks’ Ernest-Hemingway-Verfilmung Haben und Nichthaben (1944). Er wisse doch sicher, wie man pfeift, meint die junge Marie Browning (Lauren Bacall) darin zu dem Seemann Harry „Steve“ Morgan (Humphrey Bogart) – und fügt süffisant hinzu: „You just put your lips together and blow!

 

Bang Bang

Eine virtuose Kombination aus visueller Metapher und verwegenem Wortwitz präsentierte Hawks 1948 im Westerndrama Red River in einer der queersten Szenen des US-Studiosystems. „That’s a good-looking gun you were about to use back there“, stellt der Cowboy Cherry Valance (John Ireland) fest – und fragt den Rancher(zieh-)sohn Matthew „Matt“ Garth (Montgomery Clift), ob er dessen Waffe nicht mal sehen dürfe. Im Gegenzug bietet er ihm seine eigene Pistole zur Begutachtung an. Durch die Blicke der beiden Männer, die doppelsinnigen Dialogzeilen sowie das gegenseitige, erkennbar neugierige Betasten und Ausprobieren der Pistole des jeweils anderen wird die Homoerotik dieses Moments kaum kaschiert und ist dabei ausgesprochen amüsant. In einem modernen, extrem testosteronlastigen Actionfilm wie Criminal Squad (2018) lassen sich solche Töne zwar durchaus auch finden, wenn sich etwa eine Übungsrunde im Schießstand wie ein wilder sexueller Akt ausnimmt – witzig oder gar sexy kommt das hier allerdings gar nicht daher.

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Lange Messer und spitze Fangzähne fungierten wiederum bereits in etlichen Slasher Movies und Vampirfilmen als Metaphern des sexuellen Eindringens; oft diente die Natur – von einer aufblühenden Blüte bis zum tosenden Meer – als Motivgeberin, um das Sexuelle auf nicht-explizite Weise zu erfassen. Der Einsatz von Sinnbildern kann subversiv, klug, schön und unterhaltsam sein; er kann sich aber auch im billigen Spiel erschöpfen. Wenn es einem Film gelingt, die vielen Facetten von Sexualität mit audiovisuellem Ideenreichtum auf die Leinwand zu bannen, vermag im Nicht-Zeigen tatsächlich erstaunlich viel aufgezeigt werden – von glühender, fataler Leidenschaft bis hin zum heimlichen Begehren.

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