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Anthony Hopkins – mehr als das Gesicht des Bösen

Ein Beitrag von Christopher Diekhaus

Anthony Hopkins hat in seiner Karriere wahrlich alles gespielt. Kann man sich dieser Legende eigentlich noch annähern? Diese vielfältige Filmografie ordnen? Unser Autor Christopher Diekhaus stellt sich der Herausforderung.

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Hopkins
Der Elefantenmensch / Das Schweigen der Lämmer / The Father

Ein düsterer, verliesartiger Gefängnisgang, am Ende eine Zelle mit einer Scheibe, dahinter, kerzengerade stehend, ein nicht allzu großer Mann in einem blauen Overall: Wirkungsvoll inszeniert Jonathan Demme in „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) die erste Begegnung seiner Protagonistin, der Nachwuchsermittlerin Clarice Starling (Jodie Foster), mit dem kannibalischen Serienkiller Dr. Hannibal Lecter, den sie in einer brutalen Mordserie um Hilfe bitten will. Mit seinem stechenden Blick, seiner konzentrierten Ausdrucksweise, seinen kontrollierten Bewegungen strahlt Anthony Hopkins in der Rolle des distinguierten Monsters von den ersten Momenten an eine seltsam faszinierende Präsenz aus – und drückt dem Film seinen Stempel auf, obwohl er nur einen Bruchteil der Gesamtlaufzeit zu sehen ist. Meistens zurückgeworfen auf den begrenzten Raum einer Zelle, gelingt es dem Schauspieler gerade durch eine zurückgenommene Performance, die Bedrohlichkeit seiner Figur greifbar zu  machen. Mit Hannibal Lecter schuf Hopkins nicht weniger als eine Ikone des Spannungskinos, einen der ganz großen Bösewichte der Filmgeschichte, an dem sich nach Veröffentlichung von Demmes Psychothriller unzählige Filmemacher*innen und Darsteller*innen abarbeiteten.

Wohl auf ewig wird vor allem diese oscarprämierte Rolle mit dem 1937 geborenen Mimen verbunden werden, selbst wenn seine bis in die frühen 1960er Jahre zurückreichende Karriere eine gewaltige Bandbreite aufweist. Dass er auch im gesetzten Alter noch zu außergewöhnlichen Leistungen fähig ist, untermauert James Grays halb autobiografisches, Ende November in den Kinos anlaufendes Coming-of-Age-Drama Zeiten des Umbruchs (2022), in dem der renommierte Schauspieler einen altersweisen, von der Verfolgung seiner jüdischen Familie geprägten Großvater gibt.

Zeiten des Umbruchs. © Universal Pictures International

Die Anfänge von Hopkins, der nach eigener Aussage ein Einzelgänger war, wegen seiner Legasthenie gehänselt wurde und in der Schule wenig zustande brachte, liegen allerdings im Theater. Auf die Bühne zog es ihn, so ist immer wieder zu hören, vor allem deshalb, weil er keine anderen Perspektiven hatte. Ein echter Glücksfall war nach dem Besuch der Royal Academy of Dramatic Art die Begegnung mit dem britischen Großdarsteller Laurence Olivier, der ihn 1965 an das Royal National Theatre holte. Als Schauspieler in Bühnenstücken kam Hopkins früh mit klassischen Stoffen und Parts, etwa solchen aus der Feder William Shakespeares, in Berührung und trat vermehrt ins Rampenlicht, wo er seinen aus Kindheit und Jugendzeit herrührenden Minderwertigkeitskomplex nur langsam überwinden konnte.

Auch für die große Leinwand und das Fernsehen ließ er sich ab Mitte der 1960er Jahre häufiger engagieren. Besondere Aufmerksamkeit erzielte seine Darbietung in der Theateradaption Ein Löwe im Winter (1968), in der er den jungen Richard Löwenherz verkörpert. Eine Performance, die ihm eine Nominierung bei den British Academy Film Awards einbrachte. In der Zeit der ersten Berufserfolge verfiel der aufstrebende Mime allerdings auch dem Alkohol, dem er erst Mitte der 1970er Jahre abschwören konnte.

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Schon in der Anfangsphase seiner Schauspiellaufbahn wechselte Hopkins ständig zwischen den Genres, tauchte in historischen Dramen wie dem erwähnten Ein Löwe im Winter, in Spionagefilmen wie Krieg im Spiegel (1970), in Klassikeradaptionen wie der Fernsehserie Krieg und Frieden (1972) und in Tragikomödien wie Das Mädchen von Petrovka (1974) auf. Eine längere kreative Zusammenarbeit verband ihn mit dem britischen Schauspieler und Regisseur Richard Attenborough, der Hopkins über die Jahre in gleich fünf Arbeiten besetzte, unter anderem im Kriegsfilm Die Brücke von Arnheim (1977). Gemeinsam drehten sie auch den mit Horroranleihen garnierten Psychothriller Magic – Eine unheimliche Liebesgeschichte (1978). Bereits in der Interpretation eines schizophrenen Bauchredners, der durch die vermeintlichen Einflüsterungen seiner lebensgroßen Puppe zum Mörder wird, stellte der gebürtige Waliser eindrucksvoll unter Beweis, dass er furchteinflößende Rollen mit eindringlicher Subtilität versehen kann.

Während sich Hopkins in den 1980er Jahren langsam von der Theaterbühne zurückzog, fand er mit seinen Film- und Fernsehengagements weitere Beachtung. Zu Beginn der Dekade zeigte er sich zum Beispiel in David Lynchs Schwarz-Weiß-Drama Der Elefantenmensch (1980) von seiner einfühlsamen Seite. Die Darstellung des real existierenden Chirurgen Dr. Frederick Treves, der einen schwer deformierten Mann aus den Fängen eines Jahrmarktschaustellers befreit, schwankt zwischen Neugier und tiefgehendem Mitgefühl. Aufsehen erregte zudem seine mit einem Emmy-Award prämierte Performance im TV-Historiendrama Der Bunker (1981), das ähnlich wie Der Untergang (2004) von den letzten Wochen Adolf Hitlers erzählt. Den Anführer der Nazis spielt er als verrückten, hassenswerten Menschen, verleiht ihm aber auch eine bemitleidenswerte Dimension. Ein herausfordernd-irritierender Spagat.

Hitchcock. © 20th Century Fox

Historische Persönlichkeiten nehmen in Hopkins‘ Schaffen generell einen nicht unbedeutenden Platz ein. Unter der Regie Richard Attenboroughs zeichnet er in Shadowlands (1993) ein vielschichtiges Porträt des gläubigen Schriftstellers und Literaturprofessors C. S. Lewis, des Schöpfers der Kinderbuchreihe Die Chroniken von Narnia. In Oliver Stones wild zwischen den Zeiten springendem, vor allem psychologische Aspekte ergründendem Biopic Nixon (1995) ist er als 37. Präsident der Vereinigten Staaten zu sehen und liefert eine aufwühlende Tour-de-Force-Darbietung ab. Die schillernde Ausstrahlung des Malerstars Pablo Picasso vermittelt er in Mein Mann Picasso (1996). In Steven Spielbergs Geschichtsdrama Amistad (1997) bekleidet er die Rolle des US-Politikers John Quincy Adams, der auf Handlungsebene als Ex-Präsident der Vereinigten Staaten eine Gruppe afrikanischer Slaven vertritt, die sich nach einer Meuterei vor Gericht verantworten muss. Sacha Gervasi bot dem für seine akribische Rollenvorbereitung bekannten Darsteller in Hitchcock (2012) eine Bühne, um die durchaus problematische Persönlichkeit des Regisseurs Alfred Hitchcock mit Präzision zu ergründen. Und in Fernando Meirelles‘ Die zwei Päpste (2019) legt er als Benedikt XVI. ein spannendes Duett mit Jonathan Pryce als Jorge Mario Bergoglio, dem heutigen Papst Franziskus, hin. Der in die Filmgeschichte eingegangene Serienkiller als Pontifex maximus – anschaulicher lässt sich wohl nicht illustrieren, wie groß Hopkins‘ Rollenspektrum ausfällt.

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Schaut man auf seine Filmografie, wird deutlich, dass sich, vor allem ab den 1990er Jahren, immer wieder erzählerisch austarierte, sensible Geschichten mit knalligeren Unterhaltungsstoffen abwechseln. Das Drama Was vom Tage übrig blieb (1993), das Figurenpsychologie und soziale Hintergründe überzeugend verwebt, lässt ihn etwa als Charakterdarsteller glänzen. Mit großem Feingefühl malt der im selben Jahr zum Ritter geschlagene Hopkins das Bild eines treu ergebenen, seine persönlichen Empfindungen komplett unterdrückenden Butlers an die Wand.

Der Survivalreißer Auf Messers Schneide – Rivalen am Abgrund (1997), der Actionblockbuster Mission: Impossible II (2000), der Fantasy-Streifen Die Legende von Beowulf (2007), die Auftritte im Marvel-Universum als Göttervater Odin, der Horrorthriller The Rite – Das Ritual (2011) und der Science-Fiction-Klopper Transformers 5: The Last Knight (2017) zeugen von Hopkins‘ Lust an eskapistischem Popcornkino, frei von gefeierten Literaturvorlagen oder Bühnenklassikern.

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Wenig verwunderlich gab es nach Das Schweigen der Lämmer mehrere Versuche, an das dort etablierte Rollenmodell anzudocken. Am konkretesten natürlich in der Fortsetzung Hannibal (2001) und dem Prequel Roter Drache (2002). In beiden Fällen versieht Anthony Hopkins den Serienmörder Lecter mit einer nach wie vor unter die Haut gehenden Ausstrahlung. Die stärker auf grelle Schockeffekte setzenden Filme erreichen jedoch nicht die beunruhigende Qualität von Demmes Leinwandalbtraum. Eine Variation des gefühlskalten Manipulators spielt der Oscar-Preisträger in Gregory Hoblits Das perfekte Verbrechen (2007), wo er in der Rolle eines intelligenten Ingenieurs mit dem Mord an seiner Frau davonzukommen scheint.

Dass Hopkins in jüngerer Vergangenheit seine Darstellungskunst an einige stupide B-Movies – gemeint sind vor allem Collide und Ruf der Macht – Im Sumpf der Korruption – verschenkt hat, ist verschmerzbar. Nach über 60 Jahren im Filmgeschäft muss er schließlich niemandem mehr etwas beweisen. Besonders zwei Filme demonstrieren aber, dass er in seinem Spiel weiterhin Herausforderungen sucht und das Menschsein in all seinen Facetten erfassen will. 2020 erschien mit The Father ein inszenatorisch und ausstattungstechnisch ambitioniertes Demenz-Drama, das durch Hopkins‘ Leistung als Erkrankter gekrönt wird. Schmerzhaft glaubwürdig oszilliert der erfahrene Mime hier zwischen Trotz, Selbstsicherheit, Verwirrung und Verzweiflung und führt uns ohne effekthascherische Manierismen vor Augen, was es heißt, die Kontrolle über die eigene Wahrnehmung zu verlieren. Erhielt er 1992 für die Darstellung des stets Herr der Lage bleibenden Serienmörders seinen ersten Oscar, errang er seinen zweiten Goldjungen für die Interpretation eines Mannes, dem alles entgleitet. Ein in seiner Gegensätzlichkeit interessanter Zufall!

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Nicht weniger beeindruckend gestaltet sich Hopkins‘ Auftritt in Zeiten des Umbruchs. Wie er hier, manchmal mithilfe eines kurzen Blicks oder einer beiläufigen Geste, komplexe Gefühlswelten entwirft, wie er die von Schmerz durchdrungene Geschichte der jüdischen Familie seiner Großvaterfigur in wenigen Sätzen erfahrbar macht, ist schlichtweg große Klasse. Im fortgeschrittenen Alter dreht der seit jeher musikbegeisterte, vereinzelt auch als Filmkomponist in Erscheinung getretene und in drei Fällen (Dylan Thomas: Return Journey, 1990; August, 1996; Slipstream, 2007) regieführende Schauspieler noch einmal richtig auf – und arbeitet fleißig daran, dass nicht nur Hannibal Lecter im kollektiven Gedächtnis haften bleibt.

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