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Couch-Perle: Antichrist

Ein Beitrag von Luis Pintak

Auf MUBI gibt es seit dem 5. Februar Lars von Triers „Antichrist“ – ein  Schockerlebnis für den verregneten Februarnachmittag.

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Antichrist
Antichrist

Im europäischen Filmkosmos gibt es viele herausstechende Arten, wie man durch einen Film den Schock vermitteln kann. Angefangen bei französischen Regisseuren wie Claude Chabrol, die die unschönen Grenzen des gesellschaftlichen Ansehens ausgeleuchtet haben, über solche wie Paul Verhoeven, die den Skandal heraufbeschworen haben. Bis hin zum dänischen Regisseur Lars von Trier. Seine Werke versetzen die Filmschauenden in Atemlosigkeit oder eben Entsetzen. Sein Film „Antichrist“ von 2009 ist seit dem 5. Februar auf Mubi zu sehen.

Der seit seiner Kindheit wiederholt an Depressionen leidende Regisseur machte unter anderem durch Idioten (1996), den ab dem 19. Februar ebenfalls auf Mubi verfügbaren Film Melancholia (2010) und einer USA-Trilogie von sich Reden. Antichrist dürfte seinem Werk aber den Boden aus dem Fass geschlagen haben. Der Film beginnt harmlos. Man sieht Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Ein Paar aus Seattle beim Sex im Badezimmer, der Sohn Nic in seinem Bettchen nebenan. 

Doch er will nicht in seinem Bettchen bleiben, reißt aus, wandelt zum Fenster und stürzt schließlich aus dem ersten Stock, der Teddy mit hinterher. Und all das in Zeitlupe. Für sie (Charlotte Gainsbourg) und ihn, den Psychotherapeuten (Willem Dafoe), ist der Tod ein Schock. Besonders sie verliert die Kontrolle über sich selbst. Tabletten, um den Schmerz zu betäuben, Schlafprobleme, Angstanfälle. Er versucht sie unter anderem mit Sex zu beruhigen, fragt sie, wovor sie Angst habe. Ein Wald Eden, in dem sie mal mit Nic war, mache ihr Angst. In den Wald gehen sie dann auch, damit er sie dort therapieren kann. 

Das alles mag ja noch irgendwie wie ein halbwegs gewöhnliches Drama klingen. Doch dann beginnt die Fahrt in den blanken Wahnsinn. Es ist, als würde Quentin-Tarantino-Gewalt auf nordrhein-westfälische Düsterwald-Atmosphäre à la von-Trier-Vorbild Tarkowski treffen. Bloß heftiger. Lars von Trier gelingt es, nicht weniger als eine Sprache über Menschen in wenigen Sätzen, in Bildern von großer Gewalt und Aussagekraft zu verpacken. Ungeschönt vermittelt er das Grausame, das in Menschen schlummern könnte: Antichrist mutet wie ein Horrorfilm an, aber auf ganz andere Weise. Die verstörenden Effekte finden sich nur in der Beziehung zwischen zwei Menschen, die sich doch eigentlich zum Trauern in einen Wald zurückgezogen haben. 

Dabei schweben die Themen Strafe und Schuld, Schmerz und Trauer wie ein Damoklesschwert über dem Geschehen. Der Titel Antichrist wie auch der Wald Eden als Symbol für eine Art Garten Eden wirken wie eine Umkehr der Geschichte von Adam und Eva oder Maria und Joseph. Lars von Trier schafft damit eine Kritik an menschlicher, vielleicht sogar übernatürlicher Ordnung in Form von grauenerregendem Verhalten, das Menschen haben können. Sein von nur zwei großartigen Schauspieltalenten getragener Film provoziert noch immer, indem er Abgründe ausleuchtet. 

Dabei scheint oft gar nicht klar, wer hier eigentlich der oder die Böse ist. Natürlich: Sie fügt ihm und sich selbst qualvolle Schmerzen zu, will ihn auf heftige Weise wortwörtlich anketten (indem sie einen Schleifstein an seinem Bein befestigt). Er: war selten für sie und den Sohn da, befand ihre Dissertation für oberflächlich. Bei der Beurteilung der Art, mit dem Schmerz um ihr einstiges Lebensglück umzugehen, dürften sich die Geister scheiden.

Wer schon immer mal einen Skandalfilm höchster Stufe sehen wollte, hat hier die Möglichkeit. Lohnen tut sich die Erfahrung allemal.

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