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... und das Kino denkt sich selbst (V): Superhelden, Kotzgeräusche, Kinderfilm

Ein Beitrag von Rochus Wolff

Fünfter Teil unserer Jahresserie Korpus Kino: Wir gehen der Frage nach, was Kino überhaupt ist. Auf jeden Fall mehr als ein bloßer Abspielort für Filme. Unser Autor Rochus Wolff schreibt über die Rolle des Kinos im Kinderfilm.

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Kinderfilm_Rochus

First Blood läuft im Kino, der erste Rambo-Film, und draußen steht der schmächtige Will Proudfoot, elf Jahre alt, mit seiner Gemeinde und protestiert gegen das Böse auf der Leinwand. Dabei wird der Freche im Kinosessel zu einer viel größeren Herausforderung: Denn drinnen fläzt sich Lee Carter, ungefähr gleich alt, aber ungleich selbstbewusster, in den roten Bezug, eine Videokamera locker auf die Leinwand gerichtet, eine Zigarette in der anderen Hand.
 

Es sind die 1980er in der Provinz, und das Kino ist ein Raum voller Versprechen: Versuchungen, Grenzüberschreitungen, Geschichten. Will malt Hefte, Bücher und Klowände mit Cartoonbildern voll, Lee produziert Raubkopien und träumt aber eigentlich davon, einen eigenen Film zu machen – der wird am Ende sogar in eben diesem Kino laufen, das am Anfang zu sehen ist. Garth Jennings hat mit Der Sohn von Rambow dem Kino als Möglichkeitsraum ein Denkmal gesetzt und damit ein Motiv auch in den Kinderfilm übertragen, das das Kino schon seit seinen frühen Tagen kennt: Eine Illusionsmaschine, die sich selbst reflektiert und vergrößert.

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Dass es hier zuallererst die Muskelmänner und Actionszenen sind, die Kinderaugen (lies: Jungsaugen) zum Leuchten bringen, kommt nicht von ungefähr. Immer wieder sind es die wilden Kämpfe und großen Sieger, die im Kinderfilm auf den Leinwänden strahlen.

Nicht immer ist das dann ein Erweckungserlebnis zum Geschichtenerzähler (wie es zum Beispiel Spielberg in Die Fabelmans – eher kein Kinderfilm – erzählt). In Bekas – Das Abenteuer von zwei Superhelden erhaschen zwei Brüder im Irak der 1990er Jahre durch ein Dachfenster ein paar verstohlene Blicke auf Richard Donners Superman. Und während der ältere der zwei schon einen etwas klareren Blick auf die Welt hat, ist für den jüngeren Bruder klar: Er will nach Amerika, wo Superman wohnt! Das Kino als Ort bleibt dabei ein Mysterium, selbst von ihrem Dachfenster werden sie sogleich vertrieben: Die Zugangshürde Geld ist zu groß, es bleibt beim kurzen Blick, bei der Ahnung von mehr.

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Samay hat es da leichter, der junge Held aus Das Licht, aus dem die Träume sind; nachdem er bei einem Kinobesuch mit seiner Familie dem Filmvirus verfallen ist, obwohl sein Vater ihm nur diesen einen, religiösen Film zeigen wollte („Für dich ist es die erste Vorstellung und die letzte!“). Samay zweigt erst ein wenig Geld aus der Kasse des Vaters ab und schwänzt die Schule, um ins Kino zu gehen; schon bald freundet er sich mit dem Filmvorführer an, guckt aus dessen kleiner Luke Film um Film, streichelt und küsst den Projektionsapparat wie eine gute Freundin.

In Samays indischer Provinz werden noch große Filmspulen herumgewuchtet (und geklaut, um in einem selbstgemachten Kino den weißen Sari der Mutter als Leinwand bestrahlen zu können), da ist Film auch noch ganz und gar haptisches Medium; in Der Sohn von Rambow regiert schon die Videokassette.

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Erst ein Kinderfilm hat die Begeisterung für das Medium – aber nicht mehr unbedingt für den Ort Kino – einigermaßen in die Gegenwart gebracht: In den ganz und gar großartigen Die Mitchells gegen die Maschinen will die junge Katie unbedingt nach der Highschool an eine Filmschule in Kalifornien. Ihre Kurzfilme und Clips entstehen nur noch digital, geprägt und durchdrungen von der Ästhetik aus Comics, Social Media und viel, viel Filmgeschichte. Dass sie das einzige Mädchen in den genannten Filmen ist, sagt viel darüber aus, wie wir uns Filmemacher vorstellen, nämlich meist männlich, ohne *innen. Dass sie es mit digitalen Medien tut, spiegelt die Hoffnung, dass mit günstigeren, verfügbaren Produktionsmitteln Fantasie entscheidender sein kann als Geschlecht.

So, wie Das Licht, aus dem die Träume sind am Ende Filmemacher*innen aller Kulturen in einer Aufzählung würdigt, so sehr sind Katies Filme, Wills und Lees Videos eine Feier der puren Lust am Filmemachen. Das Kino findet darin dann hoffentlich dennoch wieder seinen Platz. Weil auch die jüngsten Filmemacher*innen davon träumen, dass ihre Filme so gesehen werden, im Dunkeln, der Fokus ganz auf der Leinwand, das Umfeld ein Palast.

Abgelenkt werden wir dann höchstens noch von so wunderbaren Missetätern wie Chunk, der in Die Goonies beichtet: Einmal habe er im Kino selbst gemixte Fake-Kotze unter Kotzgeräuschen von der Empore herabfallen lassen, sodass sich das gesamte Publikum unten schließlich erbrechen musste.
Das ist mehr als 3-D-Kino, das ist 4-D, gar 5-D. William Castle wäre stolz darauf.

 

 

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