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Jubiläumsjahr 2004 – März: Gegen die Wand

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Kino-Zeit feiert 20 Jahre. Jeder Monat des Gründungsjahres bekommt einen Film, der im Blick zurück betrachtet wird. Joachim Kurz über „Gegen die Wand“.

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Filmstill zu Gegen die Wand (2004) von Fatih Akin
Gegen die Wand (2004) von Fatih Akin

„Ich will leben, Cahit. Ich will leben, ich will tanzen, ich will ficken. Und nicht nur mit einem Mann.“ Diese Worte aus dem Mund von Sibel (Sibel Kekilli) in Fatih Akins Gegen die Wand erschütterten die 54. Berlinale im Jahr 2004. So unverblümt, so direkt und ganz ohne Drehbuch-Papiergeraschel hatte schon lange kein Film aus Deutschland mehr den Geist der Rebellion, des jugendlichen Aufbegehrens und der Lebenslust, die sich gegen alle Widerstände durchsetzen will, auf den Punkt gebracht. 

Die arrangierte Ehe, mit der die junge Türkin Sibel aus ihrem restriktiven Elternhaus ausbrechen will, wird zu einer amour fou, als ihr Ehemann wider Willen (zumindest anfänglich), der Alkoholiker Cahit (Birol Ünel), sich ernsthaft in die viel jüngere Frau verliebt. Was die beiden bei ihrer ersten Begegnung eint — der Hang zu selbstzerstörerischem Handeln — ist in Wirklichkeit ein unstillbarer Hunger nach Leben, gepaart mit der Ahnung, dass diese radikale Freiheit hart erkämpft werden muss. Ein Fight, an dem beide fast zugrunde gehen.

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Dass Gegen die Wand in der deutschen Filmlandschaft für Unruhe sorgte, lag nicht allein an der Wucht des Films, sondern auch ein wenig an der Herausbringungspolitik des gerade neu gegründeten Verleihs Timebandits. Der nutzte die Gunst der Stunde und wollte das Ding so schnell wie möglich raushauen, was erboste Reaktionen anderer kleinerer Verleiher hervorrief, die sich in die Ecke gedrängt sahen. 

Obwohl es im gleichen Jahr bemerkenswerte andere deutsche Filme gab, wie man sie sich heute nicht unbedingt leicht vorstellen kann (an dieser Stelle sei noch einmal an  Muxmäuschenstill erinnert), wirkte Gegen die Wand wie eine Schockwellentherapie. Plötzlich war das deutsche Kino cool, barst vor Energie, Lebensfreude, rebellischem Geist und Emotion, riskierte etwas und gewann dabei auf ganzer Linie. Diese Vitalität und Unbekümmertheit fehlen dem deutschen Kino weitestgehend und rückblickend wirkt es fast wie ein Versehen, dass solch ein Drehbuch von Förderern und Redakteur*innen durchgewunken wurde. Wie kommen wir da wieder hin?

Zu sehen ist der Film derzeit bei zahlreichen Streaming-Anbietern, unter anderem bei Prime Video, Arthaus +, Magenta TV, Kino on Demand und La Cinetek.

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