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Kolumnen

Über den über jeden Zweifel erhabenen Künstler

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Unzählige Biopics setzten sich in diesem Jahr mit den Leben von Künstlern auseinander. Aber warum müssen ausgerechnet Filme über die interessantesten Menschen derart Klischees reproduzieren?

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Django von Étienne Comar
Django von Étienne Comar

Die Berlinale ist für viele der erste filmische Höhepunkt des Jahres, 2017 begann sie mit einem Film, der sich als Omen für das Kinojahr entpuppen sollte. Étienne Comars Django: ein klassischer Berlinale-Eröffnungsfilm. Ein Künstlerbiopic, in diesem Fall über den Jazz-Gitarristen Django Reinhardt. Etwas zu viele Sepiafilter, etwas zu verspannt, ein bisschen langweilig. Bei einem Festivaleröffnungsfilm erwartet man allerdings auch nicht allzu viel. Django wurde ohne viel Federlesen abgehakt. Im Laufe des Jahres sollten mich aber noch einige Künstlerfilme die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lassen.

Überbordendes Talent, filmreife Lebensläufe, unkonventionelle Überzeugungen, visueller Überschwang – Künstler- und gerade Malerbiografien scheinen wie für das Kino gemacht. Vielleicht sollte das mal jemand den Filmemachern sagen. Der wohl ärgerlichste Fall folgte gleich noch auf der Berlinale: Über Stanley Tuccis Alberto-Giacometti-Biopic Final Portrait zu schreiben, produziert einen Text voller Klischees, etwas anderes bietet ja auch der Film nicht. Geoffrey Rush geht ganz auf in der Rolle des brummelnden, wirrhaarigen, Kette rauchenden Solitärs, und richtig stereotyp wird es bei den Frauenfiguren. Clémence Poésy als seine Muse: eine unfassbar quietschige Prostituierte, die nicht viel mehr zu tun hat, als ihn zu umwerben und Geschenke anzunehmen. Sylvie Testud als die hagere Ehefrau, das übel aufgelegte Heimchen, ohne dessen organisatorische Fähigkeiten im Haushalt der große Künstler völlig aufgeschmissen wäre. Es gibt Filme, die anhand solcher Dynamiken das Ambivalente der Figur entlarven. Final Portrait begafft Giacometti hingegen nur fasziniert, als sei er als Künstler automatisch über jeden Zweifel erhaben – kein Wunder, dass diese Ansicht weiter als Entschuldigung für nahezu jeden Fehltritt gilt.

Weitere Perlen: Die Max-Frisch-Verfilmung Rückkehr nach Montauk von Volker Schlöndorff entwickelte sich mit zunehmender Laufzeit immerhin zur Dekonstruktion eines von Vaterkomplexen gebeutelten Schriftstellers mit fancy Intellektuellenschal. Aber auch hier gilt alles Interesse der zarten Künstlerseele. Das Motiv zieht sich durch: Jacques Doillons Auguste Rodin bewies, dass sich das Genie eines Künstlers nicht zwangsläufig enthüllt, wenn man den Darsteller nur lange genug vor der Kamera Lehm formen lässt. Schließlich Michel Hazanavicius‘ Godard-Hommage Redoutable. Eine einzige Imitation und dabei so beliebig, dass man am Ende den Eindruck bekam, Godard sei selbst genauso ein Poser wie Hazanavicius.


Trailer zu Loving Vincent

In der zweiten Hälfte des Jahres bildeten dann aber doch zwei Filme ein positives Gegengewicht: Es ist nicht so, als wären in Edouard Delucs Gauguin oder in Dorota Kobielas Loving Vincent die Künstler weniger gebeutelt. Neu sind die Sichtweisen auf ihr Dasein und Schaffen. Deluc lässt Paul Gauguins Vorstellungen eines unberührten, naturbelassenen Tahiti mit der fortschreitenden Kolonialisierung verpuffen, das Grün der Insel zur Seelenlandschaft eines enttäuschten Zivilisationsflüchtlings werden. Dabei versäumt er noch nicht einmal auch Gauguins Geliebten und Muse (Tuheï Adams) eine eigene Stimme zu geben. Loving Vincent hingegen strickt aus dem Mysterium um Vincent van Goghs Tod eine Ermittlergeschichte und lässt dabei geschickt die Grenzen zwischen Malerei, Fotografie und Film verschwimmen – der Film besteht nämlich aus 65000 Ölbildern in van Goghs Stil.

Es geht also doch. Künstlerportraits lassen es zu, mit Formen, Genres und Erzählweisen, mit der Übertragung von Kunst von einem Medium ins Andere zu experimentieren. Für 2018 sind unter anderem Filme über Andy Warhol, Freddie Mercury, John Callahan und Catherine Weldon angekündigt – hoffen wir das Beste.

(Katrin Doerksen)

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