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Kolumnen

Selbstvergewisserungsfilme für Männer

Ein Beitrag von Alexander Matzkeit

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Fight Club

Kennen Sie das? Sie lernen bei einer Party einen Mann zwischen 18 und, sagen wir, 55 kennen, unterhalten sich gut und erwähnen nach einiger Zeit vorsichtig, dass Sie sich sehr für Kino interessieren. Die Augen Ihres Gegenübers leuchten auf. Auch er interessiere sich für Filme, sagt er. Er sei sogar ein echter Filmkenner. Fight Club, das sei ein toller Film – haben Sie davon schon mal gehört?

Katie, eine Nutzerin der Filmdatenbank Letterboxd, musste diese Situation anscheinend schon öfter ertragen. Sonst hätte sie wohl kaum eine Liste angelegt mit dem Titel „Movies that snobby men ask if I’ve heard of cause I say ‚I’m into film‘ “ (etwa: Filme, bei denen versnobte Männer fragen, ob ich sie kenne, weil ich sage, dass ich Filme mag). Inzwischen existiert die Liste nur noch im Google Cache, aber die Auswahl, mit Ausnahme des wahrscheinlich ironischen Ausreißers Barbie in The Nutcracker, ist bezeichnend.

Blade Runner, Gladiator, Taxi Driver, Inception oder Mad Max: Fury Road. Es sind die Art Filme, von denen man als junger Mann schon auf dem Schulhof Raunen gehört hat. Einer der Klassenkameraden hatte mit einer ausgeleierten VHS (diese Erwähnung von Technik verrät mein Alter) von Requiem for a Dream oder Donnie Darko ein Erweckungserlebnis, wie es nur Teenager haben können. Plötzlich wusste er, was Kino sein kann. So abgefahren, das hast du noch nicht gesehen.

Katie kann fast froh sein, dass in ihrer Liste nur ein Film von Quentin Tarantino auftaucht (Pulp Fiction). Die Autorin Ali Elkin hat im Internetmagazin McSweeny’s gleich eine ganze „Oral History of Quentin Tarantino as told to me by men I’ve dated“ zusammengetragen. Wenn Männer einer bestimmten Spezies erstmal loslegen mit der Filmkennerschaft, gibt es kein Entkommen mehr, scheint Elkin zu sagen. Sie identifizieren sich nicht nur mit den Filmen, sondern auch mit ihren Regisseuren – mit den Männern, die es überhaupt gewagt haben, solche Filme zu erschaffen. Meist Außenseiter mit einer singulären Vision, die sich durch nichts haben kleinkriegen lassen. So will es zumindest die Legende. Und so wären die, die ihre Geschichte erzählen, auch gerne.

Das nämlich verbindet die Filme von Tarantino, die Filme von Katies Liste und ein paar weitere: Es sind Selbstvergewisserungsfilme für Männer, die nach einem Weg suchen, ihre existierende Liebe zu Kunst – eine Regung starker Gefühle also – mit einem Männlichkeitsbild zu vereinen, das von Männern nach wie vor Härte verlangt. Solche Männer dürfen natürlich keinesfalls Filme toll finden, deren Kunst weiblich assoziiert sein könnte: Melodramen, Liebesgeschichten, Musicals, überhaupt alles, was nach den Umkleiden und der Schminke des Theaters riecht, ist ausgeschlossen. Aber Filme von harten Männern über (größtenteils) harte Männer, die einsame Entscheidungen treffen, sind erlaubt. Fincher, Kubrick, Nolan oder Tarantino zu schauen, das ist wie Hemingway, Salinger oder Kerouac lesen.


(Bild aus How I Met Your Mother; Copyright: FOX Television)

Ich möchte diese Filme gerne den „Bro-Kanon“ nennen. Der „Bro“, eigentlich kurz für „Brother“ und im Englischen als Anrede etwa analog zum deutschen „Alter“ zu gebrauchen, hat in den USA bereits Subkultur-Status. Von einer ursprünglich recht eng definierten Unterart sportlicher junger Männer, die miteinander feiern und Bier trinken, hat sich Bro-Kultur inzwischen zu einem Allzweck-Begriff für alles ausgewachsen, was Männer nach eigenem Empfinden nur mit anderen Männern teilen können. Spätestens durch die von Neil Patrick Harris verkörperte Aufreißerfigur Barney Stinson in der Serie How I Met Your Mother wurde das Bro-Dasein dann auch kodifiziert: Was dürfen Bros, was dürfen sie nicht, und wie haben sie miteinander umzugehen? Das alles ist in Stinsons Leben klar geregelt und wurde längst in Buchform veröffentlicht.

Es ist erstaunlich, welchen kulturellen Einfluss die vermutlich ursprünglich ironisch angelegte Figur (Harris ist einer der prominentesten schwulen Männer Hollywoods und des Broadway) in den 2000er-Jahren geltend machen konnte. Ihre neueste und vielleicht faszinierendste Ausprägung ist der sogenannte „Bernie Bro“. Ein Anhänger eigentlich progressiver Politik, wie sie vom demokratischen Präsidentschaftsanwärter Bernie Sanders vertreten wird, der jedoch auf klassisch männliche Art von seiner eigenen Meinung so überzeugt ist, dass er kein Ohr mehr für die Zwischentöne der Gegenrede hat, gerade wenn sie von einer Frau kommt. Besonders gerne verkündet er, dass Bernie (ein Mann) natürlich gewonnen hätte, wo Hillary (eine Frau) verloren hat. Man könnte auch sagen: Er findet es besser, nicht zu regieren als falsch.


Trailer zu Mad Max: Fury Road

Ein solch absolutes Bewusstsein verbindet auch die Filme des Bro-Kanons miteinander, über ihre Protagonisten und Regisseure hinaus: Sie sind unterm Strich doch mehr Kommerz als Kunst, in der Regel weder besonders subtil noch so ambitioniert, dass sie die Zuschauenden tatsächlich vor den Kopf stoßen, weil sie Leerstellen lassen, die es auszuhalten gilt. Fast immer liegen sie exakt in jenem sweet spot, in dem sich das Publikum klug fühlen kann, obwohl es kaum aktive Rezeptionsleistung zum Filmgenuss beitragen muss. Dadurch eignen sich Filme von Filmemachern wie Darren Aronofsky oder Ridley Scott natürlich auch besonders gut zum Mansplainen. Im Zweifelsfall liefert der Filmemacher die Angeber-Interpretation sogar direkt mit, nach dem Motto: „Wussten Sie, dass es in Mother! eigentlich um den Klimawandel geht?“

Wenn die Hashtag-Bewegung #MeToo und die vielen Männer, die sie jetzt schon zu Fall gebracht hat, eines gezeigt hat, dann ist es für mich, wie viele Männer traurigerweise nach wie vor Macht einsetzen müssen, um sich gegenüber Frauen ihrer eigenen Virilität zu versichern. „Fragile Männlichkeit“ wird das in Soziologie und Psychologie bereits genannt – eine Brüchigkeit männlicher Identität, die durch Überkompensation aufgefangen werden muss. Filmgenuss im Sinne des Bro-Kanon ist ein zwar harmloses, aber gutes Beispiel dafür.

Damit sei übrigens auf keinen Fall behauptet, dass die aufgezählten Filme schlecht sind. Im Gegenteil: Oft liegt ihre Qualität sogar darin, dass sie Männlichkeit selbst äußerst kritisch beleuchten. David Finchers präzise inszenierter Fight Club, vielleicht durch Brad Pitts Tyler Durden der prototypischste Bro-Film überhaupt, handelt explizit davon, wie zerstörerisch Männlichkeit ausarten kann und wie auch Frauen, hier die von Helena Bonham Carter gespielte Marla, darunter leiden. Der Held von Mad Max: Fury Road überlebt nur, weil er irgendwann einsieht, dass ihm Charlize Therons Figur Furiosa ebenbürtig ist und er besser mit ihr zusammenarbeiten sollte. Im Mythos der Filme jedoch geht diese Komponente gerne unter. Die Coolness von Tyler Durden oder Taxi Driver Travis Bickle überlebt. Die Tatsache, dass sie die toxische Fantasiefigur eines gelangweilten Büroknechts oder ein psychotischer Attentäter sind, verliert sich.


(Bild aus Taxi Driver; Copyright: Neue Visionen Filmverleih)

Der Appell an Männer kann daher nur lauten, sich mit diesem Verlust nicht gemein zu machen. In Filmen nicht nur die Bestätigung der eigenen Männlichkeit zu suchen, sondern auch die eigene Weiblichkeit zu erforschen. Und natürlich nicht zu glauben, dass sie fremden Frauen auf Partys die Filmwelt erklären müssen, weil sie einige ziemlich bekannte Filme am Rande des Mainstreams gesehen haben. Stattdessen einfach fragen, welche Filme sie eigentlich mag. Es könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.

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