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Kolumnen

Cinephilie - Aus Liebe zum Kino

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Seit kurzem ist Cinephilie in aller Munde und auf dem besten Weg, zum Buzzword zu werden, wenn es um die Zukunft des Kinos geht. Was verbirgt sich dahinter?

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L'Ideal Cinéma in Aniche, das älteste noch aktive Kino, eröffnet 1905
L'Ideal Cinéma in Aniche, das älteste noch aktive Kino, eröffnet 1905

In den letzten Wochen und Monaten hat das Wort Cinephilie (oder auch Cineastik = die Liebe zum Film und zum Kino), das sonst eher selten den Diskurs über Film und Kino in Deutschland beherrscht, rasant an Aufmerksamkeit gewonnen. Das liegt vor allem an der Gründung des Hauptverbandes Cinephilie, die pünktlich zur Berlinale erfolgte und die ganz offensichtlich einen Nerv traf (der Aufruf zur Cinephilie findet sich hier). Seitdem hält sich — erstaunlich genug — das Thema in der Diskussion.

Dass zahlreiche Medien sich begierig auf das Thema gestürzt haben — u.a. Der Spiegel, Blickpunkt:Film, taz, Stadtrevue, Süddeutsche Zeitung, Der Freitag, artechock — ist nicht allein dadurch zu erklären, dass sich in den Kreisen des Hauptverbandes und unter den Erstunterzeichner*innen auch Journalist*innen befinden (unter anderem ja auch der Verfasser dieses Textes), sondern auch am nicht mehr schleichenden, sondern laut galoppierenden Unbehagen über den Zustand des Films und des Kinos vor allem in Deutschland.

Nun gehört Meckern und Jammern vor allem in Deutschland quasi zur Wesensart, doch in den letzten Jahren ist es unübersehbar, dass die Branche in eine bedenkliche Schieflage geraten ist. Die vielfach beschworene Kinokrise, die im letzten Jahr mit einem Besucherrückgang um die 14 Prozent zu Buche schlug, ist eben auch eine Krise der Kinokultur. Zum wirtschaftlichen Versagen kommt immer deutlicher auch ein künstlerisches hinzu — oder vielmehr eine grobe Missachtung all dessen, was Film und Kino neben einem point of sale für Popcorn, Soft Drinks und andere Nebensächlichkeiten auch sein kann.

Was fehlt, hat Jakob Kijas vom eksystent Filmverleih in einem Interview mit der taz auf den Punkt gebracht — es ist genau das, was man in der letzten Zeit immer wieder beobachten kann: Es herrscht ein eklatanter Mangel an Wertschätzung für die kulturvermittelnden Tätigkeiten im Kino, auf Festivals oder im Bereich der Filmkritik, die nicht adäquat gefördert werden. 

Vor ziemlich genau einem Jahr entstanden beim Kongress Zukunft deutscher Film während des Lichter Filmfest nach intensiven Diskussionen die „Frankfurter Positionen“ (unter anderem hier nachzulesen), die seitdem immer wieder aus der befürchteten Versenkung aufsteigen. Neben den Diskussion über die Novelle des Filmfördergesetzes sind sie so etwas wie ein Gegenentwurf all der Träumer und Utopisten, die sich nun zu einem nicht geringen Teil auch in den Reihen des Hauptverbandes Cinephilie wiederfinden. Sowohl das für deutsche Verhältnisse ziemlich radikale Frankfurter Papier wie auch die Auftakterklärung der Cinephilen bilden eine exzellente Grundlage, um das derzeit existierende und nicht sehr erfolgreiche System der Filmförderung, aber auch der (quasi nicht existenten) Filmvermittlung neu und anders zu denken.

Natürlich kann man — was auch sofort geschah — die Positionen sowohl der Frankfurter wie auch des HvC angreifen und in ihre Einzelteile zerlegen. Sicherlich ist vieles dabei Wunschdenken, Utopie, Fantasterei — zumindest für die Sachstandsverwalter und professionellen Bedenkträger, die jede Diskussion in Deutschland, ganz gleich, ob es dabei um den Klimawandel oder das BGE geht, in Grund und Boden schwafeln und sich immer nur am Status Quo orientieren. Aber: Die Krise ist da, der Wandel längst eingetreten. Und wir werden ihm nicht begegnen können, wenn wir am Alten und nicht mehr Bewährten festhalten. 

Gerade wurde das erste Arbeitstreffen des HvC abgeschlossen (ich selbst konnte leider nicht mit dabei sein, da ich seit Kurzem in der Kinemathek Karlsruhe angewandte Cinephilie am lebenden Objekt erprobe), viele weitere werden folgen. Gerade weil die Cinephilie — anders als dies in Frankreich der Fall ist — in Deutschland nie große Verbreitung fand und bislang stets kleinen Zirkeln vorbehalten war, wird es wohl eine gefühlte Ewigkeit dauern, bis sich Liebe zum Film und zum Kino sowie Wertschätzung und Respekt vor dem Anspruchsvollen und Unbequemen, dem Wagemutigen und Sperrigen, dem nicht einfach zu Vermarktenden wieder etabliert haben. Und ja: vielleicht ist es auch ein Kampf gegen Windmühlen, ein Anrennen gegen die Tendenz zum Leichten-Seichten, zum Film als Konsumgut, das vielfach nur noch wie schmückendes Beiwerk zum Getränkeverzehr und Promi-Watching erscheint, gegen die allgemeine Verblödung und die immer weiter fortschreitende Ununterscheidbarkeit zwischen Kino und Fernsehen, gegen die neoliberale Überflutungsmaschinerie der Streamingdienste (wobei man diese differenziert betrachten sollte, weil Anbieter wie MUBI und LaCinetek exzellente Angebote bereitstellen, die der Idee des Cinephilen viel mehr helfen als ihr zu schaden).

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Dabei erweist sich die grundlegende Schwammigkeit des Begriffs Cinephilie als Liebe zum Film und zum Kino als Sollbruchstelle des Gedankenkonstrukts und wird für längere Diskussionen sorgen. Während früher Kino und Film weitgehend deckungsgleich waren (wenn man das Fernsehen mal außer acht lässt), driften die beiden Bereiche heute — wie etwa Fälle wie Roma zeigen — immer weiter auseinander und stellen Kinobetreiber vor eine schwierige Wahl: Soll man einen der besten, wenn nicht sogar den besten Film des Jahres nicht zeigen, weil dessen Distributionskanal allgemein als Totengräber des Kinos gilt? Eine Frage, die sich vor allem auch Filmfestivals stellt und bei der seit Jahren ein (immerhin konsequenter) Schlingerkurs gefahren wird.

Überhaupt spielen Festivals neben den Kinos in der Frage der Cinephilie eine zunehmend wichtige Rolle: Im Gegensatz zu den Kinos haben sie überwiegend nicht mit rückläufigen Besucherzahlen zu kämpfen, sondern erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Umso wichtiger ist es deshalb, dass sie sich ihrer Verantwortung für den Film und das Kino bewusst werden. Das sie Bewusstseins- und Geschmacksbildung betreiben, das Kino (auch gerade das vor Ort) stützen und nicht als Konkurrenz begreifen. Dass sie Strömungen der Filmkunst und so die Vielfalt der Kinematographien sichtbar und zugänglich machen und nicht den verführerischen Weg der Eventisierung und Aufmerksamkeitsökonomie durch möglichst viele Promis beschreiten.

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Was man selbst tun kann? Als Zuschauer ist es ganz einfach: Nicht kapitulieren vor dem (Über)Angebot, dem Kino die Treue halten und all jene Kinos mit einem Besuch beglücken, die seit vielen Jahren exzellente kuratorische Arbeit leisten, die mit Herzblut und Liebe zum Kino (und zum Film) allen Widrigkeiten des Zeitgeistes trotzen. Sich engagieren in Kommunalen Kinos und Kinematheken. Wach und aufmerksam bleiben, wieder mehr über Kinos reden. Die Auswahlmechanismen von Festivals einerseits wertschätzen, andererseits aber auch kritisch begleiten. 

Als im Kino und für das Kino Tätiger ist die Frage auch nicht viel schwieriger zu beantworten: Statt neue und wichtige Strömungen wie etwa den Hauptverband Cinephilie von vornherein aus Distinktionsgelüsten heraus niederzuschreiben, sollte (nein, muss) diese Arbeit unterstützt werden. Es geht nicht allein um die Zukunft der Filmkunst, sondern auch um die Zukunft des Kinos. Liebe allein wird das Kino nicht retten. Aber es ist immerhin mal eine verdammt gute Grundlage.

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