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Jahresrückblick

Wie Annihilation mich dem Horrorfilm nähergebracht hat

Ein Beitrag von Maria Wiesner

Hätte mich zu Beginn dieses Jahres jemand gefragt, wie ich zu Horrorfilmen stehe, ich hätte klar geantwortet: Nichts für mich. Es galt lange Zeit die Faustregel: Suspense ja, Grusel nein.

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Auslöschung von Alex Garland
Auslöschung von Alex Garland

Hätte mich zu Beginn dieses Jahres jemand gefragt, wie ich zu Horrorfilmen stehe, ich hätte klar geantwortet: Nichts für mich. Es galt lange Zeit die Faustregel: Suspense ja, Grusel nein. Ausgerechnet ein Film, bei dem mir im wahrsten Sinne des Wortes die Haare zu Berge standen, sollte das ändern.

Als im Frühjahr Netflix Annihilation ins Programm nahm, waren alle Kritiker, auf deren Meinung ich etwas gab, hellauf begeistert. Die Story war vielversprechend – fünf Militärexperten begeben sich in eine Zone, in der etwas Außerirdisches gelandet ist und aus der noch niemand unversehrt zurückkehrte. Sie alle sind weiblich, schon das ein hinreichender Grund, den Film zu sehen, bleiben Rettungskommandos für die Menschheit sonst doch fast ausschließlich Männersache. Der Trailer verriet nicht viel, aber hielt so einige Gruselelemente bereit. 

Wer nun denkt, ich würde übertreiben, wenn ich sage: „Grusel ist nichts für mich“, der kann jede Kritikerin und jeden Rezensenten fragen, die jemals während eines Filmfestivals neben mir in einem Horrorfilm saßen. Ich rutsche auf meinem Stuhl herum, ich versinke darin, sobald eine Tür knarrt oder die Musik anschwillt, ich kralle mich in der Armlehne fest, wenn die Gespenster auf die Kamera zuschießen. Während der Premiere von Black Swan – ja genau, der Ballettfilm! – tat ich das in Venedig mehrmals, bis ich feststellte, dass ich nicht die Lehne, sondern den Arm des australischen Kollegen neben mir zerquetschte. Er sprach nie wieder ein Wort mit mir. 

All das erzählte ich auch einer Freundin, die unvorsichtigerweise Interesse an Annihilation geäußert hatte. Sie versicherte, es ginge ihr ähnlich bei Horrorstreifen, also beschlossen wir, es wie die fünf Frauen im Film zu halten und uns zusammen zu tun. Man soll sich seinen Ängsten ja stellen.

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Wie gut gemacht dieser Film ist, wurde anhand einer Szene klar, die gegen Ende des ersten Drittels spielt. Natalie Portman stapft als Biologin zusammen mit vier weiteren Expeditionsteilnehmerinnen in fleckigem Militärkhaki über ein weites Feld auf der Suche nach einem verlassenen Stützpunkt. Die Frauen sind bereits eine geraume Zeit innerhalb des kontaminierten Gebietes. Wie lange weiß niemand, denn sobald sie die Gegend betreten haben, versagten ihre technischen Geräte. Einige mutierte Wesen haben sie in der seltsam geformten Natur bereits entdeckt, zuletzt kämpften sie gegen einen Alligator mit Haifischgebiss (ich prügelte auf ein Sofakissen ein). 

Allerlei Grund auch hinter der nächsten Ecke Ungemütliches zu erwarten. Nun also dieser Gang über das Feld. Die Kamera zeigt die Supertotale, die Sonne scheint, das Gras wogt. Hier gibt es nichts, vor dem man sich fürchten müsste. „Stellen sich Dir auch gerade die Haare auf“, fragt die Freundin und zeigt zum Beweis ihren Arm. Ich bin schon längst in angespannter Haltung in meinem Sessel verkrampft. Aber warum? Hier passiert gerade überhaupt nichts Gruseliges auf der Bildebene, nur fünf Frauen, die marschieren. Und doch hat mein Gehirn auf „äußerst gefährlich“ umgeschaltet. Es braucht zwei Augenblicke, bis klar wird, dass es an der Musik liegt. 

Was Geoff Barrow und Ben Salisbury hier komponiert haben, schlüpft ganz subtil ins Unterbewusstsein und lässt dort alle Alarmglocken klingeln. Es ist wie der Schimmer, der sich aus dem All auf das Gebiet an der Küste gelegt hat, in dem Natalie Portman hier mit ihren Gefährtinnen auf der Suche nach der Wahrheit herumstapft: Es ist faszinierend schön und gefährlich zugleich. 

Und irgendwie haben Barrow und Salisbury ganz nebenbei meine Angst vor Grusel kuriert. Ich habe mir unlängst einen alten Horrorstreifen aus den 1980ern angesehen – allein. Wenn es so weitergeht, ist über Weihnachten die David-Lynch-Box fällig.

Foto Maria Wiesner

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