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Wie einst Andrej Tarkovskij schleicht sich Alex Garlands neuer Film im Gewand eines Sci-Fi-Filmes heran, um dann das komplette emotionale Register des Psycho-Horrors gepaart mit philosophischen Momenten zu ziehen. Gebt dem Mann Geld, wir brauchen mehr Filme wie „Auslöschung“!

Auslöschung (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Schimmernder Existentialismus

„Was hast du gegessen?“ – eine Frage so banal wie verblüffend relevant. Mit ihr beginnt Alex Garlands Auslöschung, gerichtet ist sie an Lena (Natalie Portman), die Biologin, jetzt Lena, die Überlebende, die einzige, die beantworten kann, was auf ihrem Himmelfahrtskommando hinein in eine Zone, die alle nur „Der Schimmer“ nennen, geschehen ist.

Doch Lena weiß es nicht. Sie erinnert sich nicht. Oder vielleicht ist ihr diese Frage doch zu einfach. Essen, um den Körper am Leben zu erhalten, ist ein so einfaches Konzept, dass es im Angesicht der Erfahrungen verblasst, die sie gerade gemacht hat, im Angesicht der Auflösung, nein, der Auslöschung aller Konzepte menschlicher Existenz, die uns durch den Kopf und die Gene gehen.

Es ist vielleicht nicht verwunderlich, dass Paramount vor allem nach den, ökonomisch gesehen, Flops von Blade Runner 2049 und mother! kalte Füße bekommen und Garlands Romanadaption Auslöschung an Netflix verkauft hat. Doch dieses monetäre Kalkül ist gleichsam eine künstlerische Schande, ein Ausverkauf und Einknicken vor dem kleinsten gemeinsamen Faktor von Filmunterhaltung, die nicht zu intellektuell sein darf, nicht zu philosophisch, nicht zu anstrengend. Es geht nicht darum, Netflix zu verteufeln, denn ohne diesen Dienst hätte es gut sein können, dass der Film gar nicht das Licht der Welt erblickt. Es geht vielmehr darum zu betonen, dass ein Film wie dieser ins Kino gehört. Zum einen weil Garland hier ein visuell überwältigendes Werk geschaffen hat, das man schlichtweg auf großer Leinwand sehen sollte, und zum anderen weil man die Kinoleinwände dieser Welt nicht den Marvels, DCs und RomComs von der Stange überlassen sollte. Und so geht es bei Auslöschung am Rande auch um die Frage nach der Existenz der Filmkunst im Kino – ein spannender doppelter Boden, der sich hier auftut, den dieser Film aber gar nicht gebraucht hätte. Er ist schon so, ganz für sich, spannend und vielschichtig genug.

Lena. Biologin. Frau von Kane (Oscar Isaac), einem Soldaten, der in den Schimmer eintrat und als einziger je wieder herauskam. Obwohl dies debattierbar ist, denn dort an ihrem Küchentisch sitzt eines Tages unverhofft ein Mann, der aussieht wie Kane, aber nicht viel mit ihm zu tun hat. Auch er hat keine Antworten auf Lenas banale Fragen. Wo war er? Was ist passiert? Und dann fällt er um, verblutet fast. Lena wird mit ihm in Quarantäne gesetzt, sie erfährt vom Schimmer, einer Zone, die sich immer weiter ausbreitet, und von der niemand weiß, was sie ist. Viele Männer-Soldaten sind in sie hineingegangen und kamen nicht wieder. Jetzt gehen die Frauen. Wissenschaftlerinnen. Die Biologin Lena, die Psychologin Dr. Ventress (Jennifer Jason Leigh), die Rettungssanitäterin Anya Thorensen (Gina Rodriguez), die Anthropologin Cass (Tuva Novotny) und die Physikerin Josie Radek (Tessa Thompson). Es sind stille Frauen. Es gibt auch nichts zu reden. Niemand weiß etwas und ihre Mission ist wahrscheinlich ihr Tod. Sie sollen den Schimmer erkunden und seine Quelle finden, die in einem Leuchtturm vermutet wird.

So betreten sie den Schimmer und mit ihnen betritt Garland eindeutig das filmhistorische Terrain Andrej Tarkovskijs. Aus kontemplativer Stille in einer feindlichen Umgebung entsteht mehr und mehr Beklemmung, ein Gefühl von außerweltlicher Feindlichkeit, die sich bei Garland zwar auch in tatsächlich attackierenden Momenten ausdrücken, doch mehr und mehr das emotionale Register des existentiellen Psycho-Horrors bedienen. Denn im Angesicht des „Anderen“, des Nicht-Menschlichen, das alle Regeln der Biologie, der Physik und aller anderen Regelwerke, derer wir uns so sicher sind und zu denen wir gehören, ignoriert, muss man sich fragen: Was bin ich eigentlich? Und was bedeutet überhaupt (Mensch) Sein? Dabei stellt Garland hier eine opulente Welt zur Verfügung, die ebenfalls wie Tarkovskijs Alien in der Gestalt einer schönen, jungen Frau funktioniert. Die reine Schönheit und scheinbare Reinheit, ja, fast schon Naivität der Kreaturen und Kreationen, die den Schimmer bewohnen, stehen so stark im Kontrast zu den Konzepten, die wir Menschen als Grundlage unserer Existenz anerkennen, dass aus ihrer Schönheit gleichsam starke Affektpoetiken, eine Melancholie, aber vor allem ein unendliches Grauen und Schaudern entspringen. Es ist ein Schaudern, das vor allem der Urangst entspringt, nicht zu begreifen, was man ist, und so angreifbar zu sein, dass die kleinste Änderung auf molekularer Basis uns auslöscht und Kreaturen schafft, die die Grenzen von allem sprengen, was wir als Natur oder göttlich oder schlichtweg „normal“ empfinden.

Genau damit baut der Film ein anfangs subtiles, dann aber umso mehr unter die Haut gehendes Horrorszenario auf, das selbst wenn es mit klassischen Thriller- und Horrormomenten aufwartet, subkutan den Schauder absoluter Existenzangst mit sich bringt. Kurzum, Garlands Film ist ein Mindfuck erster Klasse. Und dabei sogar, und das macht es eigentlich noch schlimmer, wissenschaftlich absolut korrekt – eine Strategie, die selbst wenn man keine allzu großen wissenschaftliche Kenntnisse mitbringt, ihre Wirkung zeigt, denn man spürt, hier wird kein Quatsch gesprochen, dies alles hat Hand und Fuß.

Umso schwerer wiegt hier aber der Fakt, dass Garland, dessen gesamter Film die Idee von Normierung aufzuheben sucht, auf einer anderen Ebene genau auf diese hereinfällt. Denn die Besetzung der Hauptrollen mit Portman und Jason-Leigh stieß auf Gegenwehr, sind diese Figuren in den Büchern von Jeff VanderMeer als asiatisch bzw. Native-American beschrieben. Garland gibt an, nur das erste Buch gelesen zu haben, in denen dies noch nicht klar war. Ein valides Argument -und doch zeigt sich hier seine inhärente Befangenheit, seine Idee, dass wenn eine Figur nicht weiter beschrieben wird, sie standardmäßig weiß ist.

Und so ist Auslöschung in gewisser Hinsicht ein doppeltes Geschenk. Zum einen ermöglicht der Film, wie schon lange keiner mehr, eine Reise hinein in die philosophische Science-Fiction, die es sich zur Aufgabe macht, Konzepte in Frage zu stellen und phantastisch zu erweitern. Zum anderen stellt der Film auch wichtige Fragen für die weitere Filmpolitik der westlichen Welt. Wie, wo und mit welchen Repräsentationen wollen wir weiter Filme schauen?

Auslöschung (2017)

Alex Garland meldet sich mit einem weiteren SciFi-Film zurück. „Auslöschung“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Jeff VanderMeer und ist der erste Teil der sogenannten Southern-Reach-Trilogie. Southern Reach ist eine Organisation, die geheime Expeditionteams in die Area X schickt, eine gefährliche Region, völlig abgelegen vom Rest der Welt. Das nunmehr 12. Team, bestehend aus vier grundverschiedenen Frauen, macht sich nun in die Tiefen dieses unbekannten Landstriches auf um dessen Geheimnisse ans Licht zu bringen.

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Meinungen

Marius · 19.12.2018

Alles wurde in der Filmkritik gesagt. Und nichts. Denn was er transportiert, kann nicht in Worte gefasst werden.