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„Civil War“ zeigt einen Bürgerkrieg in den USA einer fiktiven nahen Zukunft. Regisseur Alex Garland stellt aber nicht den Verlauf der Kampfhandlungen in den Mittelpunkt, sondern die Kriegsfotografie und Fragen zum Ethos des Abbildens.

Civil War (2024)

Eine Filmkritik von Mathis Raabe

Interview mit einem Kriegspräsidenten

Wes Cravens Exploitationfilm „Last House on the Left“ (1972) wird oft im Kontext des Vietnamkriegs verstanden. Der Film zeigt, dass Gewalt schnörkellos und hässlich ist, dass sie nicht von Helden ausgeübt wird. Im US-Kino der frühen Siebzigerjahre stach das heraus und erschreckte. Im US-Kino der Zweitausenderjahre wäre „Last House on the Left“ nicht herausgestochen: Das Trauma von 9/11, der sogenannte „Krieg gegen den Terror“, die Folterbilder aus Guantanamo, all das brachte auch im fiktionalen Bereich betont unbeschönte und gnadenlose Bilder hervor. Das Kino versuchte nicht mehr, abzulenken, sondern zu konfrontieren.

Gut 20 Jahre später finden wir uns an einem anderen Punkt wieder: Wir sprechen nun als Gesellschaft über den Effekt von Nachrichten und Nachrichtenbildern auf unsere psychische Gesundheit. Neben der Konfrontation halten wir einen gelegentlichen Detox für sinnvoll. Das könnte unter anderem damit zu tun haben, dass Gewaltbilder uns im Zeitalter von Handykameras und Social Media immer schneller und in immer größerer Zahl erreichen und diese Bilder nicht nur von privaten Accounts, sondern auch von journalistischen Medien immer schneller und in immer größerer Zahl ausgespielt werden.

Um Social Media geht es in Alex Garlands Civil War nicht, wohl aber um die Fragen nach Wert und Effekt der Abbildung von Gewalt. Sein Ansatz liegt näher an Wes Cravens als an dem des Torture Porn der 2000er: Die trockene Inszenierung macht es bewusst schwer, sich vom Tod auf der Leinwand unterhalten zu lassen. Garland ist bekannt dafür, gesellschaftliche Diskurse als Genrekino zu verpacken. Mit Civil War mutet er seinem Publikum noch mehr zu. Ein Science-Fiction-Film über Transhumanismus wie Ex Machina oder ein Horrorfilm über misogyne Gewalt wie Men – dafür finden wir Vergleiche und Anknüpfungspunkte auf unseren Timelines. Ein Kriegsfilm, der dazu einlädt, Susan Sontags berühmtes Essay Regarding the Pain of Others noch einmal zu lesen – das ist schon sperrig.

Sich drastischen Bildern auszusetzen, bedeutet ein Vertrauen gegenüber ihren Machern, seien es Filmemacher oder Journalisten. Garland zeigt in Civil War allerdings keine Redaktionssitzungen, in denen darüber diskutiert wird, ob Kriegsbilder nun von öffentlichem Interesse und aufklärerisch seien oder eher verstörend, oder ob die Verstörung gar ein notwendiges Opfer ist, um Menschen wachzurütteln. Er zeigt Kriegsreporter im Felde, die Menschen, die sich in Gefahr begeben, um die Bilder zu produzieren, die um die Welt gehen und die sich diese Fragen gar nicht unbedingt mehr stellen müssen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot.

Die Filmfiguren jedenfalls tun das nicht: „Wir stellen keine Fragen“, sagt die Fotografin Lee (Kirsten Dunst). „Wir nehmen es auf, damit andere Leute Fragen stellen.“ Sie habe noch nie so viel Angst gehabt wie in den letzten Tagen, sagt später die jüngere Jessie (Cailee Spaeny). Sie habe sich aber auch noch nie so lebendig gefühlt. Zur Kriegsberichterstattung gehört nicht nur professionelle Aufopferung, scheint der Film zu sagen, sondern auch ein bisschen Adrenalinsucht. Und vielleicht gar krasse Gefühlskälte: In einer anderen Szene sieht man den Reporter Joel (Wagner Moura) lustig palavern, während im Hintergrund gerade Gefangene exekutiert werden.

Die drei sind Teil einer kleinen Reisegruppe in Richtung Washington. Der Weg dorthin ist gefährlich. Journalisten würden als Feinde betrachtet, sagt Samy (Stephen McKinley Henderson), ein Reporterveteran, der trotz seines Alters noch nicht von der Arbeit lassen kann. Aber Joel hat ein Interview mit dem Präsidenten geplant, Lee soll dabei fotografieren. Auch sie ist eine erfahrene und gefeierte Vertreterin ihres Fachs, nimmt aber nur widerwillig die Rolle einer Mentorin für Jessie ein, wohl weil sie ahnt, dass die 23-Jährige auf den psychischen Preis nicht vorbereitet ist, den man dafür bezahlt, nah am Geschehen zu sein. Bewaffnet sind die Journalist*innen nicht. Ihre einzige Verteidigung sind die Presseausweise, manchmal eine Warnweste sowie die große Aufschrift „Presse“ auf ihrem Wagen. Dabei sind sie ständig vom Kugelhagel umgeben.

Das Blockbuster-Kino hat viel gedröhnt in den letzten Jahren. Der Trailer zu Krieg der Welten gilt als möglicher Ursprung des Trends, den Hans Zimmer dann bis zur Ermüdung fortgeführt hat. Hier ist das Dröhnen nun intradiegetisch: Helikopter und anderes schweres Militärgerät produzieren einen ohrenbetäubenden Lärm. Dann wieder ist der Kugelhagel von Garland vollkommen stumm in Szene gesetzt. Beides ist schwer erträglich. Auch dieses Auf und Ab der Tonspur trägt dazu bei, dass Garlands Inszenierung sein Thema nie unterwandert. Kriegsfilme müssen hässlich sein.

Die Handlung von Civil War ist oft vorhersehbar. „Würdest du es fotografieren, wenn ich erschossen werde?“, wird einmal gefragt. Klar, dass diese Frage nicht hypothetisch bleibt. Einmal werden Figuren nur eingeführt, damit sie in einer direkt darauffolgenden Szene Kanonenfutter werden können. Auch das ist keine elegante Drehbucharbeit. Womöglich muss es aber so sein, damit die Handlung in den Hintergrund rückt, ebenso wie die Frage, ob es wohl für die Figuren gut ausgeht – sie bieten eh nicht sonderlich viel Identifikationspotential. So hat man dann Gelegenheit, stattdessen die verschiedenen Spuren in den Diskurs zu verfolgen, die der Film am Wegesrand liegen lässt.

Warum die USA einen Bürgerkrieg führen, in dem wohl vor allem die abtrünnigen Staaten Kalifornien und Texas gegen Regierungsgruppen stehen, das wird nie klar. Im Autoradio hört man nur leere Phrasen von Gott und der Flagge und den angeblichen Werten des Landes. Der Krieg selbst ist nicht Garlands Thema. Dennoch wird in einzelnen Momenten auf das aktuelle politische  Klima in den USA Bezug genommen. Der sogenannte Kulturkrieg könnte Teil der Vorgeschichte sein, die zu dieser fiktiven nahen Zukunft führt, oder die drohende Wiederwahl eines skrupellosen Rechtspopulisten, oder eben das Zusammenhängen beider Phänomene. Der Präsident der Filmwelt (Nick Offerman) ist beim Üben einer Ansprache zu sehen und verwendet dabei viele Superlative, wie man sie aus Donalds Trumps Rhetorik kennt. Von der „besten Militäraktion der Geschichte“ spricht er – eine offensichtliche Lüge, wenn man den Rest des Films betrachtet.

An anderer Stelle fragt ein Rassist mit Maschinengewehr (Jesse Plemons), der das Gesetz in die eigene Hand genommen hat, Figuren nach ihrer Herkunft. Das erinnert dann zum Beispiel an das Ehepaar aus Missouri, dessen Bild 2020 durch die Medien ging, nachdem sie einen Black-Lives-Matter-Demonstrationszug mit Schusswaffen bedroht hatten, oder an unzählige andere Fälle von Fans des First Amendment mit Neigung zur Selbstjustiz. Und als Joel einmal der jungen Jessie nächtliche Gesellschaft anbietet, da man fragt sich, ob er vielleicht doch mehr Julian Reichelt als Paul Ronzheimer ist, oder was auch immer das US-Äquivalent wäre beim Thema Übergriffe und Machtmissbrauch im Mediengeschäft. Auf diese Weise wirft Civil War oft in einzelnen Momenten noch Themen ein, die mit seinem Hauptthema verwandt sind.

Nicht zuletzt spielt bei Überlegungen zum Ethos des Abbildens der Holocaust eine Rolle, wie The Zone of Interest jüngst sehr deutlich machte. Garland weiß das und lässt den Namen von Lee Miller fallen, der Kriegsfotografin, die 1945 die Befreiung von Buchenwald und Dachau dokumentierte. Millers Beispiel zeigt, wie wichtig die Arbeit sein kann, die Civil War verhandelt: Ihre Bilder prägten das Verständnis der deutschen Verbrechen in der Welt. Auch bei ihr hinterließ diese Arbeit aber psychische Spuren. Nach der Heimkehr litt sie an Depressionen und Alkoholismus.

Das ist nur eine der besagten Spuren am Wegesrand. Ideologie wird in Civil War nie besprochen – auf welcher Seite die Figuren stehen, was zum Krieg geführt hat – und lauert doch in jeder Szene zwischen den Zeilen. Eine post-ideologische Filmwelt, ein post-ideologiekritischer Film, der keine Antworten gibt, aber gute Fragen stellt, ganz wie es Reporter tun.

Civil War (2024)

Die USA in naher Zukunft: Das Land ist tief gespalten, verschiedene Staaten spalten sich ab und schließen Bündnisse – ein Bürgerkrieg steht kurz bevor. Inmitten der chaotischen Zustände macht sich einer Gruppe Journalist*innen (u. a. Kirsten Dunst) auf den Weg zum Weißen Haus, um für eine zuverlässige Berichterstattung zu sorgen und den Präsidenten (Nick Offerman) zu interviewen.

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