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Ein dekonstruierter Film: Langsam kommt jemand aus dem Dreck hervor, eine Frau, sie spricht und nähert sich der Kamera. Da merkt man: Das ist die Erzählstimme.

Wo keine Götter sind, walten Gespenster (2024)

Eine Filmkritik von Niklas Michels

Ein Gespenst und eine Kamera. Ein „McGuffin“, ausgedachte Existenzen und die postmoderne Selfawareness von Fiktion. „Du bist nur ausgedacht“, werfen sich Figuren gegenseitig an den Kopf, und Erzählstimmen werden plötzlich Teil des Ensembles. „Wo keine Götter sind, walten Gespenster“ fühlt sich an, als hätte Quentin DupieuxHow To Blow Up A Pipeline“ adaptiert – ohne dabei politisch oder übermäßig lustig zu sein. Auch Gespenster drehen Filme. Regisseur Bastian Gaschos hat eine polarisierende Form gefunden, um das zu zeigen. 

An einem Nicht-Ort versucht eine Truppe, die Welt zu retten. Wovor? Das wissen sie selbst nicht. Aber eins scheint klar zu sein: Diese Welt ist ausgedacht. Unterlegt unter anderem mit Mozarts Lacrimosa, werden Pläne geschmiedet. Für Zuschauer:innen wird es zwei mögliche Rezeptionen geben: Genie oder Größenwahn. 

Ein Film als Dekonstruktion von sich selbst, nicht um Klischees oder Stereotypen zu entlarven, sondern das Medium als solches zu befragen. So ziehen die Figuren los, um den „McGuffin“ zu finden. Ein „McGuffin“ ist – basierend auf früheren Hitchcock Filmen – ein Hauch von Nichts. Etwas, das den Film vorantreibt, selbst aber überhaupt nicht existieren muss/kann. Man denke an den berüchtigten Koffer aus Pulp Fiction. Die Zahnräder der Filmtheorie beginnen sich also, um sich selbst zu drehen, wenn der Begriff Gegenstand der Erzählung wird. Genau um diese paradoxe Rekursivität geht es bei Wo keine Götter sind, walten Gespenster. Diesen Anspruch zur Hypersymbolisierung trägt der Film in jeder Leerstelle: „Spaghettitopf“ steht auf dem Kochtopf. Alles ist ironisch, es selbst. 

Am stärksten ist der Film, wenn er diese Absurdität benutzt, um Gespräche oder ganze Figuren ad absurdum laufen zu lassen. In seiner Länge und seiner Wiederholung der Grundidee wird sich bei vielen Zuschauer:innen sicher ein gewisser Überdruss der filmischen Theorievorlesung einstellen. 

Susan Sontag definierte den Begriff „Camp“ 1964 als eine überstilisierte, teils unbeabsichtigte Selfawareness. „So schlecht, dass es wieder gut ist“, Camp als ästhetischer Stil setzt Dinge in Anführungszeichen und nimmt ihnen ihre inhärente Wahrheit. Diese Anführungszeichen findet man bei Wo keine Götter sind, walten Gespenster um jede Handlung, um jede Figur und Requisite gestülpt. Auf der anderen Seite unterscheidet sich der Film massiv von einer klassischen Auslegung von Camp. Man spricht häufig von „Pseudo-Camp“, sobald eine Intention erkennbar ist. Irgendwo zwischen den beiden Begriffen befindet sich Regisseur Gaschos filmemachendes Gespenst.

Der Film schließt sich – pandemiebedingt – der Reihe „Freunde machen Filme“ an. Zuletzt konnte man bspw. in Something In The Dirt (2022) von Justin Benson und Aaron Moorhead das Innenleben eines filmischen Entstehungsprozesses betrachten. Die Pandemie brachte Freunde auf engen Raum zusammen. Gascho betont auf der Premiere, das Zusammenarbeiten mit Freunden wäre eine Kernidee des Films gewesen.

Analog dazu schließt sich der Film dem „Mumblecore“-Genre an – einer Subkultur des Independent-Films. Diese haben oft ein geringes Budget und improvisierte Dialoge. Ein bekannter Vertreter ist zum Beispiel Baghead (2008) von Jay und Mark Duplass. Ähnlich wie Wo keine Götter sind, walten Gespenster versetzt auch dieser Film Freunde zusammen in ein natürliches – geschlossenes – Szenario. Es lässt sich also feststellen, dass die Grenze zwischen Skript und natürlichen Einflüssen schwindet. 

Ist die vierte Wand gebrochen, ist man aber immer noch Zuschauer:in einer Welt, die man nicht verstehen kann. Die Absurdität der Gespräche bricht so nicht nur metaphorische Wände, sondern ergänzt das fantastische Szenenbild. Die Theater-esken Drapierungen, Figur neben Figur, herausstechende Farben und flüssiges Bildschirmrauschen, erinnern mit einem Augenzwinkern immer wieder an Filmemacher:innen wie beispielsweise Wes Anderson.

Schlussendlich fragt man sich: Sind Regeln da, um gebrochen zu werden? Oder wäre das Neuauslegen, Biegen oder Umgehen von Regeln nicht interessanter? Wo keine Götter sind, walten Gespenster bricht jede Regel, die er finden kann. Damit ist der Film einerseits genau das, was das deutsche Kino momentan braucht und andererseits ein alter Hut für alle, die schon einmal einen Jean-Luc-Godard-Film gesehen haben. Am interessantesten ist die Seherfahrung, begreift man Camp und Mumblecore als zwei Säulen des Films.

Gesehen auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis 2024.

Wo keine Götter sind, walten Gespenster (2024)

In einer dystopischen Zukunftswelt leben die Menschen in einem totalitären System, das seiner Bevölkerung ungefragt und alternativlos glückliche Leben aufgezwungen hat. Doch einer Gruppe von Widerstandskämpfer:innen, unter ihnen ein beinahe 100-jähriges Gespenst, ist es geglückt, unterzutauchen. Gemeinsam schmieden sie Pläne, das Regime des Glücks zu stürzen, um den Menschen die Freiheit zur eigenen Lebensgestaltung wieder zurückzugeben. Bald allerdings regt sich Widerstand gegen den Widerstand – und die Dinge werden kompliziert. (Quelle: Max Ophüls Preis 2024)

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