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Ein Thriller, der auf einem Sachbuch basiert – kann das funktionieren? Und wie! Regisseur Daniel Goldhaber macht aus Andreas Malms provokanter Vorlage einen spannungsgeladenen und nicht unproblematischen Film.

How to Blow Up a Pipeline (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Hochspannung entlang der Ölleitung

Stell dir vor, morgen ist Winter und keiner dreht die Ölheizung auf. Nicht, weil über Nacht alle umweltbewusst geworden sind, sondern weil Ökoterroristen die Zufuhr unterbrochen haben. Wie das über die Bühne gehen könnte, führt Daniel Goldhaber in seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm vor. Der besitzt Qualitäten, die den meisten US-Großproduktionen inzwischen abgehen.

Goldhaber hat das Drehbuch gemeinsam mit Jordan Sjol und Darstellerin Ariela Barer geschrieben. Das Trio hat nicht nur Andreas Malms gleichnamige Sachbuchvorlage aus dem Jahr 2021 aufmerksam gelesen, sondern auch die daraus hervorgegangenen Entwicklungen im Blick. Wenn die von Barer gespielte Xochitl zum Auftakt die Reifen eines SUV zersticht und ein Flugblatt mit einer Begründung unter den Scheibenwischer klemmt, dann spielt das auf die Tyre Extinguishers an, eine Umweltgruppe, die exakt das macht: die Luft aus überdimensionierten Dreckschleudern zu lassen. Goldhabers Film geht die Puste derweil nicht so schnell aus.

Xochitl ist Teil einer kleinen Truppe Gleichgesinnter, die sich über gemeinsame Wege und dubiose Kanäle gefunden haben. Eine einleitende Montagesequenz führt alle zusammen. Treffpunkt ist eine verlassene Hütte in der texanischen Einöde. Von hier aus planen Xochitl, deren beste Freundin Theo (Sasha Lane), Theos Lebensgefährtin Alisha (Jayme Lawson), Xochitls Kommilitone Shawn (Marcus Scribner), der DIY-Bombenbastler Michael (Forrest Goodluck), das Streuner-Paar Rowan (Kristine Froseth) und Logan (Lukas Gage) und der Familienvater Dwayne (Jake Weary), eine Pipeline in die Luft zu jagen. Dramaturgisch klug gesetzte Rückblenden stellen die Handelnden vor. Deren Herkünfte und Beweggründe könnten kaum unterschiedlicher sein – und nicht bei allen ist die Gesinnung gleichermaßen ausgeprägt, was Konflikte verspricht.

Der Schwede Andreas Malm, von dem die Vorlage stammt, lehrt an der Universität Lund Humanökologie. In seinem Buch, das auf Deutsch den Titel Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen trägt, plädiert er grob zusammengefasst für eine Eskalation im Kampf gegen den Klimawandel. Xochitl & Co. wählen den Sabotageakt als nächste Eskalationsstufe. Was Alisha, die dem Film als Stimme der Vernunft dient, heftig kritisiert. Selbst wenn durch ihre geplante Aktion kein Mensch direkt zu Schaden komme, seien die indirekten Auswirkungen auf die Leben Zigtausender enorm, so Alishas Argumentation. Von den Gefahren, denen sich die Gruppe aussetze, ganz zu Schweigen.

Mit seinem erst zweiten abendfüllenden Spielfilm beweist Goldhaber sowohl auf narrativer als auch auf inszenatorischer Ebene großes Talent. Dem Drehbuch gelingt etwas, wofür sich viele zeitgenössische Hollywoodproduktionen nicht mehr interessieren: den Figuren durch ausreichend Hintergrundgeschichten Leben einzuhauchen und eine glaubwürdige Motivation zu verschaffen. Mehr noch: Das Drehbuch-Trio bringt die unterschiedlichsten Ansätze des Klimaaktivismus, die von linker Kapitalismuskritik bis zu patriotischem Freiheitsdrang reichen, schlüssig unter einen Hut.

Dass unter so viel Informationsvermittlung nicht zwangsläufig Tempo und Spannung leiden müssen, beweisen Goldhaber, Sjol und Barer durch eine verschachtelte Erzählstruktur, die die Vorleben der Figuren stimmig über die gesamte Laufzeit verteilt und just in den Augenblicken zurückblendet, in denen etwas schiefgeht, wodurch die Spannung auf deren Auflösung ins schier Unermessliche wächst. Gavin Briviks enervierende Musik, Tehillah De Castros agile, mitunter dokumentarisch anmutende Kameraarbeit und der wendungsreiche Plot tragen zur weiteren Spannungssteigerung bei.

Nach seiner Weltpremiere beim 47. Toronto International Film Festival wurde der Thriller vornehmlich gute bis sehr gut besprochen, es gab aber auch Kritik an der (zu) positiven Darstellung der Terroristen, aus deren Perspektive der komplette Film geschildert ist. Was in dieser Diskussion, welche moralische Position der Film einnimmt und wie nachahmenswert und gefährlich das im Film Gezeigte für die außerfilmische Realität ist, ein wenig untergeht, ist die Tatsache, dass unter der positiven Darstellung letztlich auch die Dramatik leidet. Obwohl hier absolute Laien mit hochexplosivem Material hantieren, kommen alle verhältnismäßig glimpflich davon. In thematisch vergleichbaren US-Filmen aus der jüngeren Vergangenheit wie Zal Batmanglijs und Brit Marlings The East (2013) oder Kelly Reichardts Night Moves (2013) hatte das Spiel mit dem Feuer fatalere Folgen. Ob Goldhabers Thriller durch ein grimmigeres Ende oder schwerwiegendere Zwischenereignisse (noch) besser geworden wäre, lässt sich abschließend nicht beantworten. Der leicht vernachlässigten Dynamik zwischen den Figuren hätte es sicherlich gutgetan. Auch wären Fragen der Moral dadurch intensiver diskutiert worden – und die Spannung noch weiter gesteigert.

How to Blow Up a Pipeline (2022)

Basierend auf dem gleichnamigen Buch von Andreas Malm kreist dieser Thriller um den Sabotageakt einer Gruppe von militanten Umweltaktivist·innen. Nach und nach finden sich Menschen in der Wüste ein, um eine Mission vorzubereiten: Einige haben die Folgen von Umweltverschmutzung selbst erlebt, andere sind frustrierte Klimaschützer·innen, denen radikale Methoden als einziges Mittel gegen die Klimakatastrophe erscheint. Ihr Plan ist die Sabotage einer Pipeline, um das Geschäft mit dem Öl in Schieflage zu bringen, und so für Veränderung zu sorgen, wo andere Formen des Widerstands an ihre Grenzen stoßen. (Quelle. Filmfest Hamburg)

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