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There’s One World, Not Three - Musikalisch-filmische Reise um die Welt

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Am 29.11. wird der Tag der Weltmusik begangen. Spätestens seit Wim Wenders’ „Buena Vista Social Club“ wird diese kontroverse Gattung auch im Kino vor allem dokumentarisch vermessen oder findet als Scores Verwendung. Annäherung an einen zwiespältigen Begriff und seine kulturelle Praxis.

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Bild aus "Buena Vista Social Club"
Bild aus "Buena Vista Social Club"

Es ist der Reiz des Exotischen, die Lust an der Entdeckung und manchmal auch die etwas verkrampft wirkende Suche nach dem Neuen, die die filmischen Vermessungen der Musik vorantreibt. Mittlerweile decken Dokumentarfilme über Musik nicht nur nahezu alle Zeiten und Teilgebiete der Musik ab, sondern dringen zunehmend auch in Regionen vor, die bislang nicht im Fokus der Aufmerksamkeit standen.

Auch wenn Weltmusik (oder World Music) heute wie ein Produkt der Globalisierung erscheint, reichen die musikalischen Wurzeln doch viel weiter zurück: Schon im Mittelalter sind Einflüsse vorderorientalischer Elemente nachzuweisen, die aufgrund von Handelsbeziehungen und kriegerischen Auseinandersetzungen ihren Weg nach Europa fanden. Sehr wahrscheinlich gab es Beeinflussungen unterschiedlicher musikalischer Kulturen bereits viel früher (man denke zum Beispiel an den kulturellen Austausch, der etwa durch große Wanderungsbewegungen wie die Völkerwanderung der Spätantike und des frühen Mittelalters stattfand). Doch erst später mit der Wiederaufnahme der Geschichtsschreibung werden solche musikalisch-kulturellen Wechselwirkungen wirklich manifest und durchziehen die Musikgeschichte von Mozart (Die Entführung aus dem Serail, Rondo alla turca) über Félicien David (Le Désert) und Ernest Reyer (Le Sélam) bis ins späte 19. und frühe 20. Jahrhundert, wo vor allem orientalische Einflüsse nicht nur in der Musik regelrecht in Mode kommen.

Allgemein gilt Paul Simons 1984 in Südafrika auf dem Höhepunkt der Apartheid aufgenommenes Album Graceland als Startpunkt der populären Weltmusik, was freilich den Beitrag von Formationen wie Embryo oder Die Dissidenten enorm schmälert. Dennoch finden afrikanische Klänge und andere Sounds ab den 1980er Jahren immer häufiger Eingang in die Popmusik und den musikalischen Mainstream, auch wenn der exploitative Charakter von manchen dieser kalkulierten Charterfolge rückblickend eher peinlich für alle Beteiligten ist.

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Paul Simon — Graceland

 

Nicht erst hier fällt eines der Hauptprobleme der gesamten Begrifflichkeit der Weltmusik auf, die vor allem von einem musikalischen Zentrum (der westlichen Hemisphäre mit Europa als geistigem Zentrum) ausgeht und alle Elemente, die nicht aus diesem Raum stammen, subsummierend mit dem Label „Welt-“ versieht — eine Tendenz, die im Filmbereich in ähnlicher Weise am Begriff des „Weltkinos“ abzulesen ist. Doch nicht nur diese definitorische Unsauberkeit und Ambivalenz bildet einen Brückenkopf zum Kino, es gibt vielmehr weitere vielfältige Verbindungen zwischen Musik und Film.

 

Die Weltmusik und das Weltkino

Neben der erwähnten Vorreiterstellung Paul Simons für die Entwicklung der World Music heutiger Prägung ist es vor allem dem US-amerikanischen Gitarristen Ry Cooder, der unter anderem die Filmmusik zu Wim Wenders’ Paris, Texas schrieb, zu verdanken, dass die Weltmusik auch Einzug in das Weltkino erhielt.

Ganz sicher hat Wim Wenders’ Buena Vista Social Club einen nicht unerheblichen Anteil an diesem Trend: Seine Wiederentdeckung der Allstars des kubanischen Jazz war nicht nur an den Kinokassen enorm erfolgreich, sondern kurbelte zugleich die Verkaufszahlen der dazugehörigen Alben derart an, dass es heute in gewissen Milieus kaum einen Haushalt gibt, in dem sich nicht eine oder mehrere der CDs wiederfinden würde.

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Trailer zu Buena Vista Social Club

 

Weniger erfolgreich, aber nicht minder interessant (auch weil es sich um eine Auseinandersetzung mit dem eigenen musikalischen Erbe handelt) war da Martin Scorseses mehrteilige Annäherung an die Wurzeln des Blues, bei der neben dem Meister selbst Regisseure wie Mike Figgis (Red, White & Blues); Wim Wenders (The Soul of a Man), Clint Eastwood (Piano Blues) und andere Regisseure die Karte des Blues filmisch neu vermessen haben.

Nach wie vor ist die Faszination, die von der Weltmusik ausgeht ungebrochen. Was unter anderem daran abzulesen ist, dass deren Kompostionen und Interpretationen längst auch ihren Weg in die Scores von Spielfilmen gefunden haben: Pawel Pawlikowskis aktueller Spielfilm Cold War — Der Breitengrad der Liebe bezieht einen Gutteil seiner Faszination aus der irritierenden Schönheit und Klarheit alter polnischer Volkslieder und zeichnet fast schon beiläufig anhand dieser Stücke deren Lebenswirklichkeit nach, die von der wissenschaftlichen Erfassung des Films bis zu deren Transformation und Verschmelzung mit anderen Musikstilen reicht. Und wären es nicht die beiden Protagonist_innen selbst, die diesen Weg beschritten, läge der Verdacht einer kulturellen Aneignung (cultural appropriation) wesentlich näher.

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Trailer zu Cold War — Der Breitengrad der Liebe

 

Mit Filmkomponist_innen wie Ryuichi Sakamoto haben außereuropäische und -amerikanische Klänge auch Einzug in das Mainstream-Kino westlicher Prägung erhalten. Und diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren noch weiter fortsetzen — bis zu hoffentlich jenem Punkt, an dem das vermeintlich Fremde und Exotische ganz selbstverständlich auch als integraler Bestandteil eines gemeinsamen globalen musikalisch-kulturellen Erbes verstanden wird.

 

Unterwegs zur World Music 2.0

Noch längst ist das globale musikalische Erbe der Menschheit nicht filmisch erfasst und aufgearbeitet, da deutet sich bereits eine neue Richtung an, die vor allem das dokumentarische Kino in den kommenden Jahren diesbezüglich einschlagen wird. Und die hängt mit der Veränderung der World Music selbst zusammen. Bezeichnete dies früher vor allem traditionelle Musik aus aller Welt, so sind in den letzten Jahren unter dem Schlagwort World Music 2.0 neue Mischformen entstanden, die Elemente „westlicher“ Pop- und Dance-Musik mit dem jeweils im eigenen Land Vorhandenen kombinieren. Betrachtet man dies genauer, fällt auf, dass diese Neuschöpfungen eigentlich schon seit vielen Jahrzehnten Bestandteil der Entwicklung der populären Musik sind. Der Siegeszug des Reggae und Ska, der Afro-Funk und die Blüte des äthiopischen Jazz, der Aufstieg von Interpret_innen wie Shakira zu globalen Popstars — all das hat sich mittlerweile in die Geschichte der Populärmusik eingeschrieben.

Neu ist nun allerdings, dass die miteinander in Kontakt gebrachten musikalischen Formen zunehmend gleichberechtigt nebeneinander stehen und die Sounds von neuen Stilen wie Baile Funk und Techno-Cumbia, Reggaeton und Kwaito sowie lokal unterschiedliche Ausprägungen von HipHop und Rap und Pop-Phänomene wie Balkan Beats oder Derivate des Klezmer zeugen davon, dass kulturelle Aneignung mittlerweile keine Einbahnstraße mehr ist und dass die Kultur diesbezüglich um einiges weiter zu sein scheint als die Wirtschaft. Die sichtbarste und bekannteste Ikone dieses neuen Trends ist die aus Sri Lanka stammende und in London lebende Rapperin und Aktivistin M.I.A., über die seit kurzem ein Dokumentarfilm in den deutschen Kinos läuft.

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Trailer zu Matangi/Maya/M.I.A.

 

„Weltmusik, in der Popwelt und der Clubszene lange belächelt, setzt heute Trends. Sie heisst jetzt Global Ghettotech, Ghettopop, Cosmopop, Worldtronica oder schlicht Weltmusik 2.0 – die Weltmusik der interaktiven Internetplattformen […] Weltmusik 2.0 lässt sich in kein Korsett mehr zwängen, sie ist widersprüchlich und mehrdeutig. Es klingt das Chaos der Welt, die Hektik des Alltags, die Wut über Weltpolitik und Wirtschaft, und die Hoffnung, sich via Musik eine Existenz zu sichern.“, so beschreibt Thomas Burkhalter diesen neuen Sound.

Es ist eine Frage der Zeit, bis dieser Trend seinen Niederschlag nicht nur in den Charts finden wird, sondern auch, wie bereits in Einzelfällen geschehen, den Weg auf die Kinoleinwand schafft.

Dem nur scheinbar entgegengesetzt steht ein anderer Trend musikalisch-kinematographischer Feldforschung, wie er exemplarisch in Scorseses fast schon enzyklopädisch anmutender Reihe über den Blues in Erscheinung trat. Denn neben der Beschäftigung mit dem Fremden gibt es auch Filmemacher, die dem eigenen musikalischen Erbe auf der Spur sind. In Deutschland ist hier vor allem der deutsch-schweizerische Regisseur Stefan Schwietert zu nennen, der neben fremden musikalischen Kulturen dezidiert auch die musikalischen Traditionen seiner Herkunftsregion erforscht, wie in den Filmen Heimatklänge, Das Alphorn oder Accordion Tribe zu sehen ist.

Mit den Flucht- und Migrationsbewegungen der letzten Jahre wird sich der durch die Globalisierung sowieso schon vorhandene musikalisch-kulturelle Austausch weiter intensivieren — und ganz nebenbei werden dadurch Fragen nach Heimat und Fremde, Identität und Zugehörigkeit neu gestellt und verhandelt, werden sich neue und vielfach auch transnationale Identitäten sowie Musik und Filmkulturen herausbilden. Es wäre gut, wenn wir diesen Veränderungen genauso neugierig und aufgeschlossen entgegenblicken würden wie wir Polka Punk oder Baile Funk lauschen und uns Filme anschauen, über die wir die Welt nicht nur neu sehen, sondern auch neu hören lernen.

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