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Darling der Woche

Der Aufrührer: William Friedkin

Wir nehmen die Fortsetzung von „Der Exorzist“ sowie den Kinostart des Dokumentarfilms „Leap of Faith“ zum Anlass, einen Blick auf das Werk des kürzlich verstorbenen Regisseurs William Friedkin zu werfen. 

Meinungen
William Friedkin im Jahre 2017 in Sitges
William Friedkin im Jahre 2017 in Sitges

Er wird fehlen. Daran gibt es keinen Zweifel. Der Tod von William Friedkin reißt ein Loch. Ein einfacher Charakter war dieser Filmemacher nie. Eher pflegte er das Image des Renegades, dessen Film zwar irgendwie in Hollywood stattfanden, der aber immer seinen eigenen Weg gegangen ist. Mitunter rannte er gegen die Wand. Mit seiner unerbittlich-störrischen Art hat er aber zeitlose Klassiker der Filmgeschichte geschaffen, und auch ein paar bislang unterbetrachtete Werke.

Cruising

Für meinen Filmpodcast Projektionen setze ich mich gerne mit den Werken von Filmemacher*Innen auseinander, mit denen ich bislang kaum in Berührung gekommen bin. Man hat eben diese peinlichen Lücken. Bei mir war es William Friedkin. Ich kannte natürlich Der Exorzist, den ich fraglos für eines der großen Meisterwerke der Filmgeschichte halte. Dieser unerträgliche Realismus, der das Übernatürliche in diesem Film auf eine schockierende Art erdet und den Terror für viele Lesarten öffnet – das ist in seiner Intensität bis heute kaum erreicht. Doch zu einer weitergehenden Auseinandersetzung mit Friedkin ist es aus mir rätselhaften Gründen nicht gekommen. Es war mein Co-Host Marcus Stiglegger, der unbedingt etwas zu Cruising machen wollte – einen eher unbekannteren Film, obwohl mit Al Pacino ein Star die Hauptrolle spielt. Der hat sich aber von der Rolle im Nachhinein distanziert beziehungsweise nie mehr über den Film gesprochen. Das zeigt, wie radikal und dunkel Cruising letzten Endes geworden ist.

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Der Film erzählt die Geschichte eines heterosexuellen Cops, der einen Serienkiller zur Strecke bringen will, der sich durch einen Teil der Schwulen-Szene in New York mordet. Dafür macht sich der junge Polizist selbst zum Lockvogel, taucht ein in die Nachtclubs, präsentiert sich als Beute und verliert sich zunehmend in dieser Subkultur.

Im Verlauf des Films wird immer fraglicher, ob es den Serienkiller überhaupt gibt. Der Tod greift vielmehr wie ein Virus um sich. Analogien zur großen Aids-Krise der 80er liegen nahe. Vor allem aber wächst sich der Film zu einer Monstrosität aus, wird ein Horrorfilm aus Zweifel und Begehren: Schatten wandern, der Sex wird zu einer animalischen Wucht, die Musik treibt und zerspringt zu einer freischwebenden, experimentellen Bedrohung. 

Selten hat mich ein Film derart gepackt, dass ich ihn innerhalb kürzester Zeit immer und immer wieder ansehen musste. Identität als einen Dämon zu begreifen, der einen befällt, dieses Gefühl hatte ich sonst nur bei Lynch. Der Abgrund, in den mich Friedkin in Cruising hinabgezogen hat, ist der Abgrund des Begehrens.   

Marcus Stiglegger hat ein Buch über den Film geschrieben, das ich an dieser Stelle nur empfehlen kann.

Sebastian Seidler

Brennpunkt Brooklyn

Dieser Film darf einfach nicht fehlen. Friedkins Polizei-Thriller markierte immerhin den großen Durchbruch des Regisseurs, öffnete ihm viele Pforten für und begründete für das Standing, das er bis zum Schluss hatte. Die beiden New Yorker Polizisten Jimmy „Popeye“ Doyle (Gene Hackman) und Buddy „Cloudy“ Russo (Roy Scheider) ermitteln hier gegen ein Drogenkartell — und überschreiten dabei mehrmals mindestens die Grenze des Moralischen. Temporeich, spannungsgeladen, immer wieder überraschend und mit viel sprachlicher Authentizität (im Original sind die beiden Hauptakteure aufgrund ihres Slangs und der oft improvisierten Zeilen kaum zu verstehen) inszeniert Friedkin diese Hatz und platziert in der Mitte eine der legendärsten (wenn auch etwas zu lange) Verfolgungssequenzen der Filmgeschichten.

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Brennpunkt Brooklyn beziehungsweise French Connection erschien in der Spätphase von New Hollywood und setzt mit fünf Oscar-Auszeichnungen nochmal ein dickes Ausrufezeichen an das Ende dieser so einflussreichen Filmära. Und bereitete Friedkin damit den Weg zu seinem größten Hit Der Exorzist.

Christian Neffe

Scorcerer

Vielleicht ist dieser Film William Friedkins eigentlicher Triumph, wenngleich er bei seinem Erscheinen im Jahr 1977 bereits zu einem Desaster erklärt wurde: Von der Kritik verrissen und vom Publikum verschmäht, geriet die eigenwillige Neuinterpretation von Henri-George Clouzots Lohn der Angst, der wiederum auf dem gleichnamigen Roman von Georges Arnaud basiert, zu einer persönlichen Niederlage für den ehrgeizigen Regisseur. Heute muss man neidlos anerkennen: Scorcerer ist ein nihilistisches Meisterwerk über den unentrinnbaren Verlauf des Schicksals.

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In einem südamerikanischen Dorf eines fiktiven Staates stranden die verlorenen Seelen. Männer, die mit ihrem Leben abgeschlossen haben und lediglich vorgeben, auf einen Neuanfang zu warten. Als sich bei einer weit entfernten Ölquelle eine verheerende Explosion ereignet, ist die einzige Möglichkeit, das lodernde Feuer zu löschen, eine Druckwelle durch eine erneute Explosion auszulösen. Vier Männer werden ausgewählt, gegen eine hohe Prämie Nitroglycerin aus dem Lagerbestand der Ölgesellschaft durch den Dschungel bis zur Unglücksstelle zu bringen. Der Haken an der Sache: Die Ladung kann bei Erschütterung jederzeit hochgehen. Ein wahnwitziges Glückspiel gegen den Tod beginnt.

Es gibt in diesem Film, der sich regelrecht in Schmutz und Schlamm suhlt, eine Szene, bei der ich es vor dem Fernseher kaum mehr ausgehalten habe: Friedkin ist ein Meister der rohen und direkten Montage. Als die Männer gezwungen sind, mit ihren Trucks eine hölzerne Brücke zu überqueren, geht es um Millimeter. Jede falsche Bewegung mit dem Lenkrad kann den Absturz bedeuten. Das Vehikel zu steuern, ist wahrlich Schwerstarbeit, die sich unmittelbar auf das Auge überträgt. Der Feind ist unsichtbar. Das Scheitern droht am eigenen (Un-)Geschick. Bis heute kann ich diese Szenen nicht sehen, ohne dass ich vergesse zu atmen.    

Die Figuren mögen nicht sympathisch sein – auch das keine Seltenheit in Filmen von Friedkin. Das Wirken der urwüchsigen Kräfte tritt dadurch nur deutlich zum Vorschein: Unter der schönen Menschlichkeit lauert die Kreatur, die dem Schicksal nicht entgehen kann. Das ist durchaus eine deprimierende Message. Mit dem grandiosen Soundtrack von Tangerine Dream wird dies allerdings zu einem deprimierend-nihilistischen Gesamtkunstwerk.

Sebastian Seidler   

Laura Branigan – Self Control

„Oh, the night… / Is my world…“ Ein Werk Friedkins, das bisher zu wenig cineastischer Detailbetrachtung unterzogen worden ist, ist das Musikvideo zu Self Control von Laura Branigan. Der Song ist freilich ein Pop-Meisterwerk. Ursprünglich eine Italo-Disco-Nummer von Raf wurde er in der weniger beschwingten, fast düsteren Version von Branigan 1984 zum Welthit. Lasziv singt sie von lustvoller Selbstaufgabe im Sog des Nachtlebens und nicht zuletzt seiner sexuellen Verlockungen.

Die Ära der Musikvideos war zu diesem Zeitpunkt noch jung – erst 1981 hatte MTV zu senden begonnen – und Branigan einer der ersten Popstars überhaupt, die mit einem großen Filmregisseur zusammenarbeitete. MTV fand Self Control dann zu anrüchig. Eine zensierte Schnittfassung musste angefertigt werden. Denn Friedkin nimmt die erotische Anziehungskraft der Nacht wörtlich.

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Die erste Einstellung zeigt eine Sonnenblume, dann verdunkelt sich das Licht, was Laura Branigan auf einer Chaiselongue erwachen und lustvoll aus dem Fenster blicken lässt. Ihre darauf folgenden Ausgeherlebnisse sind surreal und traumartig in Szene gesetzt. Immer wieder tauchen Schaufensterpuppen auf, Tanzgruppen mit Masken und bemalten Gesichtern, die auf Theatersets übereinander her rollen. Die Nacht wird derweil personifiziert als Mann mit weißer Phantommaske, Hut und langem Mantel, der Branigan bald an der Hand nimmt und durch diverse Szenen sündiger Ausschweifungen führt – und schließlich an ein Bett.

Das Video zeigt also eine hochstilisierte Sexfantasie. Einmal zitiert Friedkin eins zu eins die berühmte Szene aus Roman Polanskis Ekel, in der Hände aus den engen Wänden eines Korridors kommen und nach der Protagonistin greifen. Ekel ist seinerseits ein Film über eine Frau mit psychosexuellen Träumen. Wo Polanski aber eine traumatisierte Protagonistin hat, zeigt Self Control eine sexuelle Befreiung. Immer wieder entscheidet Branigan bewusst, dem Mann zu folgen, spielt ein Machtspiel. Solche Machtspiele finden sich in vielen von Friedkins Filmen, oftmals aber in Bezug auf Männerfiguren und nie mit so deutlichem Bezug zur alten Bataille’schen Idee, dass Eros und Thanatos verwandt sind. In nur fünf Minuten erzählt er hier eine Geschichte, die so ambivalent und fesselnd ist wie viele seiner Langfilme. Deshalb ist Self Control ein sehr sehenswerter Teil der Friedkin-Filmografie.

Mathis Raabe

Die Stunde des Jägers

Im Actionthriller Die Stunde des Jägers aus dem Jahr 2003 wirft uns Friedkin gleich zu Beginn mitten hinein in ein Inferno. Der Soldat Aaron Hallam (Benicio Del Toro) ist Teil einer US-Operation, die den serbischen Massenmord an der albanischen Zivilbevölkerung im Kosovo beenden soll. In seiner Heimat erhält er dafür später einen Orden für besondere Tapferkeit vor dem Feind. Dieser Film ist allerdings keine strahlende Heldengeschichte, keine patriotische Erzählung. Vielmehr erleben wir fortan einen Mann, der von den Erlebnissen im Kosovokrieg schwer traumatisiert ist. Wenn Hallam an einer Stelle wie ein wildes Tier in perfekter Tarnung in einem Baum sitzt, erinnern die Point-of-View-Shots an Filmmonster wie Der weiße Hai (1975).

Die andere zentrale Figur in Die Stunde des Jägers ist der Spurensucher L.T. Bonham (Tommy Lee Jones), der einst der Ausbilder von Hallam war. Ohne selbst je einen Menschen getötet zu haben, hat er Soldaten zu Killern geformt – und nun soll er sein eigenes „Werk“ unschädlich machen, da der Geheimdienst, der Hallam im Anschluss an dessen Kriegseinsatz als Auftragsmörder (aus-)genutzt hat, die Kontrolle über den Ex-Soldaten verloren hat. Dabei wird die Idee des selbst erschaffenen Monsters verhandelt, die durch Mary Shelleys Schauerroman Frankenstein (1818) und dessen zahlreiche Adaptionen ins kollektive Gedächtnis eingegangen ist.

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Ich bin im Allgemeinen kein großer Fan des Actionkinos. Bemerkenswert finde ich aber, wie Friedkin nicht nur in seinem gefeierten Frühwerk, sondern auch in dieser weniger anerkannten (sogar ziemlich übel verrissenen) späten Arbeit eine Authentizität der körperlichen Anstrengung erzeugt, die weit von den akrobatischen Einlagen entfernt ist, die seit dem Erfolg des Science-Fiction-Abenteuers Matrix (1999) das Mainstream-Actionkino prägen. Diese greifbar-physische Art des Filmens beherrschte Friedkin wie kaum ein Zweiter.

Andreas Köhnemann

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