zurück zur Übersicht
Features

Krieg gegen Jeden - John Michael McDonaghs Anti-Helden

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Irgendwann kommen die Schatten. In jedem Film des irischstämmigen Regisseurs und Drehbuchautors John Michael McDonagh ist früher oder später der Punkt erreicht, an dem wir die Welt sehen wie seine Figuren: längst an die Dunkelheit verloren. „Negative Space“ bezeichnet in der Fotografie oder bei Gemälden die leere Fläche um den eigentlichen Gegenstand des Bildes.

Meinungen
War on Everyone
Szene aus "War on Everyone"

Bei McDonagh werden diese Räume zum bösartigen Nichts, das seine sonst so schlagfertigen Anti-Helden zu verschlucken droht. In dieser Woche läuft sein dritter Spielfilm in den deutschen Kinos an. Die schwarze Buddy-Komödie heißt hierzulande Dirty Cops, treffender wäre – wie so oft – der Originaltitel: War on Everyone. John Michael McDonagh erzählt von Männern, die aus verschiedenen Gründen einen hoffnungslosen Krieg gegen jeden führen. Vor allem gegen sich selbst.

John Michael McDonagh wurde 1967 in London geboren und bezeichnet sich selbst als Irish Londoner. Die vereinzelten Fragmente seiner Biographie, die er bereitwillig offenlegt, klingen wie aus seinen Drehbüchern entnommen, düstere Scherze über Ehekrisen und eine Gefängnisstrafe, die er für das Töten eines Schwans verbüßt haben soll. In den Filmen schlagen sie sich in einem Humor nieder, der Schmerz und Trauer überspielt, sich aber auch daraus speist.

Schon sein erster Kurzfilm Der zweite Tod aus dem Jahr 2000 zeigt vieles von dem, was seine Langfilme heute ausmacht. Oft nehmen Regisseure mit den ersten Bildern ihres Debüts das eigene Werk vorweg – McDonaghs beginnt mit dünnem Scheinwerferlicht in tiefer Nachtschwärze. Hauptschauplatz der kurzen Geistergeschichte ist ein kleiner irischer Pub, in dem traurige Volksweisen gespielt werden und alternde Originale plaudern. Ein Polizist berichtet den versammelten Trinkern vom Selbstmord einer jungen Frau, Protagonist James (Liam Cunningham) ringt mit Schuldgefühlen und versucht sie in Bier und Whiskey zu ertränken. Erfolglos.

Solche Bars spielen in allen von McDonaghs Filmen eine große Rolle, sie werden besucht wie Kirchen. Seine Figuren folgen zwei großen Weltreligionen: Katholizismus und Alkohol. Sie trinken, um zu vergessen, um sich zu beschäftigen, aus Spaß oder einfach aus Routine. Die bierselige Melancholie der Filme ist kein Zufall, sondern stark an ihren Entstehungsprozess gebunden. Alexander Skarsgård etwa wurde, so erklärt der Regisseur es in einem Interview, nicht etwa aufgrund seiner Darstellerleistungen in Filmen wie Melancholia gecastet, sondern wegen eines YouTube-Videos, in dem er angetrunken Fußballfans anheizt.

Als Ersatz zum Pub bleibt in den ländlichen Gemeinden meist nur die Kirche. Selbst wenn McDonagh in den Vereinigten Staaten oder Island dreht, sind seine Figuren fest im post-katholischen Irland verankert. Noch hängen Kreuze und Heiligenbilder in den Häusern, doch der Glaube fehlt. Die Devotionalien wirken wie ein spöttischer Kommentar, als hätte Gott sie zurückgelassen, als er die Welt verließ. Es bleibt eine große Leere.

Am Sonntag bist du tot
Filmstill aus Am Sonntag bist du tot. Copyright: Ascot Elite

 

Der Regisseur erzählt davon auch in seinen Landschaftsaufnahmen. Zwischen den Schauplätzen liegt leerer Raum, geographischer „Negative Space“, der eine entscheidende Rolle in den Filmen spielt. McDonagh versteht sich auch als Western-Regisseur. Zwischen zerklüfteten Felsen und stürmischen Küsten im grünen, ruralen Irland, im eisblauen Island und der gelben Wüste von New Mexiko sucht er sein persönliches Monument Valley. Seine eigentümlichen Bilder eignen sich nicht als Postkartenmotiv, dafür fehlt ihnen sowohl die abenteuerliche Exotik als auch die heimelige Wanderurlaubromantik. Sie erscheinen jenseitig, nicht paradiesisch.

Viele Elemente von Der zweite Tod finden sich in seinen Langfilmen wieder. Neben einzelnen Einstellungen, die auf den Kamerawinkel genau übernommen wurden, sind es vor allem Motive und Figuren. Der Polizist Gerry verwandelt sich elf Jahre später in Sergeant Gerry Boyle, gespielt von Brendan Gleeson in The Guard – Ein Ire sieht schwarz. Der einsame Ordnungshüter muss gemeinsam mit FBI-Agenten Wendell Everett (Don Cheadle) gegen einen Ring von Drogendealern und Korruption in den eigenen Reihen kämpfen. Gleeson verkörpert auch den zweifelnden Priester James Lavelle aus Calvary (dt.: Am Sonntag bist du tot). Ein Mitglied seiner Gemeinde berichtet, als Kind von einem Priester missbraucht worden zu sein. Stellvertretend soll Lavelle sterben, nur eine Woche bleibt ihm, seine Geschäfte in Ordnung zu bringen.

Gemeinsam bilden diese Tragikomödien zwei Drittel der Glorified Suicide Trilogie, deren dritter Teil mit dem Titel The Lame Shall Enter First (basierend auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Flannery O’Connor) McDonagh nach Fertigstellung seiner HBO-Miniserie in Angriff nehmen will. Doch auch War on Everyone fügt sich, trotz dem Sprung über den Atlantik und neuen Darstellern, widerstandslos ins Gesamtwerk ein. Die Geschichte um zwei korrupte Polizisten, die an ein größeres Übel als sie selbst geraten, weist genau die Art von Finale auf, die der Trilogie ihren Namen gibt. Die Filme kulminieren in einer Mischung aus Westernduell, oft sogar von Mariachi-Musik unterlegt, und christlichem Martyrium. Der Tod ist dabei optional, es geht um den idealistischen Akt. Die Sehnsüchte der Figuren richten sich letztendlich auf etwas Größeres, das Jenseits oder eine bessere Welt, und so wird ihre Mission zum Himmelfahrtskommando.

Oberflächlich betrachtet erscheinen diese Filme oft wie simple Genrebeiträge: Geschichten über ungleiche Cop-Duos, die sich referenzenreiche Wortgefechte liefern, gibt es viele; Komödien mit bärbeißigen Priestern wurden gerade in Irland zuhauf produziert. Was McDonagh auszeichnet und abhebt, sind die Figurenzeichnung und vor allem der Versuch, hinter einer Fassade aus zynischem Humor und Nihilismus ein idealistisches Kino zu schaffen. Sein Kosmos wird von Ideen beherrscht. Selbst einfache Dorfbewohner und Drogendealer diskutieren die Denkansätze von Simone de Beauvoir, Bertrand Russell, Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer, sie lesen Joseph Conrad, Fjodor Dostojewski und fassen Iwan Gontscharows Roman Oblomow nüchtern zusammen mit den Worten: „He dies at the end.“ Schon die Titel zeigen, dass die Protagonisten sich irgendwo im Raum zwischen Prinzip und Figur bewegen: The Guard als Geschichte des letzten Verteidigers des Guten; Calvary als Echo der Passionsgeschichte – als Kalvarienberg wird eine Nachbildung der Kreuzigung Christi bezeichnet; War on Everyone als Erzählung von Agenten des Chaos, frei nach Maxim Gorki wütend auf die ganze Welt.

The Guard
Filmstill aus The Guard. Copyright: Ascot Elite

 

Die Filme verbindet der Kampf der Protagonisten gegen eine schattenhafte Macht, eine allumfassende Verschwörung, die sich in einigen Menschen manifestieren mag, in Drogendealern und Priestermördern, aber sich nie in ihnen erschöpft. „There are men behind men!“, droht Gangster Francis (Liam Cunningham, Protagonist von Der zweite Tod) in The Guard und paraphrasiert damit Kafkas Torhüterparabel. Hinter jeder Bedrohung steht eine ungleich größere, die den Helden die eigene Nichtigkeit vor Augen führt. Später diskutiert der Polizist mit einem Kollegen darüber, dass manche Kartelle mittlerweile sogar schon eigene U-Boote haben.

Zum universellen Bösen gehört hier stets auch die Untätigkeit der vermeintlich Guten. Selbst angebliche Autoritätspersonen weisen die Verantwortung von sich, offenbaren sich als leicht korrumpierbar, ignorant oder gleichgültig. Als Lavelles Kirche niederbrennt, steht seine Gemeinde tatenlos um sie herum, als wäre es ein Lagerfeuer.

Die Hauptfiguren dieser Geschichten sind wirkliche Anti-Helden. Der Begriff wird inflationär gebraucht und meint meist nur noch das Fehlen moralischer Prinzipien, adoleszenten Nihilismus oder eine besondere Grausamkeit. Doch im Kern geht es darum, dass das wahre Wesen der Figuren die Schwäche ist. McDonaghs Protagonisten scheinen aus der Zeit gefallen und dysfunktional. Sie stehen in der Tradition von Ethan Edwards aus Der schwarze Falke oder Travis Bickle aus Taxi Driver, sie sind Teil einer anderen, vergangenen Zeit. Nur dass sie nicht Veteranen eines Krieges, sondern Überlebende des Alltagsterrors sind.

Gerry ist einmal alleine nach Disneyland gefahren und erzählt, er hätte als Schwimmer den vierten Platz bei den olympischen Spielen belegt – eine Geschichte, die gleichermaßen traurig ist, wenn sie sich als wahr oder falsch entpuppt. Den FBI-Agent Everett verwirrt er: „I can’t tell if you’re really motherfucking dumb, or really motherfucking smart.“ Das ist bei McDonagh nie so leicht.

Die Figuren sind Außenseiter, die ihre Einsamkeit weitestgehend selbst gewählt haben, weil sie mit ihrer Gebrochenheit nicht andere belasten wollen. Verlust und Trauma prägen ihre Vergangenheit und Gegenwart. Tod, Krankheit, Veränderungen im Allgemeinen und vielleicht sogar das Wetter zählen sie zu denselben finsteren Kräften, die es zu bekämpfen gilt.

Am Sonntag bist du tot
Filmstill aus Am Sonntag bist du tot. Copyright: Ascot Elite

 

Der Filmemacher führt einen sehr aktuellen Typ Menschen vor, mit einer zeitgenössischen Weltsicht. Sie suchen nach Orientierung in einem vermeintlich post-ideologischen Zeitalter, aber werden nicht fündig. Hätten sie einen Computer, würden sie ihren Zorn in die sozialen Netzwerke pumpen.

McDonagh teilt ihre Weltsicht nicht und versteht, wie gefährlich sie ist. Er will sie dennoch verstehen. Ihren Schmerz, ihre Verwirrung. Ihre Erklärung der Welt ist zu einfach, unterkomplex, was nicht heißt, dass ihr Leid verdient wäre. Er stilisiert ihren Kampf gegen jeden zur heroischen Schlacht gegen (die eigenen) Dämonen, um ihnen ihre Würde zurückzugeben. Sie empfinden eine lähmende Ohnmacht, der Glorified Sucide erscheint ihnen der letzte Ausweg, der finale Ritt gegen die Windmühlen. Sie können die Welt nicht retten, nicht im Guten, nicht im Bösen. Aber sie können kämpfen, bis die Schatten sie endgültig verschlucken.

Meinungen