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Kolumnen

Madonna, die Schauspielerin

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Madonna wird 60. Als Musikerin hat sie alles erreicht. Als Schauspielerin wird sie oft belächelt oder gar verschmäht. Zu Unrecht, findet Andreas Köhnemann.

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Madonna in "Eine Klasse für sich"
Madonna in "Eine Klasse für sich"

Es gibt Künstler_innen, die gefühlt schon immer da waren. So geht es mir mit Madonna, die ein gutes Vierteljahrhundert vor mir geboren wurde und nun 60 wird. Ich weiß nicht mehr, wann ich zum ersten Mal einen Madonna-Song gehört habe. Ebenso weiß ich nicht mehr, wann ich Madonna zum ersten Mal in einer Zeitschrift oder im Fernsehen gesehen habe. Ich musste sie beziehungsweise ihre Musik nicht „entdecken“ oder „kennenlernen“; sie war irgendwie einfach ein völlig selbstverständlicher Teil der Kultur.

Gewiss mag nicht jede Person ihre Songs – dennoch ist Madonnas große Bedeutung für die Geschichte der Popmusik eine recht unumstrittene Tatsache. Ganz anders sieht es indes mit Madonnas Filmkarriere aus: miese Kritiken, schwache Einspielergebnisse, zahlreiche Negativpreise (darunter der Razzie Award als Worst Actress of the Century im Jahre 2000). Man könnte sagen, Madonna und Hollywood stehen miteinander auf Kriegsfuß.

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Musikvideo: Madonna – Hollywood

 

Ich fand Madonna auf der Leinwand beziehungsweise auf dem TV-Bildschirm hingegen stets mindestens so faszinierend wie in ihrer Arbeit als Musikern. Weil ihre Star-Persona wirklich immer Einfluss auf ihre filmischen Auftritte nimmt. Madonna schlüpft nicht in Rollen, Madonna macht aus einer Rolle eine Madonna-Rolle. Das soll nicht heißen, dass sie einfach nur „sich selbst spielt“ (wer will sich schon anmaßen zu wissen, wie Madonna wirklich ist?). Vielmehr verleiht sie einer Figur durch ihre Verkörperung eine gewisse Aura, die kein Drehbuch erfassen und keine Regie herauskitzeln könnte. Madonna bringt diese Aura in ihre Rollen ein. Und ihr dabei zuzusehen, finde ich nicht weniger wunderbar, als weit nach Mitternacht zu Like a Prayer zu tanzen.

An den ersten Film, den ich mit Madonna gesehen habe (leider nicht im Kino, sondern auf RTL), kann ich mich tatsächlich noch sehr gut erinnern: Es war die Sport-Tragikomödie Eine Klasse für sich (1992) von Penny Marshall. Im Zentrum steht das Schwesternpaar Dottie und Kit (verkörpert von Geena Davis und Lori Petty), das im Jahre 1943 an der Frauen-Baseballliga teilnimmt und von dem abgehalfterten Ex-Spieler Jimmy (Tom Hanks) trainiert wird. Das ist alles recht unterhaltsam und nett – aber ich hätte dieses Werk sicherlich schon längst vergessen, wenn es Mae Mordabito (Madonna, natürlich) nicht gegeben hätte.

Damals begeisterten mich vor allem Maes Witz, ihre Schlagfertigkeit und Coolness (ich war vermutlich 10 Jahre alt und hatte eine Vorstellung von Coolness, die genau dieser Figur entsprach – oder die, wenn ich nun darüber nachdenke, vielleicht auch erst von ihr entsprechend geformt wurde). Außerdem liebte ich die Art, wie die Freundschaft zwischen Mae und ihrer Team-Kollegin Doris (gespielt von Rosie O’Donnell) gezeigt wurde. Dass Madonna und O’Donnell durch diesen Film zu Freundinnen fürs Leben wurden, merkt man jeder einzelnen Szene zwischen den beiden an.

Eine Klasse für sich
Bild aus Eine Klasse für sich; Copyright: Columbia Pictures Corporation

 

Aus heutiger Sicht finde ich ein paar weitere Dinge an diesem Film sowie an Madonnas Interpretation äußerst erstaunlich. Mae soll ein bad girl sein, ein Vamp – oder welche dummen Begriffe es für diesen Rollentypus eben so gibt. Auf dem deutschen Filmplakat wird sie als „unersättlich, unverbesserlich, ungeniert“ charakterisiert. Frauen wie Mae sind (bis heute) selten die Protagonistinnen eines Films. Wenn doch, geht es meist darum, dass sie ihren Lifestyle überdenken und letztlich zum Topf eines passenden Deckels werden (siehe Dating Queen). In Ensemblestücken findet man sie indes häufiger, so etwa in Pitch Perfect (in der Figur Stacie, gespielt von Alexis Knapp); an Eindimensionalität ist ihre Zeichnung dann aber üblicherweise kaum zu überbieten.

Auch Mae mutet auf dem Papier wohl eher klischeehaft an. In einer Szene schlägt sie vor, ihre Brüste zu entblößen, um die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen; in einer anderen Szene entgegnet sie auf den Einwand, ihr Kleid sei zu eng, dass sie ohnehin nicht plane, es lange zu tragen. Das könnten billige Gags sein; sie sind es in diesem Fall aber nicht. Vielmehr wird hier – in einem sehr amerikanischen und insgesamt recht familientauglichen Film – eine selbstbewusste, sexpositive Frau gezeigt, die nicht der Albernheit preisgegeben wird, sondern eher ihr Umfeld albern aussehen lässt: So suchen Mae und das restliche Team etwa einen Beichtstuhl auf – und als Mae an der Reihe ist, lässt der Geistliche angesichts ihrer Schilderungen entsetzt die Bibel fallen und schaut extrem schockiert drein. „Was hast du gesagt?“, fragt Doris. „Alles!“, antwortet Mae zufrieden.

Ich hatte damals nicht die leiseste Vorstellung davon, was mit allem so alles gemeint sein könnte; doch meine Bewunderung für Mae war groß. Gelacht habe ich in solchen Momenten gewiss nicht über sie, sondern über die Reaktionen der anderen Figuren. My name’s Mae, and that’s more than a name, that’s an attitude!”, exklamiert Mae an einer Stelle. Mit einer anderen Schauspielerin hätte dieser Satz wie eine Behauptung wirken können; Madonna macht ihn hingegen zu einem glaubwürdigen Statement, weil sie dieser Figur alles Karikatureske austreibt.

Eine Klasse für sich
Bild aus Eine Klasse für sich; Copyright: Columbia Pictures Corporation

 

Zum ersten Mal im Kino habe ich Madonna wiederum im biografischen Musical-Drama Evita (1996) von Alan Parker erlebt. Auch hier muss ich zwischen damaliger Rezeption und heutiger Sicht auf den Film unterscheiden. Heute finde ich es überaus bedenklich, dass die Primera Dama (die First Lady) Argentiniens mit Madonna besetzt wurde; als 12-Jähriger hätte ich es indes völlig in Ordnung gefunden, wenn schlichtweg jede Rolle mit Madonna besetzt worden wäre.

Was sich allerdings nicht geändert hat, ist meine Begeisterung für die Tatsache, dass Madonna diesen Film und sich selbst als Eva Perón ohne Einschränkung ernst nimmt. Das traut sich seit dem Einzug der Postmoderne in die Kunst der Kinematografie vor allem im Mainstream eigentlich kaum noch jemand. Nichts gegen Humor, nichts gegen Selbstironie. Aber es ist schon sehr langweilig, wenn sich Schauspieler_innen nur noch als lustiges Zitat begreifen (Stichwort David Hasselhoff) oder wenn sie alles mit einem Augenzwinkern leicht von sich wegzuschieben versuchen. Sich nur nicht zu sehr auf etwas einlassen, keinesfalls in die Vollen gehen und sich dadurch womöglich angreifbar machen. Diese feige Zurückhaltung ist natürlich nicht Madonnas Sache: Sie schmettert, sie kämpft, sie leidet – und in ihren Augen ist Glut zu sehen, kein Zwinkern, nie.

Evita
Bild aus Evita; Copyright: United International Pictures GmbH

 

Es gibt jedoch auch Filme, in denen ich den Einsatz von Madonna als gescheitert ansehe. Ob das Drehbuch, die Regie oder Madonna herself dies zu verantworten haben, lässt sich kaum sagen. Ein eklatanter Fall dieses Scheiterns ist Body of Evidence (1993) von Uli Edel, den ich erst viele Jahre nach seinem Erscheinen auf DVD gesehen habe und absolut enttäuschend fand. Madonna spielt eine Frau namens Rebecca, die angeklagt wird, ihren reichen Lover durch übermäßigen Sex getötet zu haben. Es gibt einige Wendungen in dieser Geschichte und ziemlich am Ende steht der Satz „I fucked you, I fucked Andrew, I fucked Frank. That’s what I do, I fuck.“

So plump wie diese Aussage ist leider das gesamte Werk – dabei hätte es hier die Möglichkeit gegeben, den Typus der Femme fatale zu variieren, zu modernisieren. Statt die Dämonisierung des Figurentypus (Sex = Tod!) zu reflektieren, wird sie effekthascherisch zementiert. Von der sexpositiven Mae ist das meilenweit entfernt; dennoch steckt auch in Rebecca beziehungsweise in der Interpretation dieser Figur etwas von Madonna: Nicht jede Provokation, die sie im Laufe ihrer bisherigen Karriere gewagt hat, war subtil; manches mutete gewollt und vordergründig an. So gehört auch das zu Madonna – und Body of Evidence ist filmisches Zeugnis dieser Facette.

Body of Evidence
Bild aus Body of Evidence; Copyright: Neue Constantin Film

 

Andere Versuche empfand ich als geglückter: Madonna als RomCom-Heldin? Gerne – aber bitte mit einem schwulen Mann an ihrer Seite und mit ambivalentem Ende! Ein Freund zum Verlieben (2000) von John Schlesinger funktioniert zwar nicht in jeder Hinsicht, ist als Variante des Liebesfilms aber dennoch unterschätzt. Madonna als Bond-Girl? Warum nicht – aber natürlich nicht schmachtend, sondern als Fechtmeisterin, die sich mit dem Satz „I don’t like cockfights“ verabschiedet und sich insgesamt äußerst unbeeindruckt zeigt. Es mag nicht viel heißen, aber die beste Szene aus Lee Tamahoris James Bond 007 – Stirb an einem anderen Tag (2002) ist jene mit Madonna auf jeden Fall.

Ein Freund zum Verlieben
Bild aus Ein Freund zum Verlieben; Copyright: Lakeshore Entertainment and Paramount Pictures

 

I am my own experiment. I am my own work of art“, hat Madonna einmal gesagt. Und das trifft es ziemlich gut: Sie ist keine Selbstdarstellerin, sie ist eine Künstlerin, die sich selbst in das, was sie tut – sei es ein Song, sei es ein Film –, ohne Rückhalt wirft und somit ein Teil davon wird. Das ist mal mehr, mal weniger gelungen. Aber wenn es gelingt, ist es ein Ereignis. Dann kann sie zum Vorbild eines 10-Jährigen werden, weil sie nicht einfach nur ihren Job macht, nicht einfach nur Regieanweisungen befolgt und Dialogzeilen von sich gibt, sondern eine attitude verkörpert.

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