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Seitenwege großer Kinomeister: David Fincher - Der düstere Perfektionist

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

David Fincher bedarf eigentlich keiner genaueren Vorstellung mehr. Düstere Thriller wie „Zodiac“, „Sieben“ oder „Fight Club“ gelten heute als moderne Klassiker und haben teilweise Kultstatus erlangt. In diese Reihe von Filmen passt auch sein Beitrag zum amerikanischen Neo-Noir „Gone Girl“.

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David Fincher
David Fincher im Jahr 2010

Im Vorfeld des Kinostarts wurde auch der Soundtrack des Films online gestreamt — nicht erst seit dem Beginn seiner langfristigen Zusammenarbeit mit Nine Inch Nails-Frontmann Trent Raznor spielt Musik eine zentrale Rolle dabei, wie Fincher die dichte Atmosphäre seiner Filme schafft. Diese besondere Verbindung von Ton und Bild hat Fincher zum Teil schon vor seinem Spielfilmdebüt verinnerlicht — Fincher hat sein Handwerk mit Musik- und Werbevideos erlernt.

Als Sohn eines Reporters war Fincher schon seit frühster Kindheit von Kameras umgeben. Durch die Filme des New American Cinema wie Butch Cassidy and the Sundance Kid inspiriert, fasst er schon in seiner Kindheit den Wunsch, Regisseur zu werden. Seine Generation von Filmemachern wächst in eine Kinolandschaft hinein, in der Kunst und Kommerz so offen im Konflikt stehen wie selten zuvor. Fincher wird später beide Seiten dieses Kulturkampfes in sich tragen. Im Alter von 10 Jahren besucht er das Set zu George Lucas Coming-of-Age Hit American Grafitti. Sowohl diese Erfahrung als auch die späteren Filme von Lucas beschreibt der Filmemacher heute oft als wichtige Inspirationsquellen.

Gerade Star Wars hat es ihm angetan: Genau wie das epochale Weltraummärchen sind Finchers Filme oft breit angelegte Abhandlungen über den Kampf zwischen Gut und Böse. Natürlich sind die dunklen Kräfte hier meist nicht so einfach zu erkennen wie bei Darth Vader und seiner schwarzen Maske, aber in der Regel wohnt seinen Figuren etwas ähnlich Archetypisches inne. Dabei macht er sich den pessimistischen, of auch zynisch-verzweifelten Blick auf die Welt des Film Noirs zueigen. Genau wie die Filme der „Schwarzen Serie“ oft auf trashige Detektivgeschichten und anderen Groschenliteratur zurückgingen nimmt sich Fincher häufig literarischer Vorlagen an, die sicher nicht zur Hochkultur zählen: Da wäre Fight Club des Berufsprovokateurs Chuck Palahniuk oder der mit sexueller Gewalt aufgeladene Stieg Larsson-Thriler Verblendung. Und jetzt eben Gone Girl — Das perfekte Opfer, der Bestseller von Gillian Flynn.

Seine Liebe zu solchen Hard Boiled- und Kriminalgeschichten wird schon früh in seiner Karriere deutlich. Bereits sein zweites Musikvideo zu Shame von The Motels ist eine Hommage an den Film Noir und enthält viele der klassischen Bilder des Genres. Ein trostloses Hotel, eine einsam Femme fatal und strahlende Neon-Werbetafeln. Die vertrauten Noir-Lichtstimmungen, die harsche Kontrastschärfe von Schwarz und Weiß, die schon in der Form den schmalen Grat zwischen Gut und Böse auszudrücken scheint. Auch der typische Effekt von durch eine Lamellen-Jalousie gedimmte Scheinwerfer trägt zu diesem Gesamteindruck bei.

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Fincher ist zum großen Teil Autodidakt und begibt sich schon als Kind im Garten mit der 8mm-Kamera auf die Suche nach Bildern, wie es sein Vater, der für LIFE arbeitet, tut. Universitäten oder Filmhochschulen ignoriert er zugunsten der Animationsfirma Korty Films in Kalifornien, um kurz darauf für sein großes Vorbild George Lucas und seine Effekt-Firma Industrial Light and Magic zu arbeiten. Hier wirkt er an Projekten wie dem dritten Star Wars-Film Die Rückkehr der Jediritter mit.

Ein Großteil seiner Musik- und Werbefilme entsteht jedoch später bei der Produktionsfirma Propaganda Film, die er 1986 zusammen mit anderen jungen Filmemachern wie Michel Gondry, Michael Bay oder Mark Romanek gründet. Seit dem Start von MTV 1981 sind die kurzen Clips ein bedeutsamer Markt.

Aus dieser Zeit stammt auch Finchers Video zu Madonnas Dance-Pop Song Vogue.

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Die Ästhetik scheint bekannt: Licht und Schatten im Überfluss, lediglich Madonna erstrahlt im sanften Glanz, der in der goldenen Ära Hollywoods für die weiblichen Superstars vorgesehen war. Die Architektur und Raumgestaltung ist spärlich, zeigt vage Ansätze des Art déco-Stils und bleibt dabei stets als Kulisse zu erkennen. Justin Timberlake und Jay-Z wird er mehr als zwanzig Jahre später ganz ähnlich in Szene setzten. Nicht nur in seinen Spielfilmen gibt es zahlreiche thematische Kontinuitäten und visuelle Leitmotive.

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1993, ein Jahr nach Finchers Regiedebüt Alien³, wird in einem weiteren Musikvideo von Madonna erstmals seine Obsession mit Serienkillern offen zu Tage treten. Christopher Walken, der den Schutzengel für eine depressive Alkoholikerin (Madonna selbst) spielt, kann dabei als Prototyp für die launischen Düstermänner stehen, die in seiner weiteren Filmographie als Hauptfiguren und Antihelden dienen. Morgan Freemans William Somerset und Brad Pitts David Mills aus dem zwei Jahre später erscheinenden Sieben sind in ihrer Melancholie, vor allem aber in ihrer letztendlichen Hilflosigkeit sehr ähnlich angelegt. Selbst Jungmillionär und Entrepreneur Mark Zuckerberg wähnt sich in The Social Network bald im Konflikt mit der ganzen Welt. Nach und nach verliert er alle Freunde und Mitstreiter und stilisiert sich so selber zum Noir-Protagonisten.

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Genau wie spätere Filme wurde Bad Girl wegen seiner Gewalt, im Speziellen gegen Frauen, häufig attackiert. Was den Neo-Noir von seinen Vorbildern aus den Vierzigern und Fünfzigern unterscheidet ist eine neue Explizität. Der „Production Code“  und Will H. Hays sind  längst Geschichte, Gewalt, Sex und Mord müssen nicht mehr angedeutet und metaphorisiert werden. Von dieser neuen Freiheit macht Fincher reichlich Gebrauch, etwa wenn er in Sieben das blutige Handwerk des Serienmörders im religiösen Wahn John Doe zeigt. Auch Verblendung ist voll mit  stark sexuell aufgeladener Gewalt. Wie immer bei Vorwürfen der Misogynie stellt sich hier die Frage, in wie fern Darstellung einer Gutheißung gleichkommt, ob diese Gewalt rein der Unterhaltung und dem Spannungsaufbau dient oder ob sie tatsächliche Probleme unserer Welt ansprechen will. Fincher scheint hier, wie bei einem Großteil seines Werks, irgendwo zwischen beiden Extremen zu liegen.

Das zeigt sich auch bei seinem Verhältnis zu vielen seiner Filme und Clips: Manchmal scheint er ganz Auteur, traumatisiert von der Erfahrung mit Alien³, von dem er sich heute distanziert — der Einfluss der Produzenten sorgte für unbefriedigende Kompromisse. Und dann kommen doch wieder Projekte, die für ihn weniger Herzenswunsch zu sein scheinen als vielmehr ein Arrangement. Dazu zählen neben klassischen „Einer-Für-Sie“ Studioproduktionen wie Der merkwürdige Fall des Benjamin Button (für den er nur unterschrieb, um grünes Licht für Zodiac zu erhalten) oft auch David Finchers Werbespots.

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So wirkt etwa sein Clip für Sportschuh-Hersteller Nike merkwürdig lustlos. Vor allem ein Musikvideo zu John Lennons Instant Karma, zwar mit gefälligen Einstellungen und interessanter Optik, aber ohne klaren Kern und Fokus sieht man dem Clip seine Rolle als unbedeutender Seitenweg deutlich an.

In starkem Kontrast dazu steht der 1996 erschienene Werbefilm für Levi’s mit dem sprechenden Titel The Chase. Fast wie ein direkter Vorläufer zum ein Jahr später erschienen Thriller The Game mit Michael Douglas mutet es an, wenn ein Mann vor unbekannten Mächten durch enge Straßenschluchten flieht. Die Szene mit den Wachhunden findet sich sogar fast genauso in dem Spielfilm wieder, nur dass der Investmentbanker Nicholas van Orton im Endeffekt nicht durch die Wahl seiner Jeanshosen gerettet wird.

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Man sieht: Selbst wenn Werbung und Musikvideos für Fincher oft auch unliebsame, kommerzielle Notwendigkeit darstellen, findet er in diesen kleinen kreativen Schüben oftmals Inspiration für sein eigentliches Hauptwerk.

So war es auch 2005, als Fincher erstmals mit Trent Raznor und seiner Band Nine Inch Nails zusammenarbeitet. Raznor engagierte Fincher, um seinen Song Only vom Album With Teeth visuell umzusetzen.

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Zum Klang der Musik bekommen Alltagsgegenstände etwas Lebendiges, das Virtuelle bahnt sich seinen Weg in die Realwelt — ein Thema, das Fincher in The Social Network, zu dem Raznor ebenfalls den Soundtrack beisteuerte, noch genauer untersuchen sollte. Und auch Verblendung handelt von einer Hackerin, von Identitätsdiebstahl und Fehlinformationen. Durch Musikvideos hat der Filmemacher gelernt, seine Bilder auch einmal dem Soundtrack unterzuordnen — folgerichtig gewann der mehrfach für Oscars nominierte Film lediglich drei der begehrten Trophäen, unter anderen für seine Musik.

Nicht nur zum Thema Digitalisierung und Internetbusiness passten die harschen, elektronischen Klänge nahezu perfekt, ganz  allgemein vermochten sie das Gefühl von Bedrohung und Isolation perfekt auszudrücken. Auch bei Verblendung waren die wabernden Klangteppiche eine gutes Fundament für den weiteren Spannungsaufbau. Was im Noir-Film getragene Free-Jazz-Klänge waren, ist heute eben ein düsteres Industrial-Hämmern. Zentral für den Antihelden der Schwarzen Reihe war seine Einsamkeit und sein Kampf gegen scheinbar alles und jeden — ein Gefühl, dass in der Zeit von Edward Snowden, staatlicher Überwachung und Verschwörungstheorien heute ein gesellschaftliches Massenphänomen geworden ist.

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Gone Girl ist eine konsequente Weiterführung von Finchers bisherigem Schaffen. Wieder ist es eine Romanverfilmung, wieder gibt es Elemente von Noir und Neo-Noir. Wieder steuert Trent Raznor den Soundtrack bei, wieder stehen Sujets wie Identität und die Massenmedien im Mittelpunkt. Diesmal ist es Ben Afflecks Nick Dunne, der allein gegen alle zu stehen scheint — er steht unter Verdacht, seine eigene Frau ermordet zu haben.

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