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Kampf um Selbstbestimmung

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Mit Mary Shelley, Colette und Die Frau des Nobelpreisträgers erscheinen innerhalb einer Woche drei Filme über schreibende Frauen – Grund genug, sich mit Biopics über Autorinnen zu beschäftigen.

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Keira Knightley in "Colette" - Bild
Keira Knightley in "Colette" - Bild

Fünfhundert (Pfund) im Jahr und „ein Zimmer für sich allein“ brauchen Frauen, um Literatur zu produzieren, schrieb Virginia Woolf in ihrem 1929 erschienenen Essay Ein Zimmer für sich allein (Ein eigenes Zimmer; A Room of One’s Own). Bedingungen, die einfach zu erfüllen scheinen. Und doch war Frauen in Großbritannien erst seit 1882 eigener Besitz erlaubt, seit 1919 hatten sie das allgemeine Wahlrecht und durften auch ihren Beruf frei wählen.

Die Forderung von der Pionierin der literarischen Moderne zielt auf zwei Bedingungen literarischen Schaffens ab: materielle und persönliche Unabhängigkeit. Schaut man nun auf Filme über schreibende Frauen, wird klar, wie sehr sie bis weit ins 20. Jahrhundert hinein um diese Voraussetzungen kämpfen mussten. Die Kinderbuchautorin und Illustratorin Beatrix Potter, Erfinderin u.a. von Peter Hase, wurde zwar in eine wohlhabende Familie hineingeboren, aber wie Miss Potter zeigt, hatte ihre Mutter bis zuletzt Vorurteile gegen das Schaffen ihrer Tochter, die sie sehr viel lieber standesgemäß verheiratet gesehen hätte. Geld war ein wichtiges Druckmittel: Biographisch korrekt zeigt der Film, dass die Eltern Beatrix Potter (Renée Zellweger) von der Ehe mit dem Verleger Norman Warne (Ewan McGregor) abhalten wollten. Als Druckmittel führen sie an, dass sie sie nicht finanziell unterstützen werden. Doch zu diesem Zeitpunkt war Beatrix Potter bereits finanziell eigenständig – ohne zu ahnen, wie viel Geld sie tatsächlich mit ihren Kinderbüchern eingenommen hatte. Erst mit der finanziellen Unabhängigkeit kam auch persönliche Unabhängigkeit. 

 

Das Leben – eine Liebesgeschichte

Dieser Kampf um Unabhängigkeit selbst in einer privilegierten Schicht Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts lässt erahnen, wie schwierig es für Autorinnen ist sich zu behaupten. Darüber hinaus verweist Miss Potter auf ein Muster in Filmen über schreibende Frauen: Dem Kampf wird in der Regel eine Liebesgeschichte beigefügt. Hier zeigt sich das gleich doppelt durch das Werben Norman Warnes und das spätere Zusammentreffen mit Beatrix Potters Ehemann. Aus dem Leben einer unkonventionellen Frau, die später u.a. als Schafzüchterin erfolgreich war, wird also eine Geschichte der Selbstbestimmung und der Liebe. In Becoming Jane über Jane Austen (Anna Hathaway) wird sogar das literarische Werk als biographisches Vorbild genommen: Die erzählte Geschichte lehnt sich sehr stark an Stolz und Vorurteil an – und verschafft all den Jane-Austen-Fans das Gefühl, in ihren Werken zu leben. Wenngleich es zu dem tatsächlichen Leben von Jane Austen allenfalls lose Parallelen gibt. 

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Es ist das Liebesleben, das fasziniert: In dem Fernsehfilm Daphne (2007) ist es die Liebe der englischen Schriftstellerin Daphne du Maurier (Geraldine Somerville) zu der Amerikanerin Ellen Doubleday (Elizabeth McGovern) und ihre Beziehung zu Gertrud Lawrence (Janet McTeer), die im Mittelpunkt steht; der Plagiatsprozess wegen Rebecca ist da nur Anlass für eine Reise und zunehmend persönliche Bestürzung. Und noch bei Mary Shelley aus dem Jahre 2018 ist erstaunlich, wie viel Raum ihre Beziehung zu Percy Shelley einnimmt. Das lässt sich auch bei Colette und Die Frau des Nobelpreisträgers feststellen, die nun – der zeitlichen Planung sei dank – mit Mary Shelley innerhalb einer Woche in den Kinos anlaufen und das Leben der berühmtesten französischen Schriftstellerin Sidonie-Gabrielle Claudine Colette (gespielt von Keira Knightley) sowie der fiktiven Joan Castleman (Glenn Close) erzählen, deren Ehemann den Literaturnobelpreis erhält: Von schreibenden Frauen wird vor allem anhand ihrer Beziehungen erzählt. 

 

Vorurteile

Nun soll die Rolle der jeweiligen Ehemänner in diesen Geschichten nicht heruntergespielt werden: Percy Shelley hat stets an das literarische Talent seiner Frau geglaubt, er hat sie bestätigt – wenngleich er im Film vorschlägt, Frankenstein oder Der moderne Prometheus brauche ein helleres Ende. Für Colettes Ehemann Henry Gauthier Villars, der sich unter dem Pseudonym „Willy“ einen Namen als Großschriftsteller gemacht hat, ist Literatur ein Geschäft. Er beschäftigt männliche Autoren, deren Werke unter seinem Pseudonym erscheinen ebenso wie er dann die ersten vier Claudine-Bücher seiner Frau unter seinem Namen herausgibt. Und wie Mary Shelley glaubt auch Colette anfangs, dass dieser Publikationsweg ohne Namensnennung gut wäre – immerhin werden die Bücher dann überhaupt veröffentlicht und sie entgehen den Vorurteilen, den Büchern von Autorinnen ausgesetzt sind. Anonym oder unter dem Namen eines Mannes publiziert werden sie ernstgenommen, sie können sich in allen Genres bewegen – und ihnen wird eine Allgemeingültigkeit zugesprochen.

Elle Fanning in "Mary Shelley"; Copyright: Prokino
Elle Fanning in „Mary Shelley“; Copyright: Prokino

Diese Vorurteile halten sich hartnäckig: Noch Joan Castleman in Die Frau des Nobelpreisträgers fürchtet sie. In der Adaption des herrlich bissigen Romans Die Ehefrau von Meg Wolitzer erhält die junge Joan in den 1950er Jahren den Rat einer älteren Schriftstellerin, nicht zu schreiben, weil die Männer sie niemals ernst nehmen werden. Und es sind Männer, die Bücher verlegen, und Männer, die Bücher besprechen. Joan findet einen anderen Weg – das Problem besteht auch noch in der Gegenwart: Aktuellen Studien aus den USA, Großbritannien und Deutschland zufolge hat sich zumindest auf der Seite der Kritik zu wenig verändert.

Doch darüber hinaus treibt Joan Castleman und Colette noch etwas anderes an: die Sorge um das männliche Ego. Colettes Ehemann Willy ist ein viriler, selbstbewusster Mann, der in einem Moment seine Frau regelrecht ermuntert, mit einer anderen Frau eine sexuelle Beziehung einzugehen, und sich wenige Stunden später selbst auf den Weg macht, diese Frau zu erobern. Zu sehr wäre seine Eitelkeit verletzt, wenn er wüsste, dass diese Frau seine Frau vorzieht – und wiederum Colette dort etwas findet, was er nicht bieten kann. Dass er von dem schriftstellerischen Talent seiner Frau profitieren kann, erscheint ihm selbstverständlich; er bespricht noch nicht einmal finanzielle Entscheidungen mit ihr. Joans Ehemann Joe ist von dem Wunsch beseelt, Schriftsteller zu sein. Er will schreiben können, deshalb wirft er mit Joyce-Zitaten um sich und sonnt sich in der Bewunderung erst seiner jungen Studentinnen, zu denen auch Joan gehört, später der Literaturwelt und seines Publikums. Beide Männer gehen ständig fremd, beide Männer verlassen sich auf das Können ihrer Ehefrauen. Und schließlich sind es die Frauen, die aufbegehren, die ihren Platz beanspruchen. Doch dass sich Joan überhaupt erst auf das Arrangement eingelassen hat, das sie mit ihrem Mann getroffen hat, ist zumindest im Film allein darauf zurückzuführen, dass sie will, dass ihr Mann glücklich ist. Ein Zimmer für sich und Geld für ein Auskommen sind Bedingungen, um die auch Joan Castleman noch kämpfen muss. Denn es ist klar, dass es in dieser Ehe nur Platz für ein literarisches Genie geben kann. 

Glenn Close in "Die Frau des Nobelpreisträgers"; Copyright: Capelight Pictures
Glenn Close in „Die Frau des Nobelpreisträgers“; Copyright: Capelight Pictures

Noch etwas schwingt insbesondere bei Die Frau des Nobelpreisträgers und Colette mit: Es gibt immer Menschen, die ahnen, dass die Bücher zumindest nicht nur von dem genannten männlichen Autor geschrieben wurden. Selbst wenn der Namen auf dem Manuskript ausgetauscht wurde, steckt doch die Art des tatsächlichen Verfassers, die Welt zu sehen, in dem Text. 

 

Weibliche Inspiration

Joan Castleman entdeckt eher zufällig, dass sie schreiben kann. Sie nimmt ihre Gegenwart, ihre Erlebnisse und formt sie in Literatur. Ohne große Gesten, ohne ständiges Schreiben in einem Notizbuch hat sie ein Gespür für Worte. Dieses Schreiben, gerade dieses Schöpfen aus dem Leben steht fast im Gegensatz zu der Auffassung, dass die Inspiration von Autorinnen vor allem aus dem Gefühl kommt. Beständig wird in Die Frau des Nobelpreisträgers betont, wie genau in den Büchern von Joe Castleman Beziehungen und Frauen beschrieben sind – und nicht nur das: Weil er ein Autor ist, ein Mann, wird diesen Beschreibungen Universalität zugesprochen. Auch bei den ersten Claudine-Büchern wird – in dem Film – betont, wie erstaunlich nah Willy dem Empfinden einer Frau gekommen ist. Der erste Roman ist noch nah an Colettes Vergangenheit, doch schon bei der Fortsetzung musste sich Colette etwas ausdenken. In Mary Shelley hingegen wird die Inspiration sehr deutlich aus dem Gefühl bezogen – und zwar dem Gefühl des Verlusts. Zwar wird gezeigt, dass sich Mary Shelley vorher für naturwissenschaftliche Experimente interessiert hat, der letztliche Antrieb für Frankenstein oder Der moderne Prometheus ist aber indes der Tod ihres Kindes. Dazu kommt das Gefühl der Verlorenheit in der Beziehung zu Percy – als Mutter und Ehefrau also, in den traditionellen Rollen einer Frau, liegen die Enttäuschungen. 

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Schreiben und Inspiration sind filmisch nicht einfach darzustellen, oftmals wird – wie bspw. auch in Mary Shelley – das Kratzen eines Stiftes auf Papier genommen, um alleine durch die Geschwindigkeit eine gewisse Leidenschaft auszudrücken. Doch zum Schreiben gehört auch nachzudenken und die Welt zu beobachten. In Die Frau des Nobelpreisträgers und auch Colette wird dieser Vorgang vor allem von den jeweiligen Hauptdarstellerinnen Glenn Close und Keira Knightley durch ihre Mimik ausgedrückt. Andere Filme verändern indes die Perspektive: The Hours und insbesondere Terence Davies‘ A Quiet Passion konzentrieren sich auf Virginia Woolf (Nicole Kidman) bzw. die amerikanische Dichterin Emily Dickinson (Cynthia Nixon), private Erlebnisse sind stets dem literarischen Wirken untergeordnet. Das führt in The Hours dazu, dass Literatur und Biographie eine bestechende Verbindung eingehen. In A Quiet Passion wird das Umfeld, das Leben im Osten der USA im 19. Jahrhundert ist allein auf die Wirkung auf Emily Dickinson beschränkt. Dadurch nimmt der Film in der zweiten Hälfte, in der sie sich ausschließlich in ihrem Elternhaus aufhält, fast kammerspielartige Züge an, durch die es allerhand Anlass für kluge Dialogzeilen gibt, in denen ihre Ansichten und zunehmende Desillusionierung Ausdruck finden. Es sind die Gespräche, in denen sich ihr Kampf für Frauen, ihr Hinterfragen von Konventionen und Ansichten, aber auch ihr Hadern mit ihrem Aussehen und Ledigsein widerspiegelt. Und es sind letztlich ihre Worte, die berühren.

In The Hours schafft Virginia Woolfs Mrs. Dalloway die Verbindung zwischen den Geschichten dreier Frauen zu verschiedenen Zeiten in England resp. den USA. Doch es ist nicht nur Literatur, die überdauert, es sind auch die Vorbehalte gegenüber schreibenden Frauen. Vielleicht werden sie heutzutage weniger offen benannt, vielleicht haben sich manche Vorbehalte abgeschwächt. Aber verschwunden sind sie nicht.

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