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Meisterwerke, Klassiker, Kultfilme – und Homophobie

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Viele Filme gelten als Bravourstücke, werden von uns geliebt und verehrt. Das kann dazu führen, dass wir unzeitgemäße Elemente in ihnen weniger wahrnehmen (wollen).

Meinungen
"Rebecca"
Eine dämonische Kraft: Die queere Haushälterin Mrs. Danvers (Judith Anderson, l.) in Alfred Hitchcocks "Rebecca"

Bezeichnungen wie „filmisches Meisterwerk“, „Filmklassiker“ oder „Kultfilm“ sind in vieler Hinsicht schwierig – nicht zuletzt deshalb, weil sie inflationär verwendet werden und nicht selten in hohlen Werbesprüchen vorkommen („Schon jetzt ein Kult-Klassiker!“). Problematisch ist zudem, dass Filmen mit diesen Labels eine gewisse Qualität zugesprochen wird – und sei es nur die, gut oder „so richtig positiv schlecht“ zu unterhalten.

Schaut man sich etwa die Margaret-Mitchell-Adaption Vom Winde verweht (1939) mit dem Wissen an, dass sie als „große[r] Klassiker“, als „Mega-Melodram“ gilt, wird man womöglich leichter darüber hinwegsehen können, dass die aufwendig in Szene gesetzte Hollywood-Produktion extrem rassistisch und eine klischeebeladene „Ode an die gute alte Sklavenzeit“ ist. Oder rezipiert man Tommy Wiseaus Dreiecks-Drama The Room (2003) in dem Bewusstsein, dass es sich dabei um einen So-Bad-It’s-Good-Programmkino-Hit handelt, wird man die gar nicht lustige Misogynie der Erzählung vielleicht einfach mal eher hinnehmen.

Auch Homophobie und Transphobie lassen sich in einigen Werken finden, die als kinematografische Meisterstücke, als Klassiker oder (Trash-)Kultfilme gefeiert werden. Zunächst macht es zwar keinen Unterschied, ob homo- und/oder transphobe (Sub-)Plots, Bilder oder Sprüche in einer erwartungsgemäß mies-albernen Adam-Sandler-Komödie, einer offenkundig lieblos zusammengeschusterten, aus durchweg billigen Zoten bestehenden Genre-Parodie oder eben in einem Film auftauchen, der ein gewisses Renommee (als filmhistorisch bedeutsam oder als „so schlecht, dass er schon wieder gut ist“) genießt, – denn Homo- und Transphobie sind ebenso wie Xenophobie und Misogynie immer verachtenswert. In gefeierten Filmen sind solche Momente jedoch perfider – da sie darin von uns unkritischer, gnädiger aufgenommen werden können.

 

Plötzlich schwul – plötzlich verrückt

Die screwball comedy Leoparden küsst man nicht (1938) von Howard Hawks gilt als Werk, das „mit wunderbaren Einfällen, pausenlosem Witz und gelungener Situationskomik amüsante Unterhaltung von Format bietet.“ Obendrein soll es die erste Mainstream-Produktion gewesen sein, in welcher das Wort gay im Sinne einer sexuellen Orientierung verwendet wurde. Als die Kleidung des Wissenschaftlers David Huxley (Cary Grant) gegen dessen Willen in die Reinigung gegeben wird, muss dieser nach dem Duschen notgedrungen einen federbesetzten Morgenmantel seiner neuen Bekanntschaft Susan Vance (Katharine Hepburn) überziehen – und wird kurz darauf von Susans konsternierter Tante Elizabeth (May Robson) gefragt, weshalb er so „idiotic“ angezogen sei. „Because I just went gay all of a sudden!“, antwortet David, während er einen affektierten Luftsprung vollführt.

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Die Dialogzeile soll von Grant improvisiert worden sein und mag im Rahmen der temporeich-überdrehten Inszenierung funktionieren, beinhaltet aber auch alle Vorurteile, die damals und auch heute noch gegen queere Männer weithin verbreitet waren und sind: Schwul sein bedeutet effeminiert sein – und ist natürlich die naheliegendste Erklärung dafür, in einem unpassend-extravaganten Fummel herumzulaufen. Diese Denk- und Darstellungsweise hat in Hollywood eine lange, hässliche Tradition im Rollentypus der Sissy, wie diese in etlichen Publikumserfolgen vorkommt, zum Beispiel im Revuefilm Scheidung auf amerikanisch (1934), in der Rock-Hudson-&-Doris-Day-Komödie Ein Pyjama für zwei (1961) oder – traurigerweise – noch 2017 in der Disney-Realverfilmung Die Schöne und das Biest.

Cleverer griff schon zu Stummfilmzeiten der 23-Minüter Hinter der Leinwand (1916) von und mit Charlie Chaplin diese homophoben Ansichten auf. Auch hier sorgt die unübliche Bekleidung einer Person für Irritation und führt dazu, dass diese als gay charakterisiert wird (wenngleich das Wort – etwa in den Zwischentiteln – nicht verwendet wird). Anders als in Leoparden küsst man nicht ist es indes nicht der Protagonist, der in solchen Klischees denkt, sondern der Antagonist: Als der Bühnenhilfsarbeiter David (Chaplin) einer jungen Frau (Edna Purviance) näherkommt, die sich als Mann verkleidet hat, und dabei von seinem fiesen Chef Goliath (Eric Campbell) beobachtet wird, fängt dieser an, in betont lächerlichen Bewegungen um das Duo herumzutanzen, um damit ein „schwules“ Verhalten zu imitieren. In beiden Fällen – in Leoparden küsst man nicht und in Hinter der Leinwand – ist das vermeintliche Schwul-Sein von Figuren eine Gag-Quelle; im ersten Fall lachen wir jedoch über den Schwulen-Witz des Helden (statt über dessen enges Mindset), im zweiten Fall führt der Regisseur die Homophobie der (Negativ-)Figur vor.

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Lachhaft und mitleiderregend

In einigen Filmen, die als Klassiker der Kinogeschichte rubriziert werden können, finden sich queere Männerfiguren, die zumeist grotesk oder erbärmlich wirken. So kündigt sich zum Beispiel Joel Cairo (Peter Lorre) in John Hustons Die Spur des Falken (1941) mit einer parfümierten Kreditkarte an, wird von dem Helden Samuel Spade (Humphrey Bogart) mit verwundertem Blick empfangen – und kann von diesem selbstverständlich im Nu überwältigt werden, als er eine winzige Handfeuerwaffe zückt, um den patenten Privatdetektiv in säuselndem Tonfall zu bedrohen. Ein Witz, dieser Mann! Die Spur des Falken mag ein „[l]egendärer stilbildender Film der amerikanischen ‚Schwarzen Serie‘“ sein – frei von Homophobie (und ebenso von Misogynie) ist er allerdings gewiss nicht.

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In Otto Premingers Sturm über Washington (1962) ist Schwul-Sein hingegen ein „nasty secret“, das einen jungen Senator (Don Murray) in den Suizid treibt. Der Film, den der Regisseur Peter Bogdanovich einmal als „by far the best political movie ever made in this country“ beschrieben hat, gibt in einer Sequenz Einblick in eine Schwulenbar – und lässt dabei wirklich keinen Zweifel daran, dass das Schattenleben schwuler Männer hoffnungslos unglücklich ist.

 

Bedrohlich und krank

Die Darstellung queerer Frauen geht indessen oft in eine andere, gleichwohl nicht weniger problematische Richtung. Während die angeblich erste lesbische Filmfigur – Gräfin Geschwitz (Alice Roberts) in Georg Wilhelm Pabsts hoch angesehener Frank-Wedekind-Bearbeitung Die Büchse der Pandora (1929) – in ihrer verzweifelten, einseitigen Liebe ebenfalls ziemlich mitleiderregend anmutet und auch William Wylers Infam (1961) mit der Lehrerin Martha Dobie (Shirley MacLaine) eine offenbar lesbische Figur zeigt, die aufgrund ihrer Abscheu vor sich selbst äußerst bedauernswert ist, haftet nicht-heterosexuellen Frauen in einigen großen Filmen etwas zutiefst Unheimlich-Bedrohliches an. Im Psychothriller Rebecca (1940) vom Master of Suspense Alfred Hitchcock fungiert die Haushälterin Mrs. Danvers (Judith Anderson), die eine offenkundige Obsession für ihre verstorbene Arbeitgeberin hegt, als dämonische Kraft – und muss am Ende den Flammentod sterben.

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Im gelobten Melodram Der Jazztrompeter (1950) lässt Casablanca-Regisseur Michael Curtiz die von Lauren Bacall verkörperte, als sexuell ambivalent gekennzeichnete Gattin des Protagonisten Rick Martin (Kirk Douglas) wiederum als moralisch überaus fragwürdige Person erscheinen. „You’re a sick girl, Amy. You’d better see a doctor“, exklamiert der titelgebende Musiker in einem Streitgespräch zwischen den Eheleuten – und soll damit vermutlich auch dem Publikum ein klares Urteil über diese Frau und ihre Neigungen an die Hand geben.

Der Jazztrompeter
Der Jazztrompeter von Michael Curtiz; Copyright: Warner Bros.

 

Weil sie es verdienen

In Filmen, die nicht zwangsläufig als inhaltlich und/oder formal erstklassig, aber als „kultig“ eingestuft werden, finden sich besagte Tendenzen in der Darstellung queerer Figuren ebenfalls – und werden oft sogar noch extremer ausgespielt. So wird etwa die unheimliche Aura und Bedrohlichkeit der Gräfin Marya Zaleska (Gloria Holden) in der Dracula-Fortsetzung Draculas Tochter (1936) nicht nur aus der Tatsache erzeugt, dass diese eine Vampirin ist, sondern ebenso daraus, dass sie auch Frauen zu verführen vermag.

Draculas Tochter
Draculas Tochter von Lambert Hillyer; Copyright: Universal Pictures

 

Im Roadmovie Fluchtpunkt San Francisco (1976) wiederholt sich indes das Szenario aus Die Spur des Falken, wird allerdings noch genüsslicher auf die Spitze getrieben: Auch hier werden zwei augenscheinlich schwule Männer (Anthony James und Arthur Malet) unter anderem mit einem lächerlichen Accessoire – einer Handtasche – sowie einer Fistelstimme als Knallchargen vorgeführt und von dem amüsierten Hetero-Helden Kowalski (Barry Newman) mühelos aus dem Auto geworfen, als sie versuchen, ihn zu überfallen. Eine vergleichbar homophobe Passage gibt es im Fantasy-Werk Conan, der Barbar (1982), welches wohl nicht zuletzt dank Hauptdarsteller Arnold Schwarzenegger innerhalb des Genres Kultstatus besitzt. Hier kommt einem Priester (Jack Taylor) lediglich die Funktion zu, dem als Pilger getarnten Titelhelden fragwürdige Avancen zu machen und daraufhin von diesem niedergeschlagen und um sein Gewand gebracht zu werden. Die Lüsternheit der Figur und deren Schwäche dienen als billige Lacher.

Nicht minder albern (wenn auch deutlich gefährlicher) mutet das händchenhaltende Killer-Paar Mr. Kidd und Mr. Wint (Putter Smith und Bruce Glover) in James Bond 007 – Diamantenfieber (1971) an. Wenn der titelgebende Geheimagent (Sean Connery) den mörderischen Mr. Wint überwältigt, indem er diesem von hinten eine Bombe zwischen die Beine klemmt und den One-liner „Well, he certainly left with his tail between his legs!“ von sich gibt, nachdem er den Mann samt Bombe über Bord geworfen hat, geht mit der üblichen Bestrafung des Schurken eine sehr auffällige Sexualisierung und Demütigung einher.

 

Skandalöse Enthüllung

Als transphob erweisen sich Filme hingegen rasch, wenn sie die Entdeckung einer Trans*-Person als Gag nutzen und uns mit der Hauptfigur über diese Entdeckung staunen lassen – wie zum Beispiel in der Abenteuerkomödie Crocodile Dundee – Ein Krokodil zum Küssen, die zum zweitgrößten Box-Office-Hit des Jahres 1986 wurde und sogar eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Bestes Originaldrehbuch erhielt. That girl, she’s a guy!“, heißt es darin – gefolgt von kollektivem Gelächter, als der Protagonist Michael (Paul Hogan) die Trans*-Frau Gwendoline (Anne Carlisle) durch einen Griff in den Schritt „enttarnt“.

In den Thrillern Dressed to Kill (1980) von Brian De Palma und Das Schweigen der Lämmer (1991) von Jonathan Demme trägt die Trans*-Identität der antagonistischen Figuren Robert Elliott (Michael Caine) und Jame Gumb (Ted Levine) wiederum zu deren Devianz bei und wird auch als (Teil-)Motiv für deren grausame Taten herangezogen. Da die Filme insgesamt dicht und spannend inszeniert sind, mag diese Transphobie weniger auffallen als in schnöden B- und C-Movies, die ähnlich operieren – sie sorgen aber mindestens genauso dafür, dass sich die Tradition einer solch abstoßend-klischeehaften Darstellung fortsetzt (wie etwa der aktuelle Fall Ghostland von Pascal Laugier demonstriert, in welchem die Trans*-Identität der von Kevin Power gespielten Candy Truck Woman offenbar als Begründung für deren gewaltsame Psychopathie ausreichen muss).

Auch Filme, die als Meisterwerke, Klassiker oder Kult bejubelt werden und fraglos vieles richtig machen, müssen von uns immer wieder kritisch hinterfragt werden; wir müssen ihre diffizilen, unreflektierten, rückständigen, von Vorurteilen behafteten Stellen erkennen. Denn wo könnte eine Liebe, die blind macht, fataler sein als im Kino?

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