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Frauen wählen: Kampf gegen die Unsichtbarkeit

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Die erste saudische Filmemacherin Haifaa al-Mansour hat ähnliche Schlachten zu schlagen wie die Figuren in ihren Filmen: Den alltäglichen Kampf, sichtbar zu bleiben, ihre Stimme erheben zu dürfen.

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Haifaa al-Mansour - Portrait
Haifaa al-Mansour - Portrait

Als Mary Shelley (Elle Fanning) ihren ersten Roman beendet – Frankenstein oder Der moderne Prometheus – will sogar ihr eigener Ehemann Percy Bysshe Shelley (Douglas Booth), selbst ein Schriftsteller, sie dazu überreden, das Werk mit einer positiveren Botschaft zu versehen. Etwas Erbauliches über die Schönheit der menschlichen Moral schwebt ihm vor und als sich Mary mit dem unveränderten Manuskript auf die Suche nach einem Verleger begibt, will zunächst niemand ihr Buch herausbringen. Ein in wissenschaftlichen Experimenten erschaffenes Monster? Das ist doch kein Thema für eine junge Lady.

„You don’t need anything from them,“ tröstet Mary einmal ihre unter Liebeskummer leidende Schwester, und ist sich doch in diesem Moment schrecklich gewiss, dass dieser Satz nur zur Hälfte stimmt. Sicher, Männer spielen in Mary Shelley ähnlich wie in den anderen Filmen von Haifaa al-Mansour keine besonders große Rolle. Meist erweisen sie sich als schwach oder schlichtweg als Arschlöcher. Trotzdem sind die Frauen von ihnen abhängig, denn sie sind die Patriarchen, die Entscheider, ob im Großbritannien des frühen 19. Jahrhunderts oder im heutigen Saudi-Arabien.

 

Das Mädchen Haifaa

Haifaa al-Mansour ist für Das Mädchen Wadjda bekannt, den ersten komplett in Saudi-Arabien entstandenen Film und dann auch noch von einer Frau. Gedreht mit einer im verspiegelten Van versteckten Regisseurin, um nicht die Sittenpolizei des streng nach Geschlechtern getrennten Landes auf den Plan zu rufen. Aber begonnen hat al-Mansour wie so viele ihrer Kollegen und Kolleginnen mit Kurz- und Dokumentarfilmen. Im 2005er Women Without Shadows ist sie aus dem Off zu hören: „Ich war mir sicher, die Leute finden saudische Frauen irgendwie mysteriös.“ Da mag sie recht haben. Denkt man an die Frauen in dieser nach außen hin extrem abgeschlossenen Gesellschaft, so denkt man an die schwarzen Silhouetten wallender Schleier, an Frauen, die in der Öffentlichkeit gewissermaßen unsichtbar sind. „Filme mich nicht“, verlangen die Frauen in Women Without Shadows, die al-Mansour vorrangig auf Märkten trifft. Nicht, weil es gesetzlich verboten wäre, sondern schlicht und einfach, weil die Traditionen des Landes das nicht vorsehen. Und dann findet ihre Kamera doch eine Frau, die die Arme ausbreitet und ruft: „Filme! Nimm, was du willst, hier!“

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Auch Haifaa al-Mansour führt einen ständigen Kampf darum gesehen zu werden. Im Jahr 1974 in einer saudischen Kleinstadt als achtes von zwölf Kindern geboren, verbringt sie ihre Kindheit mit den Videokassetten, die ihr Vater, der saudische Dichter Abdul Rahman Mansour, nach Hause bringt: Disneyfilme, Bruce Lee, Jackie Chan. Die ganze Stadt kennt die liberale Einstellung ihrer Familie, dementsprechend schwer ist es für Haifaa, sich in der Schule anzupassen. Nach einem Literaturstudium an der Amerikanischen Universität in Kairo beginnt sie in einem Ölkonzern zu arbeiten und sagt nicht umsonst über diese Zeit: „Ich habe mich so unsichtbar gefühlt.“ Mit der Filmemacherei beginnt sie deshalb als Hobby, castet ihre Geschwister in Kurzfilmen und erhält die Möglichkeit, ihre ersten Arbeiten auf verschiedenen arabischen Filmfestivals zu zeigen. Das Drehbuch zu Das Mädchen Wadjda schließlich schreibt sie während ihres Masterstudiengangs in Regie und Filmwissenschaften an der Universität von Sidney – die Geschichte eines saudischen Mädchens, das an einem Koran-Rezitationswettstreit teilnimmt, um sich von dem Gewinn ein Fahrrad zu kaufen, mit dem sie in der Öffentlichkeit nicht fahren darf.

 

Ein isoliertes Land versucht sich zu öffnen

Saudi-Arabien hat sich in den vergangenen Jahren ein wenig geöffnet. Kronprinz Mohammed bin Salman treibt Reformen voran, seit diesem Jahr dürfen Frauen Auto fahren, für das Radeln wird männliche Begleitung nur noch empfohlen und nach 35 Jahren Verbot wurde im April das erste Kino mit einer Aufführung des Superheldenfilms Black Panther wiedereröffnet. Seit Anfang der 1980er Jahre waren Lichtspielhäuser, Konzerte und ähnliche Vergnügungen als „unislamisch“ verboten; nun ausverkaufte Kinokarten innerhalb von 16 Minuten. Drei Frauen berief Kronprinz Salman in die General Authority for Culture, die sich um den filmischen Nachwuchs des Landes kümmern soll. Eine davon Haifaa al-Mansour. Sie glaubt an gemächlichen Wandel mithilfe der Kunst. Schritt für Schritt, nicht durch radikale Überzeugungen.

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Dennoch bleibt die Lage für Frauen im Land inakzeptabel. „Reem Abdullah ist ein sehr berühmter TV-Star,“ sagt al-Mansour beispielsweise über die Darstellerin der Mutter in Das Mädchen Wadjda. „Reem kann in den Supermarkt gehen und das bekannteste Magazin mit ihrem Gesicht drauf kaufen, da posiert sie auf sehr westliche Art. Aber sie muss dabei die Abaya tragen, denn sie darf die Straßen nicht ohne eine betreten.“ Und noch während sich die Filmverleiher und Autohersteller über den potentiell neuen Absatzmarkt freuten, wurden zahlreiche saudische Frauenrechtsaktivistinnen festgenommen.

Auch für Filmemacher in der gesamten arabischen Welt wird es schwerer und schwerer, ihre Projekte zu verwirklichen. Der angespannten wirtschaftlichen Lage wegen sind Investoren Mangelware, das kaum ausgefeilte Distributionssystem und Piraterie machen der Industrie zu schaffen und in letzter Zeit waren diverse Festivals und Stiftungen der Region gezwungen aufzugeben. Im saudischen Fernsehen laufen bisher fast ausschließlich TV-Produktionen, Telenovelas gelten als Maß aller Dinge. Ein Beleuchter für Das Mädchen Wadjda wünschte al-Mansour nach Drehende, bald einmal eine Telenovela-Episode inszenieren zu dürfen.

Die Folge: Alles, was nicht von vorneherein kommerziellen Erfolg verspricht, ist auf europäische Fördergelder angewiesen. Geld, das an Bedingungen geknüpft ist, das Abhängigkeiten schafft, künstlerische Freiheit einschränkt. Mit Mary Shelley hat al-Mansour ihren ersten englischsprachigen Film gedreht, eine Koproduktion zwischen England, Luxemburg und den Vereinigten Staaten. Als ihr Agent ihr das Drehbuch vorlegte, reagierte sie erst einmal mit Skepsis. Was sollte eine saudische Filmemacherin über das Leben einer britischen Schriftstellerin der Regency-Ära zu sagen haben? Jede Menge, wie sich herausstellte: „Ich liebe es, dass sie sich entschieden hat ein Buch zu schreiben, das so jenseits aller „akzeptablen“ Bereiche der Literatur für Frauen lag, und ein Genre erschuf [Science-Fiction, Anm.d.Red.], das bis heute von männlichen Stimmen dominiert wird.“

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Saudischer Neorealismus

Mary Shelley ist ein bemerkenswerter Film geworden, lässt er doch endlich einmal nicht die Schriftstellerin hinter ihrer ikonischen Figur verschwinden und schreckt auch vor Konfrontationen mit Institutionen und Tabus nicht zurück. Dass Mary Shelley wissentlich eine Beziehung mit dem verheirateten Vater zweier Kinder eingeht, verurteilt der Film nicht, er zeigt aber durchaus die daraus resultierenden Konsequenzen für alle Beteiligten. Auch eine Szene in der Kirche bleibt im Gedächtnis. „Wenn Gott überall ist, wieso ihm dann Tempel bauen?“ fragt Percy Bysshe Shelley, nimmt auf dem Altar Platz und genehmigt sich einen zünftigen Schluck vom Messwein.

Trotzdem haben ihre englischsprachigen Filme einen völlig anderen Tonfall als jene Werke, die Haifaa al-Mansour auch selbst geschrieben hat. Die sind vor allem vom Neorealismus inspiriert: „Wie im iranischen Kino haben die italienischen Neorealisten es verstanden, den wenigen Raum, der ihnen zur Verfügung stand, zu nutzen um sich auszudrücken. In einer konservativen Kultur gibt es viele Dinge, die auszudrücken sich Filmemacher schwertun. Von den Neorealisten habe ich viel darüber gelernt, wie man einen Film macht, der simpel wirkt, aber viel über die Kultur erzählt. Das Fahrrad in Wadjda verwurzelt die Story in der Filmgeschichte. Das fand ich wichtig, denn ich komme von einem Ort, an dem es überhaupt keine Filmgeschichte gibt.“

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Nach diesem Vorbild funktioniert auch ihr Kurzfilm The Wedding Singer’s Daughter, der 2018 im Rahmen der Miu Miu Women’s Tales entstanden ist; einer Reihe von der Marke gesponserter Kurzfilme, bei denen aufstrebende Filmemacherinnen völlige künstlerische Freiheit genießen. Im Gegenzug tragen die Figuren Stücke aus der neusten Miu-Miu-Kollektion. In Haifaa al-Mansours Achteinhalbminüter sind es glänzende Schuhe und aufwändig bestickte Kleider in leuchtenden Primärfarben, die eilig von schwarzen Schleiern bedeckt werden, als auf einer saudischen Hochzeit die Männer zu den bereits feiernden Frauen stoßen. Nur die Tochter der für das Fest engagierten Sängerin kann sich jetzt noch frei bewegen.

Zu ihrer eigenen Hochzeit mit einem amerikanischen Diplomaten fuhr al-Mansour, weil das Autofahren ihr damals noch untersagt war, mit einem Golfcart vor. Mit ihrem Ehemann hat sie nun das Drehbuch zu ihrem nächsten Langfilm geschrieben. Für The Perfect Candidate wird sie erneut in ihrer Heimat drehen; es geht um eine Ärztin, die in einer Kommunalwahl antreten will. Diesmal kommt das Geld aus Deutschland und Saudi-Arabien und obwohl das Land noch immer isoliert ist, erhofft sich die Regisseurin diesmal einen einfacheren Casting-Prozess als noch bei Das Mädchen Wadjda: „Damals war das Filmemachen nicht illegal, aber so richtig legal war es auch nicht und deshalb haben die Frauen sich geschämt. Die Situation war nicht klar. Aber nun ist es legal, wir können Castings ankündigen und werden ein Büro haben. An Talente zu kommen wird viel organisierter ablaufen.“ 

 

Das Problem mit der Abhängigkeit

Die Frage wird sein: Was kommt danach? Nach Mary Shelley drehte al-Mansour noch die romantische Komödie Alte Zöpfe (Nappily Ever After) für Netflix, in der Violet (Sanaa Lathan) nach einer gescheiterten Beziehung aufgeht, wie sehr sie sich ihr Leben von ihrem widerspenstigen Haar hatte diktieren lassen. Es ist erstaunlich, wie sie diesem durch und durch gut gemeinten Film, einem formelhaften, ausschließlich auf Stereotypen basierenden Drehbuch doch noch einige intensive Szenen abgewinnen konnte. Es sind stets die filmisch einfachsten Momente: Etwa wenn sich Violet in einer Übersprunghandlung den Kopf rasiert und sich dabei sämtliche menschenmögliche Emotionen in ihrem Gesicht spiegeln.

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Schaut man sich ihre bisherige Filmographie an, wird klar, wo Haifaa al-Mansours Stärken liegen. Sie ist eine Autorenfilmerin, die am besten eigene Stoffe entwickelt und umsetzt. Es ist die gleiche Krux mit der Abhängigkeit, mit der sich schon Mary Shelley herumschlagen musste. Eigentlich braucht sie wirklich niemanden: Sie hat das Talent zu schreiben und ihre Visionen in Bilder zu gießen. Hindernisse ist sie gewöhnt. Und dennoch braucht es Geldgeber, die ihr die Möglichkeiten bieten, ihre Vorhaben umzusetzen. Die ihr Projekte mit etwas mehr Fleisch geben, sie nicht an der vielbeschworenen Glasdecke abprallen lassen. „Ich glaube, es ist an der Zeit einen Studiofilm zu machen,“ sagte Haifaa al-Mansour im vergangenen Sommer. „Es ist wichtig in meiner Karriere das nächste Level zu erreichen. Ständig werden Frauen in diese Ecke gestellt, nur Independentkino zu machen. Es wird ihnen nicht erlaubt zu wachsen. Oder man traut ihnen keine großen Budgets zu. Hoffentlich wird sich das verändern.“ Und sie fügt noch hinzu: „Ich will nicht in eine Schublade gesteckt werden und das werde ich auch nicht. Ich werde rebellieren!“

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