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Die RomCom ist tot, lang lebe die RomCom

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Mit der romantic comedy ist es wie mit dem Western: Immer wieder wird sie totgesagt, doch dann erweist sie sich wider Erwarten als lebendig. Warum wird eigentlich niemals der Thriller totgesagt? Oder der Actionfilm? Vermutlich weil diese Genres weniger formelhaft und zeitgebundenen erscheinen.

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Schlaflos in Seattle - Filmstill
Schlaflos in Seattle - Filmstill

Vor 25 Jahren lief die RomCom der 1990er Jahre an: „Schlaflos in Seattle“. Mit Meg Ryan, Tom Hanks und dem Empire State Building. Beileibe nicht so bissig, treffen und erwachsen wie „Harry und Sally“, aber auch von Nora Ephron – und ihr ist es zu verdanken, dass ich mich beim Wiedersehen nach so vielen Jahren nun gefragt habe, ob manche Szenen ernst gemeint oder doch einfach raffiniert subversiv sind.

Zum Beispiel: Jede Frau und jedes Mädchen in diesem Film weint bei Die große Liebe meines Lebens. Aber jede weint so übertrieben und sagt denselben Satz hinterher, dass durchaus zu diskutieren ist, ob Nora Ephron hierin nicht einen Kommentar auf die Wahrnehmung sieht, dass RomComs Filme für Frauen, Mädchenfilme oder „chick movies“ seien. Das würde zumindest die Szene ein wenig aufwerten, in der der vom Tom Hanks gespielte Sam Baldwin sich fragt, ob er es jemals zulassen kann, dass eine Frau für ihr Essen bezahlt. Oder die Grundannahme dieses herrlich züchtigen Films, dass ein ausgetauschtes „Hallo“ und eine Berührung mit der Hand ausreichen, um die Liebe des Lebens zu finden. 

In Sachen idealisierter Romantik steht Schlaflos in Seattle dem Cary-Grant-Deborah-Kerr-Streifen in Nichts nach. Die Figur Sam Baldwin appelliert doch vor allem an das Heilungssyndrom, das vielen Frauen nachgesagt wird – und vermutlich auch so einige haben. Da ist der verletzte, traurige Witwer mit Sohn, der einfach nicht mehr an die Liebe glaubt. Und deshalb lässt die Journalistin ihre Beziehung mit einem Mann sausen, der sie respektvoll behandelt, ihr Raum gibt, wenn sie ihn braucht, und sogar verständnisvoll reagiert, wenn sie ihm sagt, dass sie einer Stimme im Radio nachgejagt ist. Aber natürlich hatte er einfach zu viele Allergien, um der Mann fürs Leben zu sein. 

Schlaflos in Seattle; Copyright: Columbia TriStar
Schlaflos in Seattle; Copyright: Columbia TriStar

Einen großen Teil des Erfolgs verdankt dieser Film vermutlich einem Kniff: Die beiden Menschen, die füreinander bestimmt sind, treffen sich erst am Ende des Films. Und auch dort nur kurz. Es kommt noch nicht einmal zu einem Kuss. Das gängige Muster bei den RomComs der Hochzeit der 1990er und 2000er Jahre sieht anders aus: Mann trifft Frau. Mann verliert Frau. Mann setzt alles daran, Frau zurückzugewinnen. Am Ende winkt das Versprechen, ein Leben lang in einer Mittel- bis Oberklassenidylle glücklich zu sein, die zutiefst weiß ist. Doch seit Mitte der 2000er Jahre befindet sich die RomCom im Niedergang und wurde immer wieder für tot erklärt. Verschiedene Schuldige wurden ausgemacht: Die Rezession. Katherine Heigl. Buddy Comedys. Tatsächlich Liebe. Eine Übersättigung an sympathischen, niedlichen Frauen, die einen Mann treffen, der sie „komplettiert“. Ein Überdruss an Männern, die Gesangseinlagen liefern, um Frauen zu erobern. 

 

Neue Vorstellungen von Liebe und Romantik

Fakt ist: Die Welt hat sich verändert. Das beginnt bei dem Frauenbild. Die Idee, dass die Erfüllung einer Frau beim Mann liegt und die Ehe das höchste Ziel (eventuell neben der Mutterschaft) sei, hatte sich schon verändert, als sich die RomComs noch in die entgegengesetzte Richtung bewegten. Paradigmatisch stehen hierfür ausgerechnet die drei Nora-Ephron-Filme Harry und Sally, Schlaflos in Seattle und E-Mail für Dich, in denen sich das Handeln und Streben der Frau immer mehr auf den Mann verlagert und Frauenfreundschaften eine immer weniger wichtige Rolle spielten. Es ist nicht die Erkenntnis, dass sie Walter (Bill Pullman) nicht liebt, die Annie zum Handeln veranlasst, sondern die Vorstellung von einem anderen Mann. 

Dabei hat diese Entwicklung schon früher eingesetzt. Bereits 1992 beklagte Peter Rainer in der LA Times, dass romantischen Filmen starke Frauenfiguren fehlen. Während die großen romantischen Komödien der 1930er Jahren vor allem funktionierten, weil Männer mit starken Frauen wie Barbara Stanwyck und Carole Lombard kombiniert wurden, seien die romantischen Komödien der Gegenwart zu konventionell: „The conventions that are ripe for romantic revisionism — the ways we view our sexual roles, habits, longings — remain unsubverted.“ Tatsächlich lässt sich in fast allen romantischen Komödien feststellen, dass es zwar Frauen mit Einfluss gibt: sie sind erfolgreich im Beruf beispielsweise. Aber dann sorgt das Drehbuch dafür, dass es ihnen schlecht geht, im Zweifelsfall, weil ihnen die Liebe fehlt. Diese Einschätzung wird noch in der Netflix-RomCom Set it up aus dem Jahr 2018 aufgegriffen, allerdings in einer Nebenfigur, die sich dann auf das besinnt, was sie hat. 

Set it Up; Copyright: Netflix
Set it Up; Copyright: Netflix

Liebe und Romantik tragen nicht mehr das Heilsversprechen in sich, das ihnen früher beeinflusst von religiösen, ökonomischen und medialen Formen zugeschrieben wurde. Ein monogames Leben in einer weißen, heteronormativen Mittelklasseidylle erscheint weniger erstrebenswert. Immer mehr Menschen identifizieren sich als bi oder queer und es gibt eine wachsende Anerkennung von verschiedenen Beziehungsformen, dadurch löst sich die konservative Idee, dass es den einen perfekten Partner, die eine Beziehung gibt, zunehmend auf. Liebe soll nicht mehr perfekt sein, Liebe soll durcheinander sein. Dazu passen die althergebrachten Normen der RomCom nicht, in denen höchstens der Weg zur Liebe chaotisch ist – mit Ausnahme von, natürlich, Harry und Sally

 

Stalking als romantische Geste

Durch den Feminismus, durch das Hinterfragen von Geschlechterrollen verändert sich zudem die Wahrnehmung des Liebeswerbens. Es ist natürlich nicht so, dass nicht mehr geflirtet werden darf. Aber consent, Zustimmung, ist endlich bedeutsam. Deshalb lässt sich die Vorstellung eines Liebeswerbens, das aus aufgezwungenen Küssen und Stalking besteht, nicht mehr aufrechterhalten. Wie ausgeprägt und verbreitet diese Vorstellung in den RomComs der vergangenen Jahre ist, hat Jonathan McIntosh hat sich kürzlich in einem sehr sehenswerten Videoessay ausgearbeitet. Er zeigt, wie in Filmen das stalkerhafte, obsessive Verhalten des Mannes als Ausdruck seiner Liebe gezeigt wird, als erfolgreiche Strategie: In der Regel erreicht der Mann sein Ziel, obwohl er – im Gegensatz zu den Zuschauern – zu dem Zeitpunkt seines Stalkings nicht wissen kann, dass die Frau seine Gefühle erwidert hat. Interessanterweise gibt es auch hier eine geschlechtsspezifische Unterscheidung: Stalkt die Frau, wird sie in der Regel als verrückt dargestellt – zu sehen u.a. in Schlaflos in Seattle. 

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Dennoch hat sich Stalking als romantische Geste bis heute als Trope gehalten und findet sich immer wieder in Filmen. Natürlich sind es erst einmal „nur“ Filme. Aber sie – und andere Medienformen – bestimmen unsere Vorstellungen von Romantik und Liebe, das hat Eva Illouz hinlänglich gezeigt. Und gerade deshalb darf kriminelles Verhalten nicht verharmlost werden. Stalking ist kein Kompliment, sondern ein Vergehen. 

 

Neue RomComs müssen her

Wesentlich Bestandteile der RomCom sind somit überaltet. Sie sind altmodisch, passen nicht mehr in die Zeit, oftmals wirken die Probleme, die behandelt werden, elitär und abgehoben. Aber das heißt nicht, dass die RomCom tot ist. Tot sind die Ideen, die sie jahrelang propagiert hat. Die RomCom verändert sich– und muss sich weiterhin verändern. In Serien wie Love, My Crazy Ex-Girlfriend und You Me Her, in der eine polyamouröse Beziehung im Mittelpunkt steht, bewegt sich bereits etwas. Auch im Kino sind Veränderungen zu finden – allerdings nicht bei Studioproduktionen. So versucht Hallie Meyers-Shyer in Liebe zu Besuch zwar einige Elemente zu modernisieren, bewegt sich aber weiterhin den bekannten Upper-Class-Schöner-Wohnen-Pfaden, die ihre Mutter Nancy Meyers schon reichlich ausgetreten hat. Wesentlich weiter ist da schon Love, Simon. Ein Film, der all die generischen Muster einer RomCom aufgreift – doch dieses Mal mit einem homosexuellen Protagonisten.

Love, Simon; Copyright: 20th Century Fox
Love, Simon; Copyright: 20th Century Fox

Frischere RomCom-Versuch finden sich indes vor allem im Independentkino: In Celeste & Jesse trennt sich das Paar, das füreinander bestimmt zu sein scheint – und bringt damit eine Melancholie in diese Beziehung, die jede gute romantische Komödie braucht. The Big Sick löst sich nicht nur von der weißen Welt, sondern erzählt von einem Werben und einer Beziehung, in der consent und Respekt selbstverständlich sind, und steckt voller trauriger und ehrlicher Momente. In My Sister’s Sister entsteht ein Gefühlsdreieck, das dann so aufgelöst wird, wie man es auch Bridget Jones in Bridget Jones‘ Baby zurufen wollte: Versucht es doch zu dritt. 

Auch Netflix scheint zunehmend auf RomComs zu setzen. In dem Programm findet sich neben eher generischen Filmen wie The Kissing Booth und Set it up, in dem immerhin in den Nebenfiguren divers sind, auch The Incredible Jessica James, in dem die afroamerikanischen Protagonistin Jessica ihre Gefährten selbst aussucht und ihr Glück findet. Im Sommer wird dort zudem To all the Boys I’ve loved before anlaufen – eine RomCom mit einer vietnamesisch-amerikanischen Hauptdarstellerin. 

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Die RomCom muss also nicht sterben. Sie muss sich verändern und der Gegenwart anpassen. Eine diverse Besetzung, andere Figuren. Schluss mit den schluffigen oder zu rettenden Männern, Schluss mit den niedlichen Frauen und Mädchen. Her mit unterstützenden, widersprüchlichen, komplizierten (weiblichen) Figuren. Und noch etwas sollte sich ändern: Die RomCom sollte ernst genommen werden – von allen Beteiligten. Mögen manche sie immer noch aus „Frauengenre“ abtun, daraus muss nicht folgen, dass sie minderwertig ist.

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