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Kommentar

Rettet das Kino und streamt

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Die diesjährige Berlinale sollte nicht nur Filme zeigen. Sie sollte auch das Kino retten. Die Entscheidung, auf ein reines Präsenzfestival zu setzen, führt jedoch in die Sackgasse. Wir werden das Kino nur retten, wenn wir Streaming endlich anders denken. Ein Kommentar.

Meinungen
Streaming vs. Kino
Streaming vs. Kino

Der Tod des Kinos dauert an. Jahre bereits. Dieses Sterben ist selbst schon ein stetiger Programmpunkt auf Podien. Bereits vor der Pandemie diskutierte die Filmbranche im ganzen Land, wie man das mit dem Kino nur wieder hinbekommen könne. Mit Corona hat sich nun das Leben der Menschen immer stärker ins Digitale verlagert, was auch für den Filmgenuss gilt. Mit der Rettung des Kinos wurde es also nichts. Die Menschen bleiben den Sälen zunehmend fern. Wird sich das wieder ändern? Es deutet wenig darauf hin, zumindest stehen die Chancen schlecht, wenn wir weiterhin glauben, alles beim Alten belassen zu können.   

Corona vorbei und Kinotüren auf — das wird nicht funktionieren. Diese Vorstellung, man müsse dieses Virus nur aussitzen und könne an das auf Pause gestellte Leben wieder anknüpfen, das ist der große und gefährliche Irrglaube. Es ist die vertane Chance der vergangenen zwei Jahre, nicht gesamtgesellschaftlich über neue Lebensformen nachzudenken. Das Beharren der Berlinale-Festivalleitung auf ein reines Präsenzfestival gibt in Bezug auf die Kultur die weitere Richtung vor: ein unkreativer Starrsinn, der dem Kino letztlich schaden wird. Man lese nur die patzigen Antworten des Festivalleiters Carlo Chantrian im Gespräch mit Daniel Kothenschulte — aus jedem Satz trieft der Trotz.

Gut. Man kann sagen, es ist alles für eine gute Sache: Rettet das Kino! So lautete auch die Losung der Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Die Berlinale soll als empathische Verteidigungsgeste des Kinoraums gesehen werden. Und ja, das Kino muss geschützt werden. Daran besteht kein Zweifel. Es ist einzigartig. Dieser dunkle Raum ist eine Kirche. Schade nur, dass die Kulturpolitiker bislang nicht damit aufgefallen sind, Film auch als Kunst wahrzunehmen und ebenso zu behandeln. Nun läuft man mit Ansage und gutem Willen in die Sackgasse.

Das Kino wird nur mit Streaming zu retten sein

In den sozialen Medien ist die Debatte in vollem Gange, und die Fronten — mitunter geht es martialisch zu — verlaufen sich in alle Richtungen. Während die eine Fraktion den Mut zur Präsenzveranstaltung lobt, haben andere damit massive Probleme. Häufig geht es um die Pandemie und darum, dass man irgendwann einfach wieder zusammenkommen müsse, da sonst die gemeinschaftlichen kulturellen Räume verloren gehen. Andere betonten die Gefahren von Ansteckungen. Alle sind gereizt und pandemisch ausgezehrt. Aber das soll hier gar nicht der Punkt sein. Hybride Festivals sind eine Chance, die weit über den Ausnahmezustand der Pandemie hinausreicht.

Das entsetzte Gegenargument zieht bereits am Horizont auf: All die digitalen Experimente seien katastrophal gewesen. Festivalmacher_Innen weltweit hätten keine guten Erfahrungen gemacht. Zudem sei das immer so eine Sache mit den Filmrechten. Und ohnehin würde man einen Film zu Hause gar nicht wirklich erleben können — die Kunst verkümmert auf dem Fernsehgerät. 

Ein ganzes Bündel an Gegenargumenten wird aufgefahren, ein Gewirr aus seltsamen Behauptungen und genervter Ungeduld. Nur weil die eilig aus dem Boden gestampften Onlinekonzepte bislang nicht aufgegangen sind, hat das keinerlei Aussagekraft. Natürlich müssen sich diese Formen erst etablieren, und es muss an ihnen gearbeitet werden: Was bedeutet es, ein Festival mit einem digitalen Fenster zu kuratieren? Wieso passen sich die Rechteinhaber nicht einfach an die Gegebenheiten an bzw. zeigt eben jene Filme, die zeigbar sind, online. Hybrid bedeutet ja kein Entweder-Oder. Es ist eine Mischform, und damit berühren wir eine der großen Fragen unserer Zeit: Wie können sich physische Formen der Kultur (Zeitungen, Lesungen, Konzerte, Kino) auf eine sich gegenseitig bereichernde Art mit dem Digitalen kombinieren lassen?

Streaming ist mehr als ein Container

Allerorts wird online als eine Art Container begriffen: Netflix ist ein Container, Spiegel Online ist ein Container und Spotify und Co. ebenso. Wir sind in weiten Teilen noch gar nicht wirklich digital, sondern verpacken Inhalte einfach nur neu und anders. So kann das natürlich nicht gehen. Damit ersetzt man das eine nur durch das andere. Wieso denken wir das Hybride nicht als Erweiterung und Überschuss; Festivals bieten sich dafür regelrecht an. Filme werden nicht einfach nur gestreamt. Es wird ein ganzes Konzept darum gebaut, mit Filmgesprächen und Diskussionen, Round Tables und Videoessays, Podcasts und anderen Experimenten.

Das kostet Geld. Völlig klar. Gibt man dem Ganzen jedoch Zeit und investiert man in digitale Filmkultur, bauen wir an einem Streaming jenseits von Netflix und erreichen mit Filmen, die oftmals nur auf Festivals zu sehen sind, ganz neue Zuschauer_Innen. Die Berlinale würde nicht länger in der Branchenblase und in Berlin bleiben, sondern Menschen auf dem Land, die nicht so einfach in die Hauptstadt kommen können, in den kulturellen Austausch einbeziehen. Nur wer sich in den Film verliebt und die Kultur drumherum, wird sich auch in das Kino verlieben. Zumindest ist es den Versuch wert; einige Generationen haben wir bereits an die Serie oder andere Unterhaltungsformen verloren. Wer das Kino retten will, der muss das Streaming ehren, es weiterentwickeln und mit Filmvermittlung zusammendenken. MUBI macht da in der Tat bereits einiges richtig. Da kann man sich vieles abschauen. Hybride Formen sind eine Chance, die wir nutzen müssen, mit Potential, das auf die Filme einzahlt. Denn: Wir sind noch gar nicht digital gewesen. 

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