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Kolumnen

Zusammengefasstes: Das Elend mit der Synopsis

Ein Beitrag von Beatrice Behn

Zuallererst muss ich mich hier beschweren, dass meine künstlerisch-kolumnistische Arbeit durch ein triviales, beinahe schon bourgeoises Softwareproblem beschnitten wird, denn eigentlich sollte der Titel meiner Kolumne ja wie folgt lauten: „Die Zusammenfassung als abstrakte Kunst oder die Erlangung neuer Erkenntnisse über das Originalwerk anhand massiver Reduktion seiner emotionalen Erfahrungen.“ Wunderschön, oder?

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Die Reduktion eines ganzen Erzählfilms auf seine grobe Geschichte und deren Wendepunkte
Die Reduktion eines ganzen Erzählfilms auf seine grobe Geschichte und deren Wendepunkte

Leider ist dieser Titel zu lang für das Content Management System. Pah! Unerhört! Aber jetzt zur eigentlichen Kolumne. Als Übergang schon mal ein irritiernd-interessantes Zitat zur Einführung in die höchst intellektuelle Materie.

„Nachdem sie in einer surrealen Landschaft erwacht, tötet ein Mädchen die erste Person, die sie trifft und verbündet sich dann mit drei Unbekannten, um weitere Morde zu begehen“ (Der Zauberer von Oz)

Es geht doch nichts über die Reduktion eines ganzen Erzählfilms auf seine grobe Geschichte und deren Wendepunkte. Bis vor kurzem hegte ich eine innige Hassliebe für Kurzzusammenfassungen von Filmen. Zum größten Teil, weil es so verdammt schwer ist, eine richtig gute zu schreiben. Und weil sie mehr und mehr in PR-Texten zu finden sind, die dann als „Rezension“ verkauft werden, zu denen sich dann noch drei bis vier Sätze „Kritik“ dazu gesellen und das war es dann auch schon.

Meist ist so eine Kurzzusammenfassung nichts als ein Text, der den Film nicht als Gesamtkunstwerk, als sich bewegendes Bild betrachtet, sondern ihn auf die Handlung allein reduziert und diese noch dazu so verengt, dass das Endergebnis eigentlich schon ein neues Werk in sich ist. Abstraktion wird abstrakte Kunst. Bewegtbild wird Starrbild wird neues imaginiertes Bewegtbild. Ein Bild in meinem Kopf, aus dem ein ganz neuer Film entsteht. Oder — und darin liegt die wirkliche Macht kluger Kurzzusammenfassungen — indem der eigentliche Film durch das Entfernen des gesamten emotionalen Schnickschnacks radikal entblößt wird in seiner ihm zugrunde liegenden politisch-moralischen Idee. Da fällt einem erstmal auf, wie wenig einem manchmal auffällt und wie gut wir so manche bittere Pille schlucken, wenn sie nur ordentlich mit Zucker überzogen wird.

Mein liebstes Beispiel ist diese Zusammenfassung hier:

„Eine alte Frau ignoriert ihre Erinnerungen und ihren Reichtum, Freunde und Familie, um noch einmal in ihren Erinnerungen an die Zeit zu schwelgen, in der sie einen armen Schlucker gevögelt hat.“ (Titanic)

Ganz ehrlich, bis ich das las, hatte ich noch nie über die dem Film inhärente politische Aussage nachgedacht, die sich, wenn man ein wenig weiter mit diesem Blickwinkel auf Filme dieser Zeit schaut, doch häufiger antreffen lässt. Titanic der große Liebesfilm! Der teure Katastrophenfilm mit aufwändiger Tricktechnik! Doch in seinem Kern ist er ein hyperkonservativer Film, in dem sich reiche Menschen quasi revitalisieren, indem sie sich mal einen jungen, vor Vitalität nur so strotzenden armen Schlucker holen. Und ja, Rose nutzt Jack eigentlich nur aus, sie behandelt ihn wie einen Angestellten und nachdem er seine Dienste geleistet hat (inklusive dem Rettungsdienst) und dabei stirbt, wird er einfach im Meer versenkt. Mich hatte immer irritiert, wie kühl und schnell der Abschied war. Ich meine, ernsthaft, wie konnte mir das entgehen? Ich habe mich echt von diesem Schiffsuntergang, gepaart mit Liebesfloskelgedöns und (zugegebenermaßen) Kate Winslets Brüsten total einlullen lassen.

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Trailer zu Titanic

 

„Eine untreue Ehefrau entdeckt, dass ihr Liebhaber zu einem Zombie geworden ist und von Dämonen gejagt wird, nachdem er aus einer sado-masochistischen Hölle in einer anderen Dimension fliehen konnte.“ (Hellraiser)

Und auch hier öffnet mir die Zusammenfassung die Augen. Bringt diese Synopsis nicht exakt auf den Punkt, wie völlig dämlich die Story von Hellraiser eigentlich ist? Und wie sehr hab ich mir in die Hose gemacht, als ich den das erste Mal sah? Sehr! Wirklich extrem sehr! Und warum? Na bestimmt nicht, weil die Geschichte an sich so übermäßig überzeugend war. Sondern weil Film und vor allem der narrative Film eben nicht nur die Geschichte ist, sondern eine Kunstform, die vor allem von ihrer Erzeugung von Emotionen lebt und diese durch viele Mittel wie Kamera, Musik etc. eben erst etabliert wird.

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Trailer zu Hellraiser

 

Und deswegen macht diese unendliche Fixierung auf die Geschichte eines Filmes gar nicht mal so viel Sinn. Oder um es mit den Worten des großen iranischen Filmemachers Abbas Kiarostami zu sagen: „Der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Film ist, dass man dem ersten glaubt und dem zweiten nicht.“

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