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Kolumnen

A Never Ending (Love) Story?

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

„O, eine sterbende Liebe ist schöner, als eine werdende“, sagt der Held aus Georg Büchners satirischem Stück Leonce und Lena. „Unsinn!“, entgegne ich in dieser Kolumne auf Kino-Zeit. Als Argumentationshilfe soll mir dabei Arthur Hillers Melodram Love Story dienen, welches von einer werdenden und einer sterbenden Liebe erzählt und am 16.12.1970 seine Uraufführung feierte.

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Bild aus "Love Story" von Arthur Hiller
Bild aus "Love Story" von Arthur Hiller

Ich wünschte, ich könnte an dieser Stelle schreiben, dass ich Love Story in den 1970er Jahren in einem nach Popcorn duftenden Plüschkino in New England mit charmanter Begleitung und pochendem Herzen sah. Leider „rezipierte“ ich den Film aber in den Nullerjahren auf meinem Laptop in einer popcornduftlosen Behausung in Rheinland-Pfalz zu Studienzwecken, weil er in der Publizistikwissenschaft als Paradebeispiel für ein fiktionales Werk gilt, dem sich Zuschauer_innen ganz bewusst aussetzen, um einfach mal hemmungslos heulen zu können.

Love Story wird als Tearjerker, als Schnulze eingestuft. Und in Anbetracht des letzten Filmdrittels sowie der Eröffnung, die den tragischen Verlauf des Schlussaktes bereits vorwegnimmt (ehe eine lange Rückblende einsetzt), muss man konstatieren: völlig zu Recht! Doch zwischen der Exposition, in der wir via Voice-over darüber informiert werden, dass die Protagonistin im Alter von 25 Jahren verstorben ist, und den finalen 30 Minuten, in denen die fortschreitende Krankheit und der angekündigte Tod ins Zentrum rücken, ist Love Story kein Schmachtfetzen, sondern schlicht und ergreifend das, was der Titel verspricht: eine Liebesgeschichte.

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Trailer zu Love Story

 

Als Geschichte einer Liebe ist das Werk von Arthur Hiller (nach einem Drehbuch von Erich Segal, der auch den gleichnamigen Bestseller-Roman verfasste) in mancher Hinsicht ziemlich schrecklich: Der Mann stammt aus reichem, konservativem Hause, die Frau aus einer einfachen italienischen Einwandererfamilie; er ist ein aufbrausender Hockeyspieler und angehender Jurist, sie eine musisch begabte Musterschülerin und angehende Pädagogin. Das hätte schon ein bisschen origineller ausfallen dürfen.

Wunderbar und erstaunlich kitschfrei ist hingegen die Genese des Gegensatzpaares und die Darstellung des Beziehungsalltags. Zunächst kommt es in bester Screwball-Comedy-Manier zu einem Austausch verbaler Bosheiten – und spätestens wenn Jenny (Ali MacGraw) nach einer geballten Ladung hübscher Malicen auf die Frage von Oliver (Ryan O’Neal), weshalb sie denn überhaupt bei ihm sitze, mit verschmitztem Grinsen „I like your body!“ antwortet, muss man diese beiden irgendwie mögen. Die Liebe entfaltet sich hier zwischen dicken Wälzern und Erdnussbutterbroten. Das erste „I love you“ kommt Jenny über die Lippen, als sie mit Oliver in der studentischen Bude auf einem hässlich-braunen Sofa liegt und beide in ihre Lehrbücher vertieft sind. Den Heiratsantrag macht Oliver Jenny ganz unelegant nach einem Streit; die erste gemeinsame Wohnung erweist sich als „even worse than I expected“ (wie Jenny feststellen muss); die Nebenjobs sind frustrierend, die erste Arbeitsstelle unterbezahlt, Silvester wird verschlafen – und Poesie? Ach: „Screw poetry!“

An den Kinokassen wurde Love Story zu einem Triumph; zudem gab es sieben Oscar-Nominierungen und eine -Auszeichnung für die Musik. Die US-Filmkritik sah indes überwiegend „clichéd happiness“ und „paper dolls“. Ich war und bin von dem Mittelteil des Films sehr angetan, da er meiner Meinung nach zeigt, wie viel man gerade in diesen kleinen Liebesmomenten entdecken kann – umso mehr natürlich, wenn man sie in einem Kinosaal erleben darf. Nach dem Ende der an romantischen (aber leider allzu oft biederen) Stoffen reichen Classical-Hollywood-Ära zu Beginn der 1960er Jahre und dem Wandel hin zur radikalen New-Hollywood-Periode (1967 bis 1976) war Love Story damals als „Gefühlsfilm“ eher eine Ausnahmeerscheinung – bis die zeitgenössischen Geschichten, die vom Suchen und Finden der Liebe erzählen, in den 1990er Jahren zu neuer Blüte im Mainstream gelangten. Diese Blüte ist in den letzten Jahren allerdings verwelkt – was ich aufrichtig bedauere.

Love Story
Bild aus Love Story; Copyright: Paramount Home Entertainment

 

Ich will (zum Beispiel) sehen, wie sich Julianne Moore in Patricia Clarkson verliebt oder Terrence Howard in Mark Ruffalo oder Gabourey Sidibe in Chaz Bono oder Jesse Eisenberg in Laverne Cox oder Rinko Kikuchi in Michael Cera (oder sehr gern auch, wie sich all die Genannten ineinander verlieben) – und zwar auf großer Leinwand und ohne dass eine der Figuren sterben muss oder das Ganze in eine vergangene Dekade verlagert wird, da es doch schließlich auch in unserer heutigen Zeit genug erzählenswerte Konflikte zwischen zwei, drei, sechs oder zehn Liebenden gibt. Keine_r der Beteiligten soll Superkräfte besitzen, keine_r soll ein nicht-menschliches Wesen sein; es soll keine (Natur-)Katastrophen und erst recht keine Apokalypse geben – und keine_r sollte durch kindliches Herumkauen auf Bleistiften charakterisiert werden.

Ich will keine (historischen) Gemütsfetzen, keine Thesen- und Problemfilme, keine Action- oder RomCom-Albereien, keine Fantasy-Epen, keinen aufgebauschten Trash – sondern echte Liebesfilme. Diese gibt es natürlich immer noch – ein gutes, überaus erfolgreiches Beispiel ist Silver Linings (2012) mit Bradley Cooper und Jennifer Lawrence –, aber es gibt sie inzwischen (meiner Ansicht nach) viel zu selten. Sie gehören zur Kategorie „mid-budget adult-oriented motion picture“, die zwischen den „tentpole pictures“ (also den aufwendig-teuren Effekt-Spektakeln) und den äußerst niedrig budgetierten, experimentierfreudigen Indies beinahe verschwunden sind. Will man heute einen Liebesfilm aus Hollywood sehen, bleiben einem fast nur die regelmäßig auftauchenden Nicholas-Sparks-Adaptionen, die meist in reizloser Gestaltung die Heteronormativität feiern. Dann doch lieber Weltuntergang mit Aliens.

Silver Linings
Bild aus Silver Linings; Copyright: Senator Film

 

Der Death-Story-Anteil von Love Story konnte mich seit jeher weniger überzeugen – nicht zuletzt deshalb, weil die unheilbare, nicht näher benannte Blutkrankheit Jennys sehr abstrakt bleibt. Noch heute ist das Ali-MacGraw-Syndrom, das die US-Kritikerlegende Roger Ebert einst als eine Filmkrankheit definierte, bei welcher die leidende Figur umso schöner werde, je näher ihr Tod rücke, durchaus verbreitet. Zu den aktuelleren Opfern zählen etwa Mia Wasikowska in Restless (2011) oder Dakota Fanning in Now Is Good – Jeder Moment zählt (2012).

Das Schicksal ist ein mieser Verräter (2014) von Josh Boone und Ich und Earl und das Mädchen (2015) von Alfonso Gomez-Rejon sind in ihrer Inszenierung ein bisschen ehrlicher, da sie den Schauplatz Krankenhaus glaubwürdiger integrieren. In beiden Werken findet eine dezidierte Abgrenzung zu Filmen und Büchern statt, die eine „touching romantic story“ entfalten, wie der Protagonist Greg (Thomas Mann) es bei Gomez-Rejon formuliert, und hübsche Menschen „beautiful lessons“ lernen, wie Hazel (Shailene Woodley) wiederum bei Boone anmerkt – was wohl eine Anspielung auf den berühmten Ausspruch „Love means never having to say you’re sorry“ aus Love Story ist.

Das Schicksal ist ein mieser Verräter
Bild aus Das Schicksal ist ein mieser Verräter von Josh Boone; Copyright: Twentieth Century Fox

 

Love Story ist diesen neueren Produktionen in puncto Smartness gewiss unterlegen – die Visualisierung der werdenden Liebe zwischen Oliver und Jenny empfinde ich jedoch auch heute noch als derart gelungen, dass mir der Mangel an guten Liebesfilmen mal wieder so richtig bewusst wird. Neuengland-Umgebung und Kinoatmosphäre mag es bei meiner Erstsichtung des Films nicht gegeben haben – das pochende Herz aber gab es.

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