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Kolumnen

Ein schlechter Preis für schlechte Filme

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Mit den Goldenen Himbeeren werden jährlich am Tag vor der Oscar-Verleihung die schlechtesten filmischen Leistungen ausgezeichnet. Damit könnten sie ein renitentes Gegengewicht zur großen Glamour-Veranstaltung sein – doch nutzen sie diese Chance auch?

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Jack und Jill - Bild
Katie, Adam, Rohan und Adam im Kino – ob ihnen gefällt, was sie da sehen?

Am 4. März 2018 wird die 90. Verleihung der Oscars stattfinden. Dann wird es wieder um Stars und Glamour gehen – im Idealfall aber auch um die aktuelle (Schief-)Lage in Hollywood, um Rassismus und Sexismus, um sexuelle Belästigung und andere Formen des Machtmissbrauchs. Zudem wird es – hoffentlich – um Filmkunst gehen: um narrative und ästhetische Innovationen, die mit Denk- und Darstellungsklischees brechen. Am Tag zuvor werden indes zum 38. Mal die Golden Raspberry Awards – die Goldenen Himbeeren – verliehen.

Diese könnten eine interessante rebellische Gegenveranstaltung zu den Oscars sein. Sie könnten – rund 24 Stunden vor der Oscar-Verleihung – all den Mut aufbringen, den wir uns von den Oscars erhoffen, und damit auf die Academy of Motion Picture Arts and Sciences ein bisschen Druck ausüben, nun etwas noch Mutigeres, noch Subversiveres bieten zu müssen, um nicht im Endeffekt unrühmlich im Schatten der Himbeere zu verschwinden. Das ist jedoch nicht der Fall – und war es in der fast vier Dekaden umfassenden Geschichte des Negativ-Preises leider auch noch nie.

Ins Leben gerufen wurden die Goldenen Himbeeren gemeinsam mit Mo Murphy von dem Texter und Publizisten John J. B. Wilson. Im Jahr 1981 wurde der filmische Anti-Preis erstmals vergeben – jedoch noch in Form einer Dinnerparty in Wilsons Haus. Im Jahr darauf schrieb die Los Angeles Daily News über die erste öffentliche Verleihung der Golden Raspberry Awards – und bereits über die vierte Ausgabe wurde auf CNN berichtet. Seither genießen die Goldenen Himbeeren eine gewisse Medienaufmerksamkeit – werden allerdings auch kritisiert, jüngst etwa von Indiewire.

Tatsächlich muss man sich fragen, welche Aussagekraft dieser Preis hat. Denn um Mitglied in der Golden Raspberry Award Foundation zu werden (die derzeit aus mehr als 750 Filmkritiker_innen, Journalist_innen und Filmschaffenden besteht), ist lediglich ein Beitrag zwischen 40 und 500 Dollar (für eine Mitgliedschaft auf Lebenszeit) vonnöten. Bedenklich ist vor allem, dass es für die Wahl keine Voraussetzung ist, die Filme, über die abgestimmt wird, gesehen zu haben. Die Ergebnisse der Wahl sind zumeist wenig originell – meist handelt es sich um leichte Ziele, die mit dem Negativ-Preis abgestraft werden.

John J. B. Wilson im Jahre 2009 bei den 29. Golden Raspberry Awards; Copyright: Par Lance / CC BY-SA 2.0

Mutig wäre es hingegen, wenn sich die Goldenen Himbeeren auch die bejubelten Werke des Jahres etwas genauer ansähen. So mag etwa Joe Wrights sechsfach Oscar-nominiertes Biopic Die dunkelste Stunde über den britischen Staatsmann Winston Churchill ein handwerklich souverän gemachter Film mit einem begabten und engagierten Hauptdarsteller sein. Aber ist die Sequenz, in welcher Churchill spontan in die Londoner U-Bahn steigt und sich dort mit den Fahrgästen austauscht, in ihrer Pathetik und ihrem Kitschgehalt nicht eine Beleidigung für den Verstand des Publikums? Und ist die verpasste Chance, ein paar Bezüge zur aktuellen Lage des Landes (Stichwort: Brexit) herzustellen und damit mehr als ein gängiges Zeitstück zu liefern, nicht ein kaum zu entschuldigendes Versäumnis? Hier könnte ein Anti-Preis ansetzen.

An Martin McDonaghs siebenfach Oscar-nominierter, schwarzhumoriger Tragikomödie Three Billboards Outside Ebbing, Missouri gibt es eigentlich nichts zu bemängeln. Dass jedoch gerade die Musik eine Oscar-Nominierung erhielt, ist dennoch eigenartig. Das Werk glänzt durch seine vielschichtigen, von dem Ensemble großartig interpretierten Figuren, durch seine wendungsreiche Geschichte, durch kluge Dialoge und Bilder. Der Einsatz der Musik ist indes äußerst konventionell, teilweise sogar zu vordergründig. Auch darauf könnte ein Anti-Preis aufmerksam machen – und dem Hype um einen Film ein wenig misstrauen.

Winston Churchill in der Subway, Copyright: Universal Pictures International Germany GmbH

Betrachtet man sich die Liste der diesjährigen Nominierten für die Goldenen Himbeeren, muss man feststellen, dass die meisten davon äußerst naheliegende (und deshalb ziemlich langweilige) Kandidaten sind. Dass Transformers 5: The Last Knight, Fifty Shades of Grey 2 – Gefährliche Liebe, Die Mumie, Baywatch und Emoji – Der Film, die jeweils als „schlechtester Film“ nominiert wurden, Meisterstücke der Kinematografie sind, dürfte wohl kaum jemand behaupten.

Auffällig ist jedoch, dass mit diesen wenigen Titeln auch ein Großteil der übrigen Kategorien bestritten wird – so etwa „schlechtestes Drehbuch“ oder „schlechtestes Remake, schlechteste Kopie oder Fortsetzung“ (minus Emoji – Der Film, plus Tyler Perry’s Boo 2! A Madea Halloween). Auch in den Schauspiel-Kategorien (für Haupt- und Nebenrolle sowie für das Leinwandpaar) nehmen diese Werke viel Raum ein. Das ist zwar grundsätzlich verständlich (und bei den Oscars oft ebenso der Fall), es zeigt aber auch, wie unpräzise die Auswahl ist.

Ist Mark Wahlberg ein ausdrucksstarker Mime? Gewiss nicht! Doch ist an seinen Leistungen in Transformers 5 und Daddy’s Home 2 irgendetwas im Kontext der gesamten Filme – also eines geistlosen Science-Fiction-Spektakels und einer öden Slapstick-Komödie – so auffällig schlecht, um ihn als „schlechtester Schauspieler“ herauszuheben? Im Grunde tut er einfach das, was diese Werke von ihm erwarten: Er leiht ihnen sein Gesicht und seinen Körper. Dass Anthony Hopkins für Transformers 5 (sowie für Collide) als „schlechtester Nebendarsteller“ nominiert ist, scheint eher der Versuch zu sein, sich über die wenig glückliche Rollenwahl des britischen Oscar-Preisträgers lustig zu machen.

Wie unüberlegt die Nominierungen sind, zeigt vor allem das Beispiel Sofia Boutella: Dass diese trotz ihres eindimensionalen Parts als titelgebende Schurkin noch das Beste am Reboot Die Mumie war, kann man beinahe schon als Tatsache bezeichnen. Bei Fifty Shades of Grey 2 – Gefährliche Liebe lässt sich hingegen zwar kaum bestreiten, dass Dakota Johnson, Jamie Dornan und Kim Basinger reichlich hölzern agieren – aber auch hier bleibt die berechtigte Kritik am Film auf uninteressant-kindischem Niveau. „Jegliche Kombination zweier Figuren, zweier Sexspielzeuge oder sexueller Stellungen“ wurde als „schlechtestes Leinwandpaar“ nominiert.

Stattdessen könnte ein Anti-Preis wie die Goldenen Himbeeren darauf hinweisen, dass Fifty Shades of Grey 2, welcher teilweise ein romantisches Märchen sein will, erschreckend unreflektiert mit sexualpathologischen Begriffen umgeht – dass etwa die Neigung des Protagonisten zu BDSM küchenpsychologisch mit einem schweren Trauma erklärt wird und BDSM durch die ständigen Regelbrüche, die Christian Grey begeht, als inkonsistente, nicht wirklich ernst zu nehmende Laune dargestellt wird. Ob man hingegen in einem Film, der nur aus Mini-Spannungsbögen besteht und einen aufgebracht ins Gesicht geschütteten Cocktail als dramatischen Höhepunkt verkaufen möchte, mit mehr Würde in Erscheinung treten kann, als es Johnson, Dornan und Basinger versuchen – ich weiß es nicht. Dass das Trio allerdings bei Weitem nicht das größte Problem von Fifty Shades of Grey 2 ist – da bin ich mir recht sicher.

  • Anthony Hopkins in Transformers 5
    Anthony Hopkins in Transformers 5: The Last Knight

    Anthony Hopkins in Transformers 5: The Last Knight

  • Kim Basinger und Jamie Dornan in Fifty Shades of Grey 2
    Kim Basinger und Jamie Dornan in Fifty Shades of Grey 2 - Gefährliche Liebe

    Kim Basinger und Jamie Dornan in Fifty Shades of Grey 2 — Gefährliche Liebe

  • Sofia Boutella in Die Mumie
    Sofia Boutella in Die Mumie

    Sofia Boutella in Die Mumie

Dass Mädelstrip und Bad Moms 2 ebenfalls grauenhafte Werke sind, dürfte sich rasch erklären. Es handelt sich um Filme, die sich emanzipatorisch und anarchisch geben und uns angeblich etwas vom Rollenbild der Frau erzählen wollen – jedoch lediglich ein paar oberflächlich gestaltete Figuren durch alberne Nummernrevuen hetzen und dabei sexistischer sind, als ihnen selbst klar zu sein scheint. Hier könnte ein Negativ-Filmpreis auf die Hypokrisie solcher Dramaturgien aufmerksam machen.

Er könnte die Drehbücher für deren verlogene Dialoge ins Visier nehmen oder auch dafür, dass sie Geschmacklosigkeiten mit Witz verwechseln – wodurch zwei wesentliche Probleme der zeitgenössischen (US-)Komödie am Pranger stehen würden. Ebenso könnte er die gänzlich ambitionsfreie visuelle Umsetzung von Mädelstrip und Bad Moms 2 rügen: Zuweilen fragt man sich ja doch, wann das Comedy-Kino eigentlich aufgehört hat, in kühnen Aufnahmen das totale Chaos zu verursachen, um sich stattdessen auf ein einfallsloses Abfilmen der Geschehnisse in Sitcom-Manier zurückzuziehen.

All dies könnten die Goldenen Himbeeren mal ordentlich als absolutes No-Go in einer gelungenen Komödie schmähen. Stattdessen wurden aber Goldie Hawn und Susan Sarandon für ihre Mutterrollen in Mädelstrip beziehungsweise in Bad Moms 2 herausgegriffen und als „schlechteste Nebendarstellerinnen“ für die Golden Raspberry Awards 2018 nominiert. Gewiss haben beide schon weitaus bessere Leistungen in ihren Karrieren geliefert. Doch wer ernsthaft meint, dass Hawn das Schlimmste an Mädelstrip und Sarandon das Schlimmste an Bad Moms 2 war, muss dann wohl zwei völlig andere Filme als ich gesehen haben.

Auch in diesen Fällen scheint es vor allem darum zu gehen, sich auf abgeschmackte Art und Weise über bekannte Namen zu mokieren und die fragwürdige Rollenwahl von Stars zu kritisieren. Natürlich mussten Hopkins, Basinger, Hawn und Sarandon diese Parts nicht annehmen – und natürlich darf man das monieren. Vielleicht sollte man aber eher eine XXL-Himbeere an eine Industrie vergeben, die einem Großteil der darin tätigen Menschen über 50 offensichtlich kaum Reizvolleres anzubieten hat als ziemlich undankbare Seitenauftritte in enervierender kinematografischer Konfektionsware.

  • Goldie Hawn mit Amy Schumer in Mädelstrip
    Goldie Hawn mit Amy Schumer in Mädelstrip

    Goldie Hawn mit Amy Schumer in Mädelstrip

  • Susan Sarandon mit Kathryn Hahn in Bad Moms 2
    Susan Sarandon mit Kathryn Hahn in Bad Moms 2

    Susan Sarandon mit Kathryn Hahn in Bad Moms 2

Und dann sind da natürlich noch die Nominierungen für Darren Aronofskys mother!, denen die höchste mediale Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Ich muss sagen: Auch ich finde den Film in seinem unbedingten Willen zu polarisieren überaus problematisch; einige Szenen sind unangenehm effekthascherisch – etwa der Tod des Babys durch das fanatische Kollektiv oder der in expliziten Bildern erfasste Moment, in welchem der Protagonistin von allen Seiten heftige Schläge und Tritte versetzt werden. Daher kann ich durchaus nachvollziehen, dass mother! auf Ablehnung stößt.

Aronofskys „Konkurrenz“ in der Kategorie „schlechtester Regisseur“ – die Macher von Transformers 5, von Fifty Shades of Grey 2, von Die Mumie sowie von Emoji – Der Film – lassen allerdings darauf schließen, dass mother! eher in einem Mainstream-Umfeld gesehen und bewertet wurde und wohl in erster Linie deshalb auf der Liste gelandet ist, weil Aronofsky keinen gruseligen Genrefilm (den man nach Sichtung des Trailers erwarten könnte) vorgelegt hat, sondern, nun ja, etwas ganz anderes. Der Nominierung von Jennifer Lawrence als „schlechteste Schauspielerin“ haftet hingegen erneut etwas von einem taktischen Manöver an – als spekulierten die Mitglieder der Golden Raspberry Award Foundation darauf, dass die für ihren schrägen Humor bekannte Lawrence persönlich auftaucht, um ihren Anti-Preis in Empfang zu nehmen.

  • Mother! - Trailer "Experience" (englisch)
  • Mother! - Trailer (englisch)
  • Mother! - Trailer "Experience" 2 (englisch)
  • Mother! - Teaser Trailer (englisch)

Es sollte jedoch nicht um Taktik gehen. Ebenso nicht nur um leichten, schnellen Spott. Sondern um präzise, tief gehende Kritik – sowohl am Popcornkino als auch an den offensichtlichen Lieblingen des Jahres, die auf zahlreiche Auszeichnungen hoffen dürfen. Es muss ein Gegengewicht zu den Oscars geben, das sich seiner Verantwortung bewusst ist und nicht einfach nur „lustig“ sein möchte. Die Goldenen Himbeeren sind das eindeutig nicht – ihnen fehlt jegliche Subversion.

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