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Interviews

"Liebe ist merkwürdig, aber auch seltsam." – Interview mit PT Anderson

Ein Beitrag von Anna Wollner

Sechs Oscarnominierungen bekam Der seidene Faden – auch wenn er am Ende keine einzige Trophäe erhält, ist der Film ein Highlight im Januar. Anna Wollner hat mit Regisseur Paul Thomas Anderson über die Vorbilder für die Hauptfigur und Daniel Day-Lewis‘ Rentenabsichten gesprochen.

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Filmstill zu Der seidene Faden (2017)
Der seidene Faden (2017) von Paul Thomas Anderson

Last Exit Reno, Boogie Nights, Magnolia, Punch Drunk Love, There will be Blood, The Master, Inherent Vice und jetzt Der seidene Faden – die Filmographie von Paul Thomas Anderson liest sich wie ein Querschnitt durch die einflussreichsten Filme der jüngeren Filmgeschichte. Der seidene Faden ist die zweite Zusammenarbeit mit Daniel Day-Lewis und hat dem 47-jährigen Regisseur gerade zwei Oscarnominierungen für die beste Regie und den besten Film eingebracht. Anna Wollner hat den Regisseur in London zum Interview getroffen.

Mister Anderson, welcher Designer hat Sie zu der Figur des Reynolds Woodcock inspiriert?

Das war nicht nur einer, das war vielmehr eine Handvoll. Es kann jetzt gut sein, dass ich mich um Kopf und Kragen rede, denn es ist immer schwierig Namen zu nennen und nicht gleich zu viel hineinzudeuten. Wenn ich jetzt Cristóbal Balenciaga ins Spiel bringe, gebe ich unserem Gespräch direkt eine besondere Richtung. Dabei habe ich ihn natürlich nie treffen können. Aber so viele Gemeinsamkeiten es zwischen ihm und Woodcock gibt, so viele Unterschiede gibt es auch. 

Welche?

Balenciaga würde sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen. Denn meine Figur Reynolds Woodcock war ein Arsch. Balenciaga aber sicherlich nicht. Er war zwar sehr fordernd und es ging ihm viel um die Arbeit, aber er war nicht so extrem. Charles James könnte ich noch nennen. Das Internet ging lange davon aus, dass Daniel Day-Lewis und ich ein Biopic über ihn machen würden, weil wir über ihn recherchiert haben. Aber er war mehr Bildhauer als Modeschöpfer. Die Ironie seines Lebens war, dass er keine Schwester hatte, keinen Bruder, der sein Leben managte. Er war einer der ganz Großen, aber der ganz große Erfolg blieb aus, weil er keinen Geschäftssinn hatte. 

Was ist mit Norman Hartnell?
Oh ja, von ihm steckt viel im Film. Genauso aber auch von Hardy Amies oder John Cavanagh. Die Liste der Designer, von denen wir uns haben inspirieren lassen, ist wirklich lang. Wir haben immer nach Elementen in den Leben der Designer gesucht, die unserer Geschichte zuträglich sind.

Daniel Day-Lewis in "Der Seidene Faden"

Zum Beispiel?

Beim Haus zum Beispiel haben wir uns von Michael Sherard inspirieren lassen. Er hatte ein klassisches Townhaus mit zwei Ebenen. In der oberen Etage wurde entworfen und genäht. Zu seinen Kunden gehörten große Namen, er hat viel produziert. Aber eben nicht zu viel, so dass das Haus immer noch ausgereicht hat. Daran haben wir uns orientiert. Denn was hätten wir mit einer großen Fabrik und 200 Bediensteten anfangen sollen? Viel zu viele Komparsen. Viel zu teuer.

Wir leben in einer Welt, in der sich alle fast schon obsessiv mit Mode beschäftigen. Warum haben Sie den Film in den 1950er Jahren angelegt und nicht in der Gegenwart?

Es hätte in der Gegenwart einfach nicht so viel Spaß gemacht. Es gibt momentan diesen Trend, dass wir immer weniger Filme sehen, die nach 1993 spielen. Das liegt einfach daran, dass es total uninteressant ist, Leuten auf der Leinwand dabei zuzugucken, wie sie die ganze Zeit am Telefon hängen oder vorm Computer sitzen und auf einen Bildschirm starren. Das ist nicht nur langweilig, sondern auch undramatisch. Es liegt kein Risiko mehr in der Luft, wenn die Leute sich einfach gegenseitig anrufen können, um Dinge zu klären. Die Blüte dieser Art von Kleidern und Mode war einfach in den Fünfzigern. 

Ihr Film hat sehr viele Referenzen und Anleihen bei Hitchcock. Allein schon die Tatsache, dass Hitchcocks Frau Alma hieß. Absicht?

Das ehrt mich natürlich sehr. Aber Hitchcock im Zusammenhang mit einem Film zu nennen, ist wie die Verbindung von Hamlet und Theater. Das bringt manchmal auch Unglück. Natürlich verehre ich den Film Rebecca. Genauso wie Vertigo – das sind meine beiden liebsten Hitchcockfilme. Als Filmemacher ist es wichtig, sich alle paar Jahre zurückzubesinnen und seine Wurzeln zu suchen. Und da lande ich eben immer wieder bei Hitchcock. Ich will ihn ja nicht einfach nur kopieren, dass wäre ein bisschen anmaßend. Aber seinen Geist zu atmen, ein paar seiner Elemente aufzunehmen und zu variieren, das geht schon in Ordnung. Daniel Day-Lewis und ich haben zur Vorbereitung auch nochmal Das Fenster zum Hof geguckt. Hitchcock macht immer wieder großen Spaß, selbst seine düsteren und bizarren Filme. Davon wollte ich mich inspirieren lassen.

Und der Name Alma?

Das müssen Sie eigentlich Vicky Krieps fragen. Ich habe einfach nur beliebte Kindernamen in Luxemburg in den Dreißigern gegoogelt. Ich wollte wissen, wie die Kinder damals hießen. Vicky ist dann auf den Namen Alma gekommen, denn sie hatte gerade erst einen Dokumentarfilm über Hitchcock gesehen und festgestellt, dass seine Frau ihm gedient hat. Ähnlich wie Alma hier. Das zumindest behauptet Vicky Krieps seit Wochen. Ich kann mich zwar nicht mehr genau erinnern, trage aber gerne zur Legendenbildung bei.

Wie eng war die Zusammenarbeit mit Daniel Day-Lewis?

Unglaublich eng. Über ein Jahr lang haben wir jeden Tag sehr intensiv an seiner Figur und dem Drehbuch gearbeitet. Wir haben schon zusammengeschrieben, uns ständig Notizen hin- und hergeschickt. 

Stimmt es, dass Sie ihn hier endlich einmal gut aussehen lassen wollten? Anders als noch in There Will Be Blood zum Beispiel?

Ja, aber zur äußeren Schönheit kommt die innere Hässlichkeit. Äußerlich ging es mir um den Style. Dieser fast schon dandyhafte Ansatz, den wir hatten. Wir haben ihn adrett angezogen und gekämmt, aber innerlich ist er verwest.

  • Der seidene Faden - Trailer (deutsch)
  • Phantom Thread - Trailer (englisch)

Der seidene Faden ist ein Beziehungsdrama. Ist das Drama der einzige Weg, von Liebe zu erzählen?

Es gibt diesen wunderbaren Song „Love is strange“ von Mickey & Sylvia. Das bringt es für mich ganz gut auf den Punkt. Liebe ist nicht nur merkwürdig, sondern auch seltsam. Liebe kann soviel sein: langweilig, aufregend, großartig. Aber dann wäre mein Film einfach zu kurz. 

Die Beziehung von Woodcock zu Frauen ist besonders. Sie machen sein Leben aus. Gleichzeitig ist er aber grausam zu ihnen. Was war hier Ihr Ansatz?

Genau das wollte ich zeigen. Seine Beziehung zu Frauen ist auf der einen Seite gut, auf der anderen aber zerstörerisch. Er ist von Frauen umgeben, er ist der der einzige Mann im Haus, ein richtiger Hahn im Korb. Seine Schwester regelt alles, lässt ihn aber in dem Glauben, dass er alles in der Hand hat. Seine Mutter hat ihn mehr als beeinflusst. Da hat uns unsere historische Recherche geholfen, denn viele der Modeschöpfer, mit deren Leben wir uns beschäftigt haben, hatten starke Mütter, die ihnen das Handwerk beigebracht haben und sie auf Händen getragen haben. Sie wurden alle als Kinder verwöhnt und haben den Bezug zur Realität verloren. Er konnte gar nicht anders, als sich von Muse zu Muse zu hangeln. Er kann gar nicht anders, als kampfeslustige Beziehungen zu führen. Er sucht immer jemanden, an dem er sich reiben kann. Zur gleichen Zeit wird er aber jeden Tag von Frauen umgarnt, die ihn und seine Kunstfertigkeit brauchen, die sich von ihm ankleiden lassen und die er sich perfekt fühlen lässt. Es ist ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis.

Daniel Day-Lewis und Vicky Krieps in "Der Seidene Faden"

Daniel Day-Lewis hat gesagt, dass Der seidene Faden sein letzter Film sein wird. Glauben Sie ihm? Und würden Sie selbst auch Ihren Ruhestand verkünden oder einfach so aufhören?

Ja, ich glaube ihm. Von Tag zu Tag sogar mehr. Aber ich glaube nicht, dass ich meinen Ruhestand ankündigen würde. Wen sollte das auch schon interessieren?

Quentin Tarantino zum Beispiel sagt schon seit einer geraumen Zeit, dass nach zehn Filmen Schluss sei.

Ach, das ist doch Quatsch. Das kann ich mir bei ihm nicht vorstellen. Er hätte dann ja nur noch zwei Filme in der Pipeline. Sagen die Leute wirklich sowas? Warum?

Steven Soderbergh hat sich auch zur Ruhe gesetzt – nur um jetzt doch wieder zu arbeiten. Mehr als vorher sogar!

Ich verstehe nicht, was das soll. Ich bin da alles andere als Profilneurotiker.

Welchen Schritt des Filmemachens mögen Sie am meisten?

Sie sind alle so unterschiedlich. Beim Schreiben liebe ich die Einsamkeit, den fehlenden Druck, ich kann mich voll und ganz auf mich und meine Arbeit konzentrieren. Beim Dreh mag ich die soziale Interaktion mit den Leuten am Set. Aber der Druck ist höher, es kostet viel Geld und wenn etwas schiefgeht, habe ich die volle Verantwortung. Im Schneideraum liegt es dann wieder voll und ganz bei mir, aus dem gedrehten Material etwas Brauchbares zu erschaffen. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen – der Teil, den ich am wenigsten mag, ist das Promoten von Filmen. (lacht)

Warum?

Ich weiß natürlich, warum ich es machen muss, und es ist auch sehr wichtig. Denn ohne würden die Leute ja nicht ins Kino gehen. Egal wie toll der Film ist. Gerade heute muss man die Leute mit der Nase darauf stoßen, dass der eigene Film existiert und ins Kino kommt. Das kann weh tun. Man arbeitet jahrelang an einem Projekt, steckt viel Herzblut rein und dann geht am Ende keiner ins Kino. 

Inwiefern helfen da die Oscarnominierungen?

Das ist Wahnsinn! Ohne die Oscarnominierung würde mein Film vielleicht noch zwei Wochen im Kino laufen. Wenn überhaupt. Aber jetzt werden es noch mindestens zwei Monate sein. Das ist für mich am Ende fast noch wichtiger als zu gewinnen.

Glauben Sie an die Zukunft des Kinos?

Ich hoffe doch. Natürlich. Auch wenn vielleicht in fünfzig Jahren jemand eine alte Zeitung ausgräbt und darin zu lesen ist, dass dieser Depp Paul Thomas Anderson an die Zukunft des Kinos geglaubt und sich damit vollkommen vertan hat. Aber ohne diese Hoffnung könnte ich meinen Job nicht mehr machen.

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