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Kolumnen

20 Jahre "Bandits" oder: Ein Mahnmal zum Umgang mit Frauen im deutschen Filmbusiness

Ein Beitrag von Urs Spörri

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Bandits

Bandits aus dem Jahre 1997 gilt für eine ganze Generation Frauen aus Deutschland bis heute als Kultfilm. Der von den Hauptdarstellerinnen selbst komponierte Soundtrack wurde über 700.000 Mal verkauft und gilt als der erfolgreichste europäische Filmscore. Doch die überwiegend männlichen Kritiker vernichteten den Abschlussfilm Katja von Garniers noch vor seiner Premiere. Eine Analyse zum 20-jährigen Jubiläum von Bandits und einem der größten Schandflecke der deutschen Filmkritik der Gegenwart.

Die Story von Bandits ist schnell erzählt: Die vier Musikerinnen Luna, Emma, Angel und Marie sitzen für Vergehen von Heiratsschwindel bis Mord im Gefängnis. Zum Polizeiball sollen sie auftreten, das nutzt die Band mit dem Namen Bandits (eine Zusammensetzung aus Band und Tits) zur Flucht. Dann werden ihre Songs zu Hits, sie geben Konzerte – und nichts erscheint ungeeigneter, als auf der Flucht vor der Polizei zu gefeierten Stars mit Plakaten am Straßenrand zu werden. Bandits ist ein Musikfilm, beworben als weibliche Blues Brothers mit einem Schuss Thelma & Louise, bei dem die Handlung von ästhetisch attraktiven Musikclips gerahmt wird. Selbst eine Tanzszene mit Fans der Bandits im Stau gibt es, La La Land lässt grüßen. Nur eben 20 Jahre früher, und aus der Bundesrepublik. Die Farbdramaturgie und die musikalisch-rhythmische Kamera von Torsten Breuer (der auch die Soundtracks zu Sönke Wortmanns Allein Unter Frauen, Kleine Haie und Der Bewegte Mann kreierte) machen Bandits neben den teils imposanten Settings wie dem Showdown auf der Hamburger Köhlbrandbrücke zu einem Film, der auch heute noch und losgelöst von seinem Zeitgeist beim Publikum funktioniert. Über das Zeitalter von Girlie-Bands à la Spice Girls und Tic Tac Toe hinaus. Ausverkaufte Jubiläumsveranstaltungen in Hamburg 2012 und Frankfurt 2017 zeugten davon.

Und Bandits steht sinnbildlich dafür, woran es im deutschen wie internationalen Filmbusiness liegt, dass Frauen bis heute massiv benachteiligt werden. Obwohl in den Filmhochschulen angehende Regisseurinnen in der Überzahl sind, erhalten diese im Profi-Geschäft nur einen Bruchteil der Aufträge und Budgets. Wofür ProQuote Regie heute kämpft, das hatte Bandits schon 1997 erreicht: Alle wichtigen Entscheidungen wurden von Frauen getroffen. Die vier Hauptdarstellerinnen Katja Riemann, Nicolette Krebitz, Jasmin Tabatabai und Jutta Hoffmann legten (nicht nur in den Musikszenen) eine derart energiegeladene Performance an den Tag, die für das deutsche Kino der neunziger Jahre einen echten Solitär darstellt. Und das Filmfest München hatte – nach dem fulminanten Erfolg von Katja von Garniers HFF-Übungsfilm Abgeschminkt mit über 1,1 Millionen Kinozuschauern – den Abschlussfilm Bandits zum Eröffnungsfilm auserkoren. Junge deutsche Frauen sollten Hoffnung für ein neues erfrischendes Kino machen, in einem Jahrzehnt, in dem alleine drei Teile der Werner Beinhart-Zeichentrickfilme zum publikumsträchtigsten Film der Kinojahre 1990, 1996 und 1999 wurden. An der Kinokasse erreichte Bandits dann eine knappe Million Zuschauer.

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(Trailer zu Bandits)

Eine Million Zuschauer, die eigentlich hätten multipliziert werden können. Denn die Kritiken jener Zeit erscheinen heute beschämend und geradezu diffamierend für die Filmemacherinnen. Am 28. Juni 1997, dem Tag der Premiere von Bandits und zugleich dem Tag der Eröffnung des Filmfests München 1997, erschien die Vorabkritik von Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel „Die höheren Töchter der Hölle“ und setzte den Anfang für eine aus heutiger Sicht wenig nachvollziehbare Hetzjagd auf die Regisseurin und die Protagonistinnen. Gleich fünf Mal nennt Kniebe Regisseurin Katja von Garnier nicht mehr beim Namen, sondern bezeichnet sie als „Rebellen-Katja“, die ein Rock’n’Roll-Märchen erzählen wolle. „Das muß man sich mal vorstellen. Bierernster Frauen-Rebellen-Rock, 1997 in Deutschland. Wenn irgendwo, irgendwie noch ein Hauch von Leben im Rock’n’Roll war – nach diesem Film wird er für immer tot sein“, argwöhnte der Kritiker, der sich dann zu einer Marketing-Verteufelung verstieg: „Immer wieder greifen Hände nach der Bandits-CD, die genau wie jene CD aussieht, die inzwischen tatsächlich in allen Läden steht. In Hollywood hat man schon öfter beobachtet, wie sich ein Film in die Abfallprodukte seines Marketings zersetzt. Aber niemals so schnell, so schamlos, so unreflektiert dumm wie hier. […] So ist das nun mal, auch bei Rebellen-Katja. Aber zerhackt in Schnittfolgen, die an Bilderwahn grenzen? Das ist dann schon was Neues. Katja hat bei MTV und der Boss-Werbung gelernt. Und trotzdem nichts verstanden.“ Abgesehen von den persönlichen Angriffen sind die zugeschriebenen Attribute aus heutiger Sicht völlig an den Haaren herbeigezogen. Sehnt man sich heute nicht nach anspruchsvollem deutschen Kino, das zugleich kommerziell erfolgreich sein kann? Warum wird hier eine Vorgehensweise im Stile Hollywoods verteufelt – wo doch sonst eines der Hauptprobleme des deutschen Kinos seine Vermarktung und mangelnde Sichtbarkeit in der Werbung zu sein scheint? Tobias Kniebe, der heute zu den führenden deutschsprachigen Filmkritikern zählt, ließ sich sogar zu folgendem Schlussstatement hinreißen: „Nach diesem Film möchte man nicht mehr jung sein, man möchte nicht mehr rebellieren, man möchte keine Musik mehr machen. Man möchte einen offiziellen Antrag einreichen, um aus dieser Generation ausgeschlossen zu werden. Oder Flügel haben und ganz weit wegfliegen. Wenn ich ein Vöglein wär …“.

Und bitte nicht missverstehen: Tobias Kniebe war damit nicht allein. Andreas Kilb, heute ebenfalls in der vordersten Garde der deutschen Filmkritiker, gab in Die Zeit folgendes Schlaglicht zum Besten: „[Jetzt gibt es] den Film zum Buch zur CD zum Drehbericht, die alle ab heute im Handel sind. Den Film, in dem Katja Riemann Schlagzeug spielt. Den Film, in dem Nicolette Krebitz den Mann aus der Boss-Werbung verführt. Den Film, in dem Jasmin Tabatabai viermal ‚verfickt’ sagt und so lange leergetrunkene Schnapsflaschen zerdeppert, bis man ganz viel Angst vor ihr hat. Den Film, in den sich Jutta Hoffmann aus einer Tschechow-Aufführung verirrt hat.“ Und da die Attacken auf die Darstellerinnen nicht genug waren, ereiferte sich Kilb weiter: „Den Film, in dem vier lausige Rockmusikerinnen-Imitate aus einem Münchner Gefängnis fliehen, in Frankfurt Geld abholen und in Hamburg Autogramme geben, bis die Polizei sie mit Scharfschützen und Panzerspähwagen zur Strecke bringt. Den Bravo-Film, den Film zum Boom. Den Film für die Haut ab dreißig. Den Film für Beavis und Butt-head: ‚It sucks.’ Zwei Stunden lang. Danach ins Gard-Haarstudio: Starschnitt.“


(Bild aus Bandits; Copyright: Buena Vista)

Das Lesen dieser Kritiken macht mich jedes Mal aufs Neue sprachlos. Wir brauchen uns nicht zu wundern, dass der deutsche Film dort steht, wo er heute steht. Wenn Neues und offensichtlich Begeisterungswertes auf so persönliche Weise zerrissen wird. Was natürlich auch nicht spurlos an den Protagonistinnen vorbeiging. Katja Riemann schrieb auf sattmann.de/K_R_.html in einem offenen Brief: „Herr Kniebe, von der Süddeutschen Zeitung, hat damals zur Bandits-Premiere auf dem Münchner Filmfest einen ganzen Kinosaal lahmgelegt, und den Startschuß gegeben zum Schlachtfest der Banditen. (Doch wir trugen die kugelsichere Weste der Freundschaft.)“ Dass alle Beteiligten heute noch gefeierte Stars der deutschen Filmlandschaft sind, erscheint tatsächlich wie ein Wunder. Besonders Katja Riemann – Claus Boje warb zu seinem Film Männerpension gar mit dem unfassbaren Slogan „Garantiert Riemann-frei“ – hatte unter den Kritiken zu leiden. Dennoch gewann sie im selben Jahr den Deutschen Filmpreis für ihre Rollen in Die Apothekerin und in Bandits. Heute gilt Riemann als eine der erfolgreichsten deutschen Schauspielerinnen ihrer Generation. Nicolette Krebitz sorgte zuletzt mit ihrem Sundance-Hit Wild als Regisseurin für Furore, Jasmin Tabatabai ist bis heute als Sängerin und Schauspielerin gefragt. Jutta Hoffmann wurde kürzlich mit dem Deutschen Schauspielpreis 2017 für ihre Rolle als alkoholkranke Mutter in Ein Teil von uns ausgezeichnet. Und Katja von Garnier hat mit ihrer Ostwind-Saga einen Publikumsmagneten bei Kindern und Jugendlichen geschaffen, der jüngste Teil Ostwind – Aufbruch Nach Ora (mit Nicolette Krebitz in einer der Hauptrollen) hat erneut die Millionen-Besuchergrenze durchbrochen.

Ein Gutes hatte dieses Stahlbad für die Protagonistinnen von Bandits: Sie sind bis heute nicht nur engste Freundinnen, sondern sogar als Patentanten der Kinder der jeweils anderen zu Familienmitgliedern geworden. Die vernichtende Medienkritik schweißte sie zusammen. Doch darf man kaum überrascht sein, warum es Frauen in Deutschland bis heute im Filmberuf so schwer haben – angesichts des Beispiels Bandits 1997, das zugleich als Schandfleck der Geschichte der jüngeren deutschen Filmkritik angesehen werden muss.

Urs Spörri kuratiert und moderiert deutschsprachige Kinoreihen im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt/M., vor allem in Kooperation mit der Fachzeitschrift epd film die Filmreihe „Was tut sich — im deutschen Film?“ samt ausführlichen Werkstattgesprächen mit den Filmemachern. Seine regelmäßigen Festivalstationen sind das Filmfest München, der Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, die Berlinale, das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen sowie die Hofer Filmtage. Außerdem hat er selbst jahrelang das FILMZ Festival in Mainz in führender Position mitverantwortet.

Der komplette Mitschnitt eines Gesprächs mit den Bandits-Protagonistinnen von einer Veranstaltung im Deutschen Filmmuseum Frankfurt vom 24. September 2017 findet sich hier.

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