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Interviews

„In einem Kostümfilm stehen wir von Anfang an jenseits jeglicher Realitäten."

Ein Beitrag von Anna Wollner

Neun Jahre hat das Schreiben des Drehbuchs zu The Favourite gedauert, nun hat der Film zehn Oscarnominierungen erhalten. Anna Wollner hat mit Regisseur Yorgos Lanthimos gesprochen. 

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Emma Stone und Yorgos Lanthimos am Set zu "The Favourite"
Emma Stone und Yorgos Lanthimos am Set zu "The Favourite"

Vielleicht ist er sowas wie das Enfant terrible des europäischen Gegenwartskino. Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos weiß auf jeden Fall zu provozieren und zu spalten. Egal ob Dogtooth, Lobster oder jetzt The Favourite – das absurde Punk-Rock-Drama über ein lesbisches Liebesdreieck am englischen Hofe hat ihm zehn Oscarnominierungen eingebracht, die Auszeichnung für Olivia Colman als Queen Anne scheint als gesetzt. Anna Wollner hat ihn im September beim Filmfestival in Venedig zum Interview getroffen – wo „The Favourite“ im Wettbewerb lief.

 

Was reizt Sie an Kostümfilmen?

Ein Zeitalter wieder auferstehen zu lassen, das uns sehr weit weg erscheint. Da gibt es eine natürliche Distanz und einen natürlichen fiktiven Ansatz. Einfach weil die historischen Gegebenheiten so weit weg sind. Ich als Filmemacher habe einen gewissen Handlungsspielraum und kann mich auf andere Aspekte als die Authentizität konzentrieren. Ohne eine Struktur haben zu müssen, die mich zu sehr einengt. In einem Kostümfilm wie diesem stehen wir von Anfang an jenseits jeglicher Realitäten. Wir bilden keine Realität ab, sondern denken uns was aus. Das ist befreiend. 

Ist das genau das, was Sie generell am Kino lieben?

Vermutlich. Denn wenn ich ehrlich bin, versuche ich mit keiner meiner Arbeiten die Wirklichkeit abzubilden. Das Kino ist für mich eine Art Katalysator, Dinge auch mal aus einer anderen Perspektive betrachten zu können.

Was mögen Sie nicht an Kostümfilmen?

Den Fakt, dass es genug Leute gibt, die Kostümfilme genauso machen, als würden sie genau wissen, wie es damals gewesen ist. Die Filme fühlen sich dann noch viel mehr nach Fake an. Denn wir wissen es ja nicht, berufen uns auf ein paar Referenzen, aber der Rest ist doch frei erfunden. Hier lag es mir sehr am Herzen, das klar wird, dass wir uns sehr viel ausgedacht haben und die Geschichte frei interpretiert haben. Mir war wichtig, dass die Leute das von sich aus merken. Der Film soll in seiner eigenen kleinen Welt funktionieren, aber nicht im Gesamtkontext der historischen Geschichte.

Nicholas Hoult in "The Favourite"; 20th Century Fox
Nicholas Hoult in „The Favourite“; 20th Century Fox

Alle vier Schauspieler haben mir erzählt, dass sie absolut keine Ahnung hatten, in welche Richtung der Film geht. Wie würden Sie selbst Ihr visuelles Konzept beschreiben?

Allein das Schreiben hat mit Pausen mehrere Jahre gedauert. Neun insgesamt. Aber von Anfang an war klar, dass ich einen Kostümfilm machen wollte, der sich zeitgenössisch und relevant anfühlt. Die Sprache zum Beispiel. Oder eben auch die Ästhetik. Klar, die Kostüme sollten schon für die Zeit stehen, aber wir haben Stoffe von heute genommen. Das sieht man. Und das war Absicht. Mein filmischer Ansatz ist vielleicht nicht unbedingt das, was man erwartet. Oder das, was wir kennen. Wir wollten mit allem ein zeitgenössisches Element haben, aber trotzdem loyal zu der Epoche sein. 

Mögen Sie es, Schauspieler an ihre Grenzen zu bringen – an Orte, an denen sie noch nicht waren?

Ja, denn jeder Schauspieler ist erst dann gut, wenn er sich in unbekanntes Terrain begibt.  Es ist interessant zu beobachten, wie Schauspieler oder Figuren sich in seltsame Situationen hineinmanövrieren. Das verrät sehr viel über Menschen und menschliches Verhalten. Ich mag Situationen, in denen Schauspieler nicht genau wissen, was man von ihnen erwartet und sie sich auf ihre Instinkte verlassen müssen. Wenn sie ihre Komfortzone verlassen und ihre Grenzen testen müssen. 

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Wer hat Sie dabei am meisten überrascht?

Eigentlich jeder. Aber das liegt nicht nur an den Schauspielern. Das liegt am richtigen Casting. Sobald Schauspieler Spaß an ihrem Job haben, wachsen sie über sich selbst hinaus und sind auf einmal zu Dingen in der Lage, mit denen niemand gerechnet hätte. Das ist der wichtigste Teil meines Jobs. Die richtigen Leute zu finden und ihnen eine Umgebung zu bieten, in der sie ihren Job machen können. Dann ist alles möglich.

Können Sie ein Beispiel geben?

Wir haben zwei Wochen vor dem Dreh geprobt. Ich probe nicht, um die einzelnen Szenen durchzugehen und alles schon einmal durchzuspielen. Mir geht es darum zu spielen, die Schauspieler aneinander zu gewöhnen und ihnen die Möglichkeit zu geben, zu übertreiben, frei zu werden von ihren Ängsten und Spielkonventionen. Da entsteht oft eine Gemeinschaft, die sich über die Dreharbeiten hält. Die Proben sind für mich fast das Beste. Denn hier werden wir zu Kindern, machen alberne Spiele und lachen. Also die anderen. Ich sitze ruhig in der Ecke und beobachte.

Niemand scheint viel über Queen Anne zu wissen. Wie sind Sie auf die Geschichte aufmerksam geworden?

Selbst Engländer sind da wenig bewandert. Es geisterte schon sehr lange ein Skript von Deborah Davis herum, sie hat sehr intensiv recherchiert, hat Briefe studiert und ein langes Feature fürs Radio gemacht. Ich habe ihr damaliges Drehbuch gelesen und war fasziniert von den Figuren und der Geschichte. Wir haben dann ihr Drehbuch als Grundlage genommen und dem ganzen einen neuen Ton verliehen. Wir wollten ja nie nur der Geschichte treu bleiben und ein klassisches Biopic machen.

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Ihre Filme – diesen hier mal ausgenommen – haben oft einen düsteren Ton. Fühlen Sie sich zur Dunkelheit hingezogen?

Vermutlich ja. Ich kann nicht anders, denn die Dunkelheit ist überall. Genauso wie Gewalt. Verstehen sie mich nicht falsch, ich mag Komödien, aber sie fühlen sich für mich nicht vollständig an. Ich mag Gegensätze. Deswegen kippen meine Filme oft. Egal ob visuell, ästhetisch oder dramaturgisch. Das steckt irgendwie in mir drin. 

Wer sind Ihre Regievorbilder?

Da kann ich mich gar nicht festlegen. Je nachdem, wann Sie mich fragen, werde ich Ihnen eine andere Antwort geben. Mal sind es Bresson und Cassavetes, die beiden sind sehr unterschiedlich und für mich die größten Regisseure der Welt. Aber das ist eigentlich immer stimmungsabhängig und hängt auch davon ab wo ich gerade im Leben bin. So viele Filme haben mich in unterschiedlichen Lebensphasen begleitet und geprägt. Ich kann diese Frage also nie ganz beantworten. 

Rachel Weisz und Olivia Colman; Copyright: 20th Century Fox
Rachel Weisz und Olivia Colman; Copyright: 20th Century Fox

Wissen Sie denn, wo Ihre Leidenschaft Geschichten erzählen zu wollen herkommt?

Nicht wirklich. Ich habe schon als Kind den ganzen Tag vorm Fernseher gesessen und Filme geguckt. Aber ob das mich dazu gebracht hat, selbst Filme zu machen, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht ist es ein Instinkt, dem ich gefolgt bin. 

Was glauben Sie, werden die Engländer von Ihrem Film halten?

Ich habe keine Ahnung. Aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, die Engländer wissen selbst sehr wenig über Queen Anne. Und sie haben einen großartigen Humor. Sie werden den Film und unseren Ansatz sicherlich verstehen.

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