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Fundstücke

Der Beste Kurzfilm der Saison stammt aus einem Modehaus

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Einbrechende Umsatzzahlen, abgesagte Modenschauen — auch die Textilindustrie muss mit der Coronakrise fertig werden. Im Fall von Hermès gebiert die Not aber sogar einen medialen Höhepunkt dieses Sommers.

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Screenshot aus "Hermès Men's Collection Summer 2021"
Screenshot aus "Hermès Men's Collection Summer 2021"

Die Neuerungen kommen nicht zwangsläufig immer aus den Richtungen, aus denen man sie erwartet. Einer der formal aufregendsten Kurzfilme der letzten Zeit stammt zum Beispiel aus einem Modehaus.

Die Textilindustrie hat mit der Coronakrise ebenso zu kämpfen wie die Filmbranche: Lange Zeit geschlossene Geschäfte, einreißende Umsatzzahlen, abgesagte Fashionweeks. Nun veranstaltet ein Label, das beschreibt Daniel Penny in seinem Beitrag für das New Yorker Lifestyle-Magazin The Cut sehr anschaulich, eine Modenschau nicht unbedingt primär um Klamotten zu verkaufen. Vielmehr handelt es sich um Branding, um einen Marketing Gig: Eine aufwendige Inszenierung, anwesende Prominente, hundertfach geteilte Clips auf Instagram.

Viele Labels versuchten deshalb in den letzten Monaten adäquaten Ersatz für ihre abgesagten Catwalks zu finden — und zumeist füllten ihre Ideen die Lücke, boten aber nicht unbedingt Innovationen: Bei Models daheim aufgenommene Fotostrecken und Lookbooks. Kurzfilme von bekannten Regisseuren wie etwa Matteo Garrone (Das Märchen der Märchen), der kürzlich aus Diors Herbst/Winter-2020/21-Kollektion — wiederum — ein verwunschenes Märchen machte.

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Einen formal aufregenderen Weg wählte kürzlich das französische Luxuslabel Hermès für seine Herrenkollektion Frühjahr/Sommer 2021: Eine digitale Präsentation, die die Medien miteinander verschmilzt. Modenschau, Theater, Live-Performance, Kurzfilm. Verantwortlich zeichnet der französische Theaterregisseur Cyril Teste, der dafür bekannt ist an der Grenze zum Film zu arbeiten. So inszenierte er etwa 2017 Festen — eine Performanceversion des gleichnamigen Dogma95-Dramas von Thomas Vinterberg. Sein Kameramann ist Julien Boizard, der in der Vergangenheit an Live-Opernübertragungen mitwirkte.

„Silence s’il vous plaît!“ Der Kurzfilm beginnt mit Stimmen des Regisseurs und seiner Assistent_Innen aus dem Off. Im Bild: Ein junges Model in einem locker sitzenden Set in Babyblau, eine moderne Variante des Nadelstreifenanzugs. Der gläserne Fahrstuhl, in dem er sich befindet, gleitet auf’s Stichwort hinab in das lichtdurchflutete Atrium der Pariser Ateliers von Hermès, wo sich die übrigen Models, Chefdesignerin Véronique Nichanian und ihr Team auf eine Modenschau vorbereiten. Kleidungsstücke werden anprobiert, Absprachen getroffen, Produktfotos und Selfies geschossen. Diesen emsigen Bienenstock inszeniert Cyril Teste in einer dahinfließenden Choreografie. Es gibt Schnitte — aber dennoch fühlt es sich am Ende an, als hätte man eine einzige Plansequenz à la La Nuit Americaine gesehen. Bei jeder neuen Sichtung entdeckt man ein weiteres Detail.

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Es ist schwer auseinanderzuhalten, welches Model im Bild gerade seine Rolle spielt und welches in seiner Pause auf den nächsten Einsatz wartet, so nahtlos gehen die Aufnahmen ineinander über, so organisch wirkt es, wie die Kameras den Protagonisten folgen. Dabei steht die Gemachtheit des Ganzen so deutlich im Fokus: Überall auf der Atelierfläche stehen Bildschirme und Spiegel verteilt, mithilfe derer die Crew selbst ins Bild und wieder hinaus gleitet. Die Spiegel zerteilen den Raum in unzählige Fragmente, Gänge und Winkel, die es bald unmöglich machen sich noch in ihm zu orientieren. Dabei sind sie nicht einmal ein billiger Inszenierungskniff, sondern schier notwendig in einem Modehaus. Cyril Testes Kurzfilm ist ein perfektes Beispiel für funktionales Design, gewissermaßen, wie die Entwürfe von Hermès.

Dabei geraten die Kleidungsstücke selbst beinahe in den Hintergrund. Die Designs von Hermès sind nicht unbedingt darauf ausgelegt spektakulär zu sein, einem auf dem Catwalk den Atem zu verschlagen. Es geht der Marke um Qualität, um wertige Details, meisterliche Handarbeit. Es ließe sich sogar argumentieren, dass eine digitale Präsentation wie diese, die Kleinigkeiten in Großaufnahme zeigen kann, der beworbenen Mode viel besser zu Gesicht steht als eine herkömmliche Modenschau. Zumindest aber lenkt sie die Aufmerksamkeit weg von all dem Chichi und hin zum Entscheidenden: zum Handwerk auf allen Ebenen dieses Kurzfilms. Insofern taugt er vielleicht nicht nur als Ersatz, sondern als gleichwertige Alternative zur Modenschau. Und ganz am Schluss, wie bei einer eben solchen, fehlt noch nicht einmal der Applaus. Für die Mode, für die Choreografie, für die Crew, für den Film.

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