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So Bad, It's Good - Or Isn't It?

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Wenn Filme in ihrem ernsten Bestreben scheitern, dabei jedoch vor Leidenschaft glühen und mit ungeheurer Übertreibung vorgehen, sind sie manchmal so schlecht, dass sie schon wieder gut sind. Eine Untersuchung von good bad movies – von „Plan 9 aus dem Weltall“ über „Showgirls“ bis hin zu „The Room“.

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Lisa, Johnny und Mark aus The Room
Lisa, Johnny und Mark aus The Room

Es gibt Filme, die schlecht sind, weil sie schlecht sein wollen – und deshalb mit aberwitzigen Plots, lachhaften Dialogen, billigsten Spezialeffekten sowie talentfreier Besetzung aufwarten. Außerdem gibt es Filme, die schlecht sind, weil sie keinerlei Seele erkennen lassen – so zum Beispiel viele der schnöde berechneten Großproduktionen von Hollywood-Studios, zahllose formelhafte B-Movies oder biederes Feelgood-Kino ohne Mut und Ideen.

Es gibt jedoch auch Filme, auf die die Bezeichnung „so bad, it’s good“ perfekt zutrifft: Werke, die in ihrem Scheitern von der Verve des Film-Teams, von den hochfliegenden künstlerischen Ambitionen aller Beteiligten zeugen und daher enormen Spaß machen – selbst in der zweiten, dritten oder siebenundsiebzigsten Sichtung.

Ein solches Werk ist The Room (2003) – geschrieben, in Szene gesetzt, finanziert und in der Hauptrolle gespielt von Tommy Wiseau. Das Melodram, dessen Entstehungsgeschichte in James Francos Disaster Artist satirisch geschildert wird, wimmelt von Anschlussfehlern, von unmotivierten Aktionen der Figuren, von Handlungsfäden, die ins Nichts führen, und von haarsträubenden Nonsens-Dialogzeilen („I did not hit her! I did not. Oh – hi, Mark!“). Der Unterschied etwa zu schludrig heruntergekurbeltem Ramsch wie Sharknado (2013) ist die ernste Gesinnung, mit welcher uns dieses filmische Fiasko präsentiert wird.

Während die Low-Budget-Movie-Schmiede The Asylum in der stümperhaften Darbietung von Hai-Windhosen und ähnlichem Unfug eine gewisse Verachtung für ihr eigenes Publikum durchschimmern lässt (nach dem Motto: „Es ist mies und ihr wollt es doch so!“), hatte Wiseau mit The Room offenbar etwas ganz anderes im Sinn: Seine tragische Story über Liebe, Freundschaft und Verrat sah er in der Tradition von Tennessee Williams, in seinem Tun und Treiben als Regisseur nahm er sich Alfred Hitchcock und Stanley Kubrick zum Vorbild – und sein intendiertes Chef d’Œuvre, welches immerhin sechs Millionen US-Dollar verschlang, sollte an kinematografische Klassiker wie Orson Welles‘ Citizen Kane (1941) heranreichen. Was der (mutmaßlich) 1955 in Polen geborene Writer-Director-Producer-Actor letztlich vorlegte, war ein Paradebeispiel für das, was Susan Sontag in ihrem 1964 veröffentlichten Text „Notes On ‚Camp‘ “ als „a seriousness that fails“ – also als eine verfehlte, gescheiterte Ernsthaftigkeit – beschreibt, welche in Kombination mit Leidenschaftlichkeit und Übertreibung dazu führen könne, dass wir einen Film (oder auch einen Roman, einen Song, ein Theater-, Kleidungs- oder Möbelstück) als „good because it’s awful“ empfinden.

  • The Room - Bild
    The Room - Bild

    Lisa, Johnny und Mark aus „The Room“.

  • The Room - Bild
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    „You are tearing me apart, Lisa!“

  • The Room - Bild
    The Room - Bild

    „I did not hit her! I did noooaaaat! It’s not true — Oh, hi Mark!“

Ein Vorgänger von Wiseau ist der Filmemacher Edward D. Wood Jr. (1924-1978), dessen Schaffen mit Tim Burtons Biopic Ed Wood (1994) ebenfalls ein Denkmal in bewegten Bildern gesetzt wurde. Auch die Arbeiten von Wood Jr., darunter der Gruselstreifen Die Rache des Würgers (1955) und der Science-Fiction-Film Plan 9 aus dem Weltall (1959), sind Tummelplätze für Ungereimtheiten sowie für grobe Schnitzer – und zugleich sind es Schöpfungen, die Ströme von Herzblut in den Kinosaal fließen lassen.

Ohne Rücksicht auf Kohärenz erzählt Wood Jr. etwa von Außerirdischen, die auf der Erde landen, weil sie befürchten, dass die Menschheit mittels einer Solarbombe das gesamte Universum zerstören könnte (was zumindest ein deutlich interessanteres Motiv für eine Alien-Invasion ist als die hanebüchenen Gründe in Blockbustern wie Independence Day). Überdies bot er Hollywood-Outcasts wie dem verblassten Altstar Bela Lugosi, der Schauspielerin Maila Nurmi alias Vampira oder dem schwedischen Wrestler und Dauer-Nebendarsteller Tor Johnson in seinen Werken eine Bühne und befasste sich in Glen or Glenda (1953) – wenn auch auf äußerst abstruse Art und Weise – mit der Vorliebe eines (von ihm selbst verkörperten) Mannes für Frauenkleider, lange bevor vergleichbare Themen in Mainstream-Filmen behandelt wurden.

Bild aus Plan 9 aus dem Weltall

Als „first drag queen role played by a woman“ (um den stets zitierfähigen John Waters heranzuziehen) ging wiederum Faye Dunaways übersteigerte Verkörperung der Leinwand-Diva Joan Crawford in Frank Perrys Biopic Meine liebe Rabenmutter (1981) in die Filmhistorie ein. Dunaway, dank Bonnie und Clyde (1967) oder Chinatown (1974) eine der großen Heldinnen des New Hollywood, steuerte mit extrem hohem Einsatz und exzessiver Geste den Hauptdarstellerinnen-Oscar an – landete allerdings höchst unrühmlich bei dem Negativ-Preis Goldene Himbeere als „Schlechteste Schauspielerin“.

Ob die Kino-Adaption der umstrittenen, gleichnamigen Autobiografie von Crawfords Adoptivtochter Christina, in welcher diese schildert, wie sehr sie unter ihrer Mutter zu leiden hatte, nun als „so bad, it’s good“ oder doch eher als „so good it’s perfect“ (wie Waters meint) rubriziert werden kann, sei einmal dahingestellt. Dunaways Interpretation der Rolle als monströs anmutendes Wesen, das unter anderem mit einer riesigen Gartenschere in einem Rosenbeet wütet oder mit unvorteilhafter Crememaske im Gesicht einen Tobsuchtsanfall bekommt, weil Christina ein teures Kleid auf einen billigen Drahtbügel (!) gehängt hat, führte in US-Lichtspielhäusern seinerzeit jedenfalls zu einem Phänomen, das den populären Mitmach-Aktionen bei Mitternachtsvorstellungen des Grusicals The Rocky Horror Picture Show (1975) ähnelte.

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Auf diesem Wege erlangte auch The Room im Laufe der Jahre seinen Ruf als „good bad movie“; noch heute finden Midnight-Screenings von Wiseaus Film statt. Wesentlich bei dieser Form der Rezeption sei – wie Sontag in „Notes On ‚Camp‘ “ erläutert –, dass die Zuschauer_innen das Gezeigte als reines Kunstprodukt erleben: Nur eine Abstrahierung vom eigentlichen Inhalt – also von den ernsthaften und tragischen Sujets der Werke (etwa Untreue und Suizid in The Room oder physische sowie psychische Gewalt in Meine liebe Rabenmutter) – ermögliche es, die Filme als Camp-Objekte zu genießen.

  • Meine liebe Rabenmutter - Bild
    Meine liebe Rabenmutter
  • Meine liebe Rabenmutter - Bild
    Meine liebe Rabenmutter - Bild

Auch bei Paul Verhoevens Kino-Extravaganza Showgirls (1995) ist unklar, ob sie ein „good bad movie“ oder vielmehr eine perfekte, verkannte Showbiz-Satire ist. Unbestreitbar ist hingegen, dass seit deren Erscheinen eine neue Wahrnehmung eingesetzt hat: Während der Mix aus Drama, Musical und Erotikfilm damals verheerende Besprechungen bekam, sich als Kassen-Flop erwies und die Goldene Himbeere in sieben Kategorien erhielt, sprach später etwa der Nouvelle-Vague-Regisseur Jacques Rivette seine Wertschätzung für den Film aus; der Filmkritiker Adam Nayman schrieb ein Buch mit dem Titel „It Doesn’t Suck: Showgirls“ – und in Deutschland fand eine kürzliche Fernsehausstrahlung von Showgirls nicht etwa im Nachtprogramm von RTL II, sondern auf dem Kultursender Arte statt.

Verhoeven und sein Drehbuchautor Joe Eszterhas erzählen von der jungen Nomi Malone (Elizabeth Berkley), die nach Las Vegas trampt, um Tänzerin zu werden. Zunächst landet sie in einem Strip-Club, bis sie für eine glamourösere Erotik-Show engagiert wird, deren Star die selbstbewusste Cristal Connors (Gina Gershon) ist. Showgirls kann als Variation von Joseph L. Mankiewicz’ Alles über Eva (1950, mit Bette Davis und Anne Baxter als Konkurrentinnen im Theatermilieu) gesehen werden, in welcher Männer allenfalls Nebenparts spielen. Bemerkenswert ist, dass Verhoeven die (Nackt-)Tanzpassagen wie furiose Actionszenen umsetzt, in denen Frauen nicht als passive Schauobjekte erscheinen, sondern als aktive Handlungsträgerinnen. Die Dialoge mögen sich recht kryptisch ausnehmen (Cristal: „Ich hab‘ schon Hundefutter gegessen.“ — Nomi: „Ist nicht wahr!“ — Cristal: „Mmm-hmm. Ist schon ‚ne Weile her… ‚Hundeglück‘. Oh, das war immer so lecker, dieses ‚Hundeglück‘!“ — Nomi: „Ich hab‘ auch auf ‚Hundeglück‘ gestanden!“) – aber halbherzig ist in dieser Over-the-top-Schöpfung nun wirklich gar nichts.

  • Showgirls - Bild
    Showgirls - Bild
  • Showgirls - Bild
    Showgirls - Bild

Dies gilt ebenso für Chris Sivertsons Horror-Thrillerdrama Ich weiß, wer mich getötet hat (2007), dessen Skript (von Jeff Hammond) und Inszenierung zwar ohne Zweifel eine gewisse Plausibilität vermissen lassen, jedoch von einer entscheidenden Sache im Übermaß besitzen: Ambition! Die Geschichte einer musisch begabten Schülerin aus gutem Hause, die entführt wird und – wie es scheint – nach ihrer Rettung verwirrt beteuert, eine Stripperin ohne Familie, Geld, Talent und Glück im Leben zu sein, wird mit umfassender Farbsymbolik, mit Aufnahmen von schwebenden blauen CGI-Rosenblättern und lebendig werdenden Tattoos sowie mit wüsten Theorien über Zwillinge und mit einem erstaunlich snobistischen Serienkiller angereichert.

Dabei greift der Film mit Aplomb nach Vorbildern wie Alfred Hitchcocks Vertigo (1958), David Lynchs Blue Velvet (1986) sowie dem Œuvre Brian De Palmas. Die skandalumwölkte Hauptdarstellerin Lindsay Lohan verkörpert ihre Doppelrolle derart hartgesotten, dass jegliches Exploitation-Potenzial, das die Story bereithält, verpufft. Auch hier fielen die Kritiken und das Einspielergebnis extrem mies aus, acht Goldene Himbeeren wurden verliehen – eine wohlwollendere Neubetrachtung des Werks hat sich bisher nicht durchgesetzt. Ohne Ich weiß, wer mich getötet hat zum missverstandenen Meisterstück hochjazzen zu wollen, kann man jedoch festhalten, dass das, was Sivertson, Hammond und Lohan uns mit heiligem Ernst präsentieren, weitaus mehr zu wagen bereit ist, als man dies von einem Großteil der Produktionen aus Hollywood behaupten könnte.

Bild aus Ich weiß nicht, wer mich getötet hat

Sontag schreibt in ihrem Essay, dass Objekte aus der Vergangenheit für eine Camp-Rezeptionsweise durch einen gewissen zeitlichen Abstand geeigneter seien. Tatsächlich fällt es bei ganz aktuellen Produktionen, die in ihrer Ernsthaftigkeit scheitern, deutlich schwerer, diese Verfehlung zu genießen – etwa bei The Book of Henry (2017), welcher in seiner Mischung aus netter Familiendramödie und absurdem Selbstjustizthriller fraglos Ehrgeiz an den Tag legt, aber in erster Linie für Verärgerung sorgt, da trotz eines nachweislich talentierten Regisseurs (Colin Trevorrow) und trotz einer wahrlich großartigen Besetzung (Naomi Watts, Jaeden Lieberher, Jacob Tremblay, Sarah Silverman) absolut nichts funktionieren will. Ob wir in ein bis zwei Dekaden etwas Unterhaltsames, Besonderes, Wertvolles in der Seltsamkeit und Unstimmigkeit dieses Genre-Konglomerats (oder in den Plots und Umsetzungen der vielen anderen Film-Enttäuschungen der letzten Jahre) entdecken werden – die Zeit wird es zeigen.

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