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Joachim Trier: Generation Oslo

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Mit „Der schlimmste Mensch der Welt“ kehrt Joachim Trier nach Oslo zurück und erzählt in einer mitreißenden Liebeskomödie erneut von der Suche nach Identität und Halt. Ein Blick auf das Schaffen dieses großartigen Filmemachers.

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Oslo_Trilogie

Ich ist ein anderer. Mit diesem berühmten Ausspruch von Rimbaud lassen sich die thematischen Fäden im filmischen Werk von Joachim Trier ziemlich gut bündeln. Denn im Grunde handeln alle Filme des norwegischen Regisseurs vom Ringen mit der Identität, mit dem anderen im Selbst, den Möglichkeiten und Sackgassen des Lebens: Wann ist man bei sich und wer bestimmt eigentlich, wer dieses Ich letztlich ist? Darum kreisen im Grunde alle Filme des Norwegers und immer gelingt es, den Fokus um ein kleines Stück zu verschieben.

In seinem wagemutig-wilden Debütfilm Reprise – Auf Anfang erzählte er von zwei Freunden, die beide Schriftsteller werden wollen und sich in der Kollision aus Wirklichkeit und ästhetischer Möglichkeit verlieren. Bereits in diesem ersten Film wird klar, wie literarisch Joachim Trier eigentlich erzählt und wie es ihm gleichzeitig gelingt, elegant und spielerisch, das geschriebene Wort zu einem filmischen Bild werden zu lassen. Da wird gezögert, werden Alternativen entworfen, neue Möglichkeiten eingefädelt und abgebrochen – nicht bloß von den Figuren, nein, der filmische Text taumelt und explodiert, stolpert und verwirrt sich.

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Gleich zu Beginn dieser Geschichte über Freundschaft, Erfolg und Lebenslinien stehen Phillip (Anders Danielsen Lie) und Erik (Espen Klouman Høiner) vor einem Briefkasten; sie zögern noch, halten ihre Manuskripte in den Händen. Dort also nimmt das Ganze seinen Anfang. Das Leben ist ein ewiges Geschichtenerzählen und wenn man einen Text/Roman/Essay in die Welt wirft, dann verändert man sich, wird man ein anderer werden, so viel steht fest. Aus genau diesem Grund setzt ein Erzähler ein, der in seiner einordnenden und gleichzeitig differierenden Funktion an Jules et Jim von Truffaut erinnert: Da werden Räume eröffnet, biographische Stationen zum Funkeln gebracht und die Zweifel beschworen, denn wenn alles immer anders kommen kann, was hat das eigentlich für einen Sinn? Das ist der schwere Subtext dieses berührenden Films und der Kampf um einen Sinn in diesem Spiel, das man Leben nennt, das große Thema.

Reprise hat neben all der Lebenslust, dem Rock‘n’Roll und der Leidenschaft auch sehr dunkel Momente: Aus der Leichtigkeit bewegt sich der FIlm immer wieder in die Schwere hinein. Oslo, 31. August folgt einer umgekehrten Route: Wir folgen einem Süchtigen auf dem Weg aus dem Entzug hinein in eine mögliche Normalität, die an den unentrinnbaren Bildern, die sich andere von uns machen, zerschellt. Anders (erneut: Anders Danielsen Lie) sucht nach seinem Aufenthalt in einer Klinik nach Sinn und stößt überall auf das Verdikt, ein Süchtiger zu sein.

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Angelehnt ist der Film an Louis Malles Das Irrlicht (1963), in dem es um eben genau die gleiche existenzielle Sinnsuche geht – nur eben in einer anderen Zeit und in einer anderen Generation. Es handelt sich also nicht um ein Remake. Vielmehr um eine Variation eines immer aktuellen Grundthemas, das von Trier mit poetischer Melancholie verwoben wird. Erneut gibt es Erinnerungen an andere Möglichkeiten, an erste Eindrücke, die eine grausame Frage aufwerfen: Wieso konntest du nur so abstürzen? Anders spürt die Schuld des Süchtigen, dem moralische Vorhaltungen gemacht werden. Das Gefühl der Leere aber bleibt.    

Mit Der schlimmste Mensch der Welt kehrt Joachim Trier in eben jene Welten dieser ersten beiden Filme zurück. Erneut ist der Schauplatz Oslo und in den ersten Minuten beschleicht einen das Gefühl, diesen Film bereits zu kennen – derart vertraut sind Atmosphäre und Setting. Welch ein Trugschluss: Trier und sein Stammautor Eskil Vogt wenden sich zwar erneut bereits bearbeiteten Themen zu, erweitern den Fokus aber um eine Frauenfigur, die sich in eine mäandernde Gegenwart voller Möglichkeiten wirft.

Julie (Renate Reinsve) hat sich von Anfang an in den unendlichen Möglichkeiten des Lebens verloren. Wobei man wohl eher sagen muss, dass sie eine Person ist, die sich in das Neue wirft. Sie hat gute Noten, studiert zunächst Medizin, entdeckt dann ihr Interesse für Psychologie. Danach kommt die Fotografie. Wechsel, Bewegung und auf und ab. Die großen narrativen Bögen gibt es nicht mehr. Stattdessen: Episoden. Zum Beispiel eine besondersn intensive Beziehung mit dem erfolgreichen und älteren Comicautor Aksel (Anders Danielsen Lie). Dann taucht plötzlich der bodenständige Eivind (Herbert Nordrum) auf, der ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen will. Mit ihm kann sie eine andere Person sein. Will man Kinder? Wann wird man zum Spießer?

Im Fokus steht hier zwar eine Frau, um einen feministischen Film handelt es sich dennoch nicht. Trier und Eskil geht es nur bedingt ums Geschlecht ihrer Protagonisten. Wenn man so will, dann kann man den Regisseur und seinen Autor als strukturalistische Poeten beschreiben, bei den Beziehungen durchgespielt werden, der Einfluss der anderen auf uns und all diese leidenschaftlichen Wechselbeziehungen des Lebens. Der schlimmste Mensch der Welt ist – wie zuvor auch Reprise und Oslo, 31. August  – ein Porträt von Generationen, in dem nun die Männerfiguren aus den alten Filmen mit einer neuen, selbstbewussten Internetgeneration zusammenbracht werden. Auch hier eine Erzählerfigur, die uns immer in eine offene Möglichkeit fallen lässt, sie andeutet und umspielt. Durch seine Kapitelstruktur erlaubt der Film seinem Regisseur einen radikal-offenen Umgang mit seinen Erzählformen – hier wir mit allen Mitteln des Kinos erzählt, ohne auch nur einen Charakter oder eine Atmosphäre auszuerzählen. Comicbilder, eingefrorene Zeit, Komödie und Drama, all das läuft ineinander und ergibt ein unpassendes Ganzes, das perfekter nicht sein könnte. 

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Eben das ist auch der große Zauber dieses Kinos von Joachim Trier: Seine Figuren, sein Oslo und seine erzählerischen Fäden bleiben bei uns. Sie bevölkern unsere Leben, sobald man das Kino verlassen hat. Phillip, Anders und nun Julie. Stürzen wir uns also in diese Filme, wie sich eben diese junge Frau ihn ihr Leben stürzt und zersplittert und sich wandelt — lassen wir uns von den Möglichkeiten unseres Lebens verzaubern, ganz und gar ohne ein Multiversum.

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