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Zwischen Regelbruch & Konvention: Rückblick auf das 28. Filmfestival Oldenburg

Ein Beitrag von Bianka-Isabell Scharmann

Filmische Regelbrüche, Inklusion und Diversität hat sich das Filmfest Oldenburg auf die Fahnen geschrieben. Wurde die 28. Ausgabe des Festivals diesen hohen Ansprüchen gerecht?

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Hardy Krüger im Festivaltrailer "The Oltrix"
Hardy Krüger im Festivaltrailer "The Oltrix"

Mit dem selbstgewählten Motto „Rules are for Dogs“ inszenierte sich das diesjährige 28. Filmfestival Oldenburg selbst: Passend dazu begrüßte eine Bildergalerie eines sich rekelnden, streckenden, und schließlich auf den Kopf legenden Vierbeiner im runden Körbchen die Besucher*innen der Website. Ein Motto wie gemacht für das „Sundance von Deutschland“, dessen Selbstverständnis auf Grenzüberschreitung basiert. Und Anlass genug, einmal tiefer reinzugehen und zu schauen, wie sich das mit der Katze und den Hunden genau verhält.

Kann man nach 28 Jahren immer noch die rebellische Außenseiterrolle einnehmen, in der man sich so lange gefallen hat oder ist der Regelbruch nicht längst schon zur Regel geworden und damit Konvention? 

Das Filmfestival Oldenburg, allen voran der Initiator und Festivalleiter Torsten Neumann, „schert sich herzlich wenig um Labels, Genrezuschreibungen, um Abgrenzungen zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem“ so schrieb Joachim Kurz vor drei Jahren. An dem Profil hat sich wenig geändert: Auch dieses Jahr fanden sich internationale Langspielfilme, darunter der Cannes-Gewinner Titane neben kleinen Independent-Produktionen (etwa A Glimpse of Happiness), die es schwer haben, auf großen Festivals zu laufen. Spannende und auf der Höhe der Zeit sich befindende Dokumentarfilme wie Als Susan Sontag im Publikum saß liefen neben einem extra für das Festival kuratierten Kurzfilmprogramm. Oldenburg hat in dieser Hinsicht wieder bewiesen, dass seine Besonderheit in der Vielfalt und Zusammenstellung liegt – was an sich auch schon eine Regel ist, mit der Besucher*innen rechnen können. 

 

Hier geht es zu unseren Lieblingsfilmen aus dem diesjährigen Programm

 

So konnten Festivelgänger*innen auch dieses Jahr wieder exzellente Produktionen entdecken, allen voran die beiden Filme, die mit zweien der wenigen vom Festival verliehenen Preise ausgezeichnet wurden: Der Road-Drogen-Trip Anchorage, der Debütfilm von Scott Monahan, und der zweite Spielfilm des aus Myanmar stämmigen Regisseurs Na Gyi What Happened to The Wolf

Oldenburg zelebriert neben unkonventioneller Programmierung auch die Liebe zum Kino. Sehr deutlich wurde das auch dieses Jahr durch den Trailer. Auf der Pressekonferenz feierte The Oltrix mit Hardy Daniel Krüger (auch die Hauptrolle im Eröffnungsfilm Leberhaken) Premiere: In diesem spielt Krüger nicht die regelbrechende Katze, sondern einen Gentleman, der einen braunen Alkohol trinkend über das diffuse Gefühl des ‚Mit der Welt stimmt was nicht‘ sinniert. „Glaubst du, das ist die Realität? Was ist real?“, fragt Krüger an die Zuschauenden gewandt während hinter ihm die Wand ‚wegrollt‘ und Preis gibt, wo Krüger wirklich sitzt. Dann die Aufforderung am Ende, die rote Pille zu schlucken – ganz klar eine Hommage an The Matrix. Und gleichzeitig eine Einladung, tiefer ins Wunderland einzudringen, also eine Einladung in die Untiefen des Festivals selbst. Vor allem eine Einladung, sich auf die vielen Filmwelten einzulassen, die das Festival versammelt hat. 

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Ganz im Geiste der Ehrung von Personen der Filmgeschichte, die nicht zum Mainstream gehören, widmete sich die Retrospektive dieses Jahr dem 70er-Jahre-Horrorfilm-Regisseur Ovidio G. Assonitis. Und Tribut wurde Mattie Do gezollt, die eine Pionierin der Filmproduktion und Regie in Laos ist – und die erste Frau, die in Laos überhaupt hinter der Kamera stand. Ihre Ehrung liefert an dieser Stelle das perfekte Stichwort, um einmal tiefer die selbstauferlegte Regel der Diversität zu ergründen. 

Denn während des Filmschauens beschlich mich doch wieder das ungute Gefühl, selbst in Oldenburg mangele es an Diversität. Neben all den vielen Welt-, Europa-, Deutschlandpremieren, den vielen herausragenden, spannenden, provokanten und hochpolitischen Produktionen konnte man fast übersehen, dass das Gros der Filme doch wieder von männlichen Regisseuren präsentiert wurde. 

In diesem Zusammenhang sei auch noch mal auf den Trailer verwiesen, der ja sehr deutlich mit einer männlichen, ja fast schon ikonischen Figur, die Krüger verkörperte, das Festival eröffnet. Mit The Maestro wurde dann die Klammer sogar noch stärker um die Filmkunst geschlossen: Eine Hommage an die B-Horror-Movies der 1970er Jahre, zeigt er eine allzu bekannte Figur im Zentrum, ein verkanntes, männliches Musikgenie, das für seine Kunst über Leichen geht. Obwohl es ein Filmfestival für alle sein soll, setzt die Rahmung einen deutlich männlichen und auf männliche Kunstproduktion fokussierten Akzent. Das ist schade, denn gerade im Programm fanden sich politisch anregende Produktionen wie Als Susan Sontag im Publikum saß, deren feministische Stoßrichtung und Appell „Platz machen“ gerne stärkere Resonanz hätte finden können. 

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Wahrscheinlich hat die eine oder der andere Leser/in schon bei dem Wort „Rules“ die bekannten Corona-Regeln im Kopf gehabt: Abstands-, Hygieneregeln und Veranstaltungsauflagen sind von uns allen wohl mittlerweile in mehr oder minder großem Umfang verinnerlicht worden. Und auch das Filmfestival Oldenburg präsentierte sich, wie zu erwarten war, von der Pandemie beeinflusst. 

Ein kurzer Blick zurück: Letztes Jahr zwangen die strengen Regeln viele Festivals – darunter Cannes, Tribeca und Telluride – zur Absage, andere – wie Venedig – in verkleinerter Form stattzufinden. Oldenburg, auch aufgrund seiner Größe und historisch unkonventionellen Herangehensweise und Selbstverständnis, verließ zwar die Kinos, wanderte jedoch dafür ins Zuhause: „Living Room Premieres“ waren letztes Jahr das Herzstück der 27. Ausgabe des Festivals. Eine Kategorie, die auch dieses Jahr beibehalten wurde: In einem Oldenburger Wohnzimmer wurde eine Gala gefeiert. Damit gesellt sich der private Raum zur JVA, die Aufführungen dort gehören seit jeher zum Profil des Festivals. Und machen einmal mehr deutlich, wie inklusiv das Oldenburger Festival ausgerichtet ist.  

 

Hier geht es zu unserer kompletten Festivalberichterstattung im Überblick

 

Außerdem hat die starke Abwanderung oder Verwandlung vieler Festivals während der Pandemie in Online-Formate dafür gesorgt, dass eine digitale Ausgabe – wenn auch mit stark verkleinertem Angebot – für diejenigen zur Verfügung stand, die nicht nach Oldenburg kommen konnten oder wollten. Hybridität bedeutet zwar nicht unerheblichen Mehraufwand, schafft es jedoch, Filme insgesamt einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Warum also nicht diese von Corona geschaffene Realität als eine Regel für die Zukunft implementieren? 

Katzen leben nicht ohne Regeln – sie machen nur ihre eigenen. Hunde hingegen kann man perfekt erziehen. Oldenburg hat das Unkonventionelle seinerseits zur Regel erhoben. Das macht das Katzenhafte des Festivals aus. Dass damit seinerseits wiederum der Regelbruch berechenbar wird, ist gar nicht weiter schlimm. Denn das, was Oldenburg kann und macht, ist seit 28 Jahren zu zeigen, dass es auch anders geht. Und gerne noch mehr dieses ‚anders‘. 

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