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Kann Mord den Einzelnen befreien und zu einem besseren Menschen machen? Kann gezielter Mord einer Gesellschaft helfen? In der schwarzen Komödie „A Glimpse of Happiness“ geht es um diese und ähnliche Fragen.

A Glimpse of Happiness (2021)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Mörderische Therapie

Am siebzehnten Selbstmord gescheitert, kehrt Ben (Fabien Caleyre) im OP-Hemd zurück nach Hause – ganz so, als ob es ein Tag wie jeder andere sei. Gut, wenn man so viel Erfahrung im Gerettetwerden durch Einsatzkräfte hat, dann entwickelt sich Routine und geht danach einfach zurück in seine Wohnung und macht da weiter, wo man aufgehört hat. Doch zu Hause wartet nicht nur ein übereifriger Hausverwalter mit Bens Katze auf ihn (wie ernst kann er es mit dem Selbstmord meinen, wenn er eine Katze hat, fragt man sich), sondern auch Jean-Pierre der „Metzger der Minderheiten“. Dieser weißhaarige, in Lederhose, Hemd und Schürze gekleidete Herr möchte nichts lieber, als Ben in wohlportionierten Stücken auf einem Tresen zu drapieren.

Die Idee hinter A Glimpse of Happiness, einem kaum über 50 Minuten langen Film, ist absurd und simpel zugleich: Ein depressiver, selbstmordgefährdeter Mann wird von einem Serienkiller fälschlicherweise für einen Homosexuellen gehalten. Nachdem das Missverständnis aufgeklärt wurde, verliert Jean-Pierre jedoch jegliches Interesse am Mord und nimmt Ben stattdessen als Lehrling auf. Durch diese schicksalhafte Begegnung kehrt Bens Freude am Leben zurück und auch Jean-Pierre sieht ein, dass seine Jagd auf Minderheiten – um die Gesellschaft aufzurütteln! – leider nur den Faschisten in die Hände spielt.

Regie- und Drehbuch-Debütant Raffael Enault hat sich mit A Glimpse of Happiness einiges vorgenommen: Er wollte eine schwarze Komödie über die Absurdität des individuellen Strebens nach Glück schaffen. Einzelne Unterhaltungen, vor allem Philosophiestunden übers Morden im Auto – wer hat es verdient, wer nicht, welchen politischen Wandel kann man mit einer klug gewählten Zielgruppe Opfer auslösen? – sind überzeugend gespielt, aber auch nur das. Denn entgegen der Prämisse die Trope in ihrer neo-liberalen Wertenthöhlung offenzulegen und wirklich ad absurdum zu führen, treibt A Glimpse of Happiness letztendlich zurück ins konventionelle Fahrwasser. Sodass die mörderischen Unternehmungen hauptsächlich wie blutige Therapiestunden für Ben wirken. Oder hier zeigt sich mein Problem mit französischem Humor.

Der heimliche Star des Films ist sowieso Crapule, Bens Katze: Doch was sagt das über einen Film aus, wenn man sich mehr Sorgen um das Wohlergehen eines flauschigen Vierbeiners macht als um das Schicksal der Figuren?

A Glimpse of Happiness (2021)

Ben ist ein schüchterner und depressiver junger Mann, der seinen 17. gescheiterten Selbstmordversuch hinter sich hat. Jean- Pierre ist ein charismatischer Gelehrter und pensionierter Metzger, der seit einer Krebsdiagnose zu einem selektiven Serienmörder namens »Der Schlächter der Minderheiten« geworden ist. 108 Morde hat er bereits erfolgreich begangen. Die Wege dieser beiden kreuzen sich und verändern den Lauf ihrer Schicksalskurven wie zwei Billardkugeln, die aufeinandertreffen. Ben steht dem berüchtigten Mörder euphorisch gegenüber, während Jean-Pierre vor seinem nächsten auserkorenen Opfer bereits seine Messer wetzt. Und dann kommt der deal breaker. Ben ist gar nicht schwul, wie Jean- Pierre vermutete. Ein unauflösbarer Knoten für den philosophischen Schlächter.  (Quelle: Filmfest Oldenburg)

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