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„Sundance is in Lower Saxony“ - ein Rückblick auf das 25. Filmfestival Oldenburg

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Genau ein Vierteljahrhundert ist das Filmfest Oldenburg nun alt — und hat sich mittlerweile einen exzellenten Ruf als „Sundance von Deutschland“ erspielt.

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Filmstill zu Holiday (2018)
Holiday (2018) von Isabella Eklöf

Zugegeben: Lange hatten wir das Filmfest Oldenburg nicht auf dem Schirm. Was bei rund 400 Filmfestivals in Deutschland pro Jahr auch kein wirkliches Wunder ist. Allerdings hat es sich dann doch in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit gedrängt — und das lag vor allem an geradezu hymnischen Besprechungen vor allem in den Fachmagazinen Hollywood Reporter, Variety und Screen International, die das Festival als das „European Sundance“ auserkoren haben.

Dass das MovieMaker Magazine Oldenburg in seine Liste der Top 25 Coolest Festivals in the World aufgenommen hat und der amerikanische Kritiker Chris Gore es in seinem einflussreichen Ultimate Film Festival Guide zu einem der fünf besten Festivals für Independent Film kürte, verstärkte den Eindruck noch, dass hier in der niedersächsischen Provinz (Verzeihung!) etwas ganz Besonderes entstanden ist.

Was das genau ist, was Oldenburg auszeichnet, erschließt sich dem Festivaldebütanten nicht unbedingt auf den ersten Blick, sondern erst nach einer Weile. Und es sind vor allem die kleinen Details, die dann am Ende ein Gebilde ergeben, das weitaus mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile. 

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Da ist zunächst einmal das Programm: Anders als bei vielen anderen nahenden Festivals des Herbstes finden sich hier kaum „die üblichen Verdächtigen“, die bereits vorher bei den großen Frühjahrsevents auf sich aufmerksam gemacht haben. Aus Cannes hat es nur Christophe Honorés Sorry Angel (Wettbewerb) und Panos Cosmatos’ brachial verdrogte Genre-Halluzination Mandy (Quinzaine des Réalisateurs) nach Oldenburg geschafft, letzterer war freilich zuvor schon beim Sundance gewesen.

Die Filme in Oldenburg, so der Eindruck, rekrutieren sich eher von „kleineren“ Festivals mit weniger Aufmerksamkeit, das zeigen sehenswerte Entdeckungen wie Isabella Eklöfs Holiday und René Ellers exzellent-explizites Coming-of-age-Drama We. Dazu finden sich wenige eingestreute Filme, die auch einen deutschen Kinostart haben — Eric Barbiers Frühes Versprechen (Abschlussfilm in Oldenburg) und Nicolas Bedos’ Die Poesie der Liebe fallen hier neben Mandy (limitierter Kinostart) auf — und lustigerweise behandeln beide Filme französischer Provenienz ein Thema, wie es französischer nicht sein könnte: Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen und das Leiden an der Kunst — in diesen beiden Fällen an der Literatur und dem Schreiben.

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Was ebenfalls auffällt: Der Gründer und Festivalleiter Torsten Neumann schert sich herzlich wenig um Labels, Genrezuschreibungen, um Abgrenzungen zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem, wodurch Querverbindungen wie zwischen Frühes Versprechen und Die Poesie der Liebe eher selten sind. Vielmehr beeindruckt das Programm von Oldenburg eher durch Diversität und Vielstimmigkeit, durch ein selbstverständliches Nebeneinander von Themen, Stilen und Haltungen und damit schlussendlich durch eine große Freiheit, die manchmal auch einen fast verwegenen Eindruck ergibt.

Der Verzicht auf einen Wettbewerb im eigentlich strengeren Sinne (gleichwohl werden einige wenige Preise vergeben)  verstärkt den Eindruck, dass Oldenburg vor allem nach seinen eigenen Regeln spielt: hier werden Filme auch ins Programm aufgenommen, wenn sie schon auf einigen anderen Festivals zu sehen waren. Die abendlichen Partys finden niemals am gleichen Ort statt, sondern nutzen gerne auch mal leerstehende Räumlichkeiten in der Stadt. Das reichlich anwesende englische und amerikanische Fachpublikum gibt der Stadt ein internationales Flair und Gäste wie Michael Wadleigh (Regisseur des Dokumentarfilms Woodstock), Keith Carradine, dem ein Tribute gewidmet war und Bruce Robinson, der mit einer Retrospektive geehrt wurde, lassen schnell vergessen, dass dieses sympathische Städtchen sonst nicht gerade als Nabel der Filmwelt bekannt ist.

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Aber vielleicht liegt auch darin ein Teil des Erfolges von Oldenburg: Entgegen dem Charakter, den man sonst den Bewohnern der Stadt nachsagt, kommt man hier auf dem Festival fast zwangsläufig schnell mit den Gästen und Filmemachern, den Schauspielern und Pressemenschen und auch mit dem ganz normalen Publikum in Kontakt: Kein steifes Protokoll, keine künstlich eingezogenen Hierarchien, kein Chichi, sondern die gemeinsame Liebe zum Film (und zwar gerne in seiner nicht konfektionierten Form).

Freilich ist kein Festival perfekt: Die Entscheidung, den neuen Film Private Life of a Modern Woman des von vielen Frauen (mittlerweile sind es rund 400 Fälle, von denen berichtet wird) sexueller Übergriffe bezichtigen Regisseurs James Toback zu zeigen, sorgte für gehörigen Unmut — und auch wenn der Film vor allem wegen Sienna Millers atemberaubender Performance sehenswert ist, hätte man doch besser auf die Deutschlandpremiere des im letzten Jahr in Venedig uraufgeführten Films verzichtet.

Längst sind nicht alle Geheimnisse des Aufstiegs von Oldenburg zu einem Festival mit internationalem Appeal und weltweiter Strahlkraft ergründet — aber gut, 2019 ist ja auch noch ein Jahr. 

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