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In Berlin wurde eine historisch wichtige Podiumsdiskussion 50 Jahre danach noch einmal durchlebt. Es ging um nicht weniger als das Vermächtnis der Feministinnen der zweiten Welle und die Frage nach unserer heutigen Situation.

Als Susan Sontag im Publikum saß (2021)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Platz machen

Was hat sich in den vergangenen 50 Jahren in Bezug auf Frauenrechte bewegt? Was wurde überwunden, welche Punkte sind heute noch genau so aktuell und wichtig wie sie damals waren? Wo stehen wir? Wo wollen wir hin oder wo könnte es hin gehen? Und welche Perspektivverschiebungen gab es und welche Konsequenzen zieht man daraus?

Es sind keine kleinen Fragen, mit denen sich im Kern Als Susan Sontag im Publikum saß beschäftigt. 50 Jahre nach „A Dialogue on Women’s Liberation“, einer hochkarätig besetzten und historisch wichtigen Panel-Diskussion in New York, wird nach dem Vermächtnis dieser berühmten Veranstaltung mittels Reenactment auf deutschem Boden geforscht, diskutiert, gestritten und miteinander gelacht. Im Zentrum des Films steht dabei die nachgestellte Podiumsdiskussion: RP Kahl, Regisseur und auch mit für das Skript verantwortlich, verkörpert Norman Mailer, den damaligen Initiator der Veranstaltung. Geladene Diskutantinnen waren/sind die Autorin Germaine Greer dargestellt von Saralisa Volm, die Vorsitzende von NOW (National Organization for Women) Jacqueline Ceballos, die Marie Céline Yildirim sprechen lässt, Luise Helm als die Poetesse Jill Johnston und Heike-Melba Fendel personifizierte die Literaturkritikerin Diana Trilling. Auch das Publikum ist von der New Yorker Intellektuellen-Elite besetzt: Neben der Autorin Betty Friedan (Sonja Hilberger) (The Feminine Mystique), Cynthia Ozick (Cynthia Buchheim) und der Journalistin Lucy Komisar war auch die titelgebende Susan Sontag (Stefanie Schuster) zur Diskussion geladen.

Schon nach den ersten Minuten Spielzeit wird klar, dass dies nicht die Dokumentation eines Reenactments ist: Nein, Als Susan Sontag im Publikum saß bricht die „Haupthandlung“ immer wieder gekonnt auf. Gespräche auf der Bühne zwischen den Schauspieler*innen kommentieren die Worte, die ihnen in den Mund gelegt werden. Auch Diskussionen in der Maske oder in Gesprächsrunden mit den Schauspielerinnen – ob Podium oder Publikum – rahmen die zentralen Kurzvorträge und Wortmeldungen. So entsteht ein lebendiger Austausch zwischen dem Gewesenen und dem Jetzt, eine angeregte Diskussion über das, was erreicht wurde, das was altbacken oder unverständlich wirkt und eröffnet Perspektiven auf die Zukunft. Volm, Krahl, Fendel, Helm und Yildirim gehen dabei richtig rein und führen kontroverse Diskussionen über Gleichberechtigung, Macht, Sex, das Label Feministin und reflektieren dabei auch über die Machtgefälle, Genderperformances und Differenzen innerhalb der Gruppe.

Der FIlm versteht sich als eine Aufforderung zur notwendigen Diskussion in den Grauzonen – dort, wo es schwierig wird, Position zu beziehen. Auch durch die ästhetischen Entscheidungen und die Verquickung der Gespräche gelingt es Als Susan Sontag im Publikum saß selbst größtenteils sehr gut, dem Motto „Platz machen und Raum geben“ zu folgen. Was man jedoch wirklich ankreiden muss, ist der mangelnde Dialog mit nicht-weißen, nicht privilegierten Frauen: Denn dieses Vorwurfes des Fokus auf eine begüterte Elite musste sich der Second Wave Feminsmus zu Recht stellen. Somit wird dieser Vorwurf, möglicherweise unabsichtlich, durch den Film noch einmal verlebendigt. Schwarze Frauen oder „Menschen mit wenig Geld“ werden nur am Rande erwähnt. Eine vertane Chance, um eben nicht noch einmal über Genies und künstlerische Freiheit zu sprechen, sondern den Dialog in der Breite zu suchen.

Als Susan Sontag im Publikum saß (2021)

50 Jahren ist es her, dass die berühmte Panel-Diskussion »A Dialogue on Women’s Liberation« in New Yorks Town Hall stattfand: Auf der Bühne streiten, lachen und performen Norman Mailer, Germaine Greer, Jill Johnston, Jacqueline Ceballos und Diana Trilling. Im Publikum Susan Sontag, Cynthia Ozick und Betty Friedan. Die intellektuelle Elite New Yorks. Hegedus und Pennebaker ikonisieren das Ereignis später mit ihrem Dokumentarfilm »Town Bloody Hall«. 50 Jahre später in Berlin – in einem Reenactment für die Theaterbühne kämpfen Saralisa Volm und RP Kahl als Germaine Greer und Norman Mailer gegen und miteinander und führen die Diskussion außerhalb ihrer Bühnenrollen gemeinsam mit Luise Helm, Heike-Melba-Fendel und Céline Yildirim weiter. (Quelle: Filmfest Oldenburg 2021)

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