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Darling der Woche

Darling der Woche: Sinema Transtopia

Ein Beitrag von Mathis Raabe

Das Sinema Transtopia in Berlin leistet wichtige Arbeit und bringt Filme und Perspektiven auf die Leinwand, die man sonst nicht sieht. Kino wird hier als Gemeinschafts- und als Diskursraum verstanden. Weil die neue Landesregierung Gelder gestrichen hat, ist dieser Raum gefährdet.

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Sinema Transtopia

Das Sinema Transtopia ist Teil von bi’bak (Türkisch: Schau mal), einem Verein in Berlin-Wedding, der laut Selbstbeschreibung zum Ziel hat, „transnationale, postkoloniale und postmigrantische Perspektiven aufzuzeigen“. Dies geschieht in Form von Workshops, Ausstellungen und eben auch Filmvorführungen. Der Kino-Arm ist seit der Gründung 2014 gewachsen. 2020 konnte das Sinema Transtopia eigene Räumlichkeiten beziehen, mit richtiger Kinotechnik – vorher projizierte man an eine weiße Wand im kleinen Projektraum.

Was bedeutet das nun, „transnationale, postkoloniale und postmigrantische Perspektiven“? Die Markenzeichen des Sinema-Programms: Filme von Regisseur*innen of Color, die in Deutschland gedreht wurden, und Filme aus dem globalen Süden, die durch eine Vorführung überhaupt erst in Deutschland sichtbar werden. Can Sungu und Malve Lippmann sind die Gründer*innen und auch für die Künstlerische Leitung verantwortlich.

Im Sinema werde Diversität vom Team übers Programm bis ins Publikum gelebt, sagt Sungu: „Auch die Kurator*innen nutzen das Sinema, um ihre Geschichten, ihre Anliegen auf die Leinwand zu bringen.“ Dass bestimmte Perspektiven es selten in Deutschland ins Kino oder in die Festival-Line-ups schaffen, sei auch ein Problem mangelnder Netzwerke. Das Sinema Transtopia kann solche Netzwerke aufbauen, aber auch schlicht ein Spielort sein.

Denn Spielorte mit vernünftiger Kino-Infrastruktur sind in Berlin aktuell Mangelware, selbst die Berlinale bekommt das zu spüren und musste in den letzten Jahren viel umziehen. Umso schwerer haben es dementsprechend das arabische Filmfestival ALFILM, das Kurdische Filmfestival Berlin oder das AFRIKAMERA. All diese Festivals haben dieses Jahr im Sinema Transtopia veranstaltet oder sollen noch dort veranstalten. Gerade Mitglieder transnationaler Communitys, die in Berlin leben, werden dadurch angesprochen. Wie oft bekommen etwa in Deutschland lebende Tibeter*innen die Gelegenheit, ein Festival des tibetischen Films zu besuchen, bei dem die Filme auch noch in Originalsprache gezeigt werden? In Berlin-Wedding gibt es Ende diesen Monats beim Tibet Film Festival diese Gelegenheit.

"Filmstill aus „Silent Holy Stones" von Pema Tseden"
Filmstill aus „Silent Holy Stones“ von Pema Tseden, aus dem Programm des Tibet Film Festival

Anfang des Jahres konnte das Sinema durch Unterstützung aus der öffentlichen Hand umziehen. Die neuen Räumlichkeiten zeichnen sich besonders durch den „Hane-Raum“ aus, wie es Can Sungu nennt. Hane ist Türkisch für „Raum“. Ein Raum-Raum? Durch diese Formulierung soll eine Flexibilität in der Nutzung ausgedrückt werden, sagt Sungu. Im Hane-Raum können Workshops stattfinden, es kann aber auch einfach ein Zusammenkommen bei einem Getränk stattfinden, um sich über den gesehenen Film und seine Themen, die das Publikum oft auch selbst betreffen, auszutauschen. „Wir wollen das Foyer nicht nur als Ort denken, wo man Popcorn kauft, sondern als lebendigen Raum, der den Diskurs erweitert“, sagt Sungu.

Dank der Förderung ist in der neuen Location auch Abspieltechnik für analoges Filmmaterial vorhanden. Das ist wichtig, weil das Programm des Sinema Transtopia Filme umfasst, die sonst bei der Kanonbildung und eben auch beim Erhalten und Archivieren von Filmen in Deutschland oft vergessen werden. Malve Lippmann spricht von „Filmen, die zwischen die Stühle gefallen sind“: In Deutschland gedrehte Filme nicht-deutscher Filmemacher*innen seien oft nicht zur Restaurierung zugelassen.

„Das Team muss deutsch sein, die Sprache muss Deutsch sein. Das sind die Kriterien, nach denen entschieden wird, ob ein Film würdig ist, restauriert zu werden. Wir stellen das in Frage. Diese Filme sind für Deutschland relevant, weil sie deutsche Geschichte thematisieren, weil sie das Leben migrantischer Gruppen in Deutschland thematisieren. Das ist Teil deutscher Erinnerungskultur und sollte mit aufgenommen werden in den Diskurs.“

- Malve Lippmann

Ein Beispiel, das zeigt, was das Sinema bereits anstoßen konnte: Der türkische Film Kara Kafa von Korhan Yurtsever zeigt das Leben der nach Deutschland emigrierten Familie eines Metallarbeiters. In der Türkei wurde er nach seiner Fertigstellung 1980 verboten: Er verletze „die Ehre Deutschlands, der befreundeten Nation“, so das Zensurkomitee. In Kooperation mit dem Kino Arsenal konnte der Film restauriert werden, die neue Version hatte dieses Jahr auf der Berlinale Premiere.

"Filmstill aus „Kara Kafa" von Korhan Yurtsever"
Filmstill aus „Kara Kafa“ von Korhan Yurtsever

Der Umzug des Sinema war motiviert und ermutigt durch die Ausschreibung einer vierjährigen Konzeptförderung durch den Berliner Senat. Nun ist der Regierungswechsel dazwischengekommen. Vom neuen CDU-geführten Berliner Senat wurde die Ausschreibung gestrichen. Malve Lippmann glaubt daran, dass der neuen Regierung schlicht nicht bewusst war, wie existenziell dieses Geld für Räume wie das Sinema ist, deren Erhalt man sich eigentlich im Koalitionsprogramm auf die Fahnen geschrieben habe. Durch einen Offenen Brief soll nun darauf aufmerksam gemacht werden, in der Hoffnung auf eine Korrektur des Haushaltsplans.

„Das Modell, das wir anbieten könnte ein zukunftsweisendes Modell sein“, sagt Lippmann. „Weil es eben nicht nur darum geht, die neusten Filme abzuspielen, sondern diesen Diskursraum anzubieten, in dem Leute sich wiederfinden.“ Ein solches Programm zu kuratieren, bedeutet aber viel Arbeit und Hingabe. Hier läuft sechs Tage die Woche jeden Abend ein anderer Film, fast immer mit Einführung, Gästen und anschließendem Gespräch. Das bedeutet auch, dass das Programm eben nicht so kuratiert wird, dass man Kasse macht. Ein derartiges Programm braucht öffentliche Förderung.

Auf der Website des Sinema Transtopia kann man den offenen Brief an die Berliner Regierung unterzeichnen.

Diesen Monat läuft noch die Reihe „Fiktionsbescheinigung“, die sich explizit den oben genannten Leerstellen im deutschen Filmkanon widmet. Das Tibet Film Festival findet am 29. und 30. September statt und zeigt unter anderem einen Film des dieses Jahr gestorbenen Filmemachers Pema Tseden.

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