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Couch-Perle: New Jack City

Ein Beitrag von Mathis Raabe

Bei der diesjährigen Verleihung der Grammy-Musikpreise wurde ein großes „50 Jahre HipHop“-Medley aufgeführt. Dazu gehörte ein Song aus dem Soundtrack von New Jack City. Zu Recht: Der Gangsterfilm ist sehr einflussreich für die HipHop-Kultur. Ein guter Anlass für ein Wiedersehen auf der Couch.

Meinungen
New Jack City
Gangsterboss Nino (Wesley Snipes) und seine Cash Money Gang

„Am I my brother’s keeper?“ Dieses Bibelzitat taucht in „New Jack City“ wiederholt auf und meint nicht nur Blutsverwandtschaft. Der Film von 1991 ist der Ära des New Black Cinema zuzuordnen und beschäftigt sich aus der Perspektive der Schwarzen Community in Harlem mit der Zeit der Crack-Epidemie.

Auf der einen Seite stehen Figuren, die keine andere gesellschaftliche Aufstiegsmöglichkeit sehen als das Drogengeschäft. „You gotta rob to get rich in the Reagan era“, sagt Gangsterboss Nino, gespielt von Wesley Snipes. Ihm gegenüber stehen zwei Cops, gespielt von Ice-T und dem Regisseur des Films Mario Van Peebles, aber auch große Teile der Menschen im Viertel, die verurteilen, dass Nino das Zeug unter die Brüder und Schwestern bringt und seine eigene Community krank macht.

Die politische Ebene des Films kann aus heutiger Sicht irritierend wirken. Der Film schafft es zwar besser als manch anderes Gangsterkino, seinen Drogenbaron nicht zu glorifizieren, geht damit aber teilweise zu weit. Systemursachen werden nur oberflächlich angeschnitten: dass die Verbreitung von Crack vor allem unter Afroamerikaner*innen mit deren ökonomischer Verdrängung und Ghettoisierung zu tun hatte, oder dass der „War on Drugs“ unter Präsident Reagan kaum Drogentote verhinderte, sondern vor allem viele Schwarze Menschen ins Gefängnis steckte. Stattdessen positioniert sich New Jack City gegen die Schwarzen Drogendealer, und die Community selbst soll das Problem in die Hand nehmen, notfalls durch Selbstjustiz. „Am I my brother’s keeper?“ Die Antwort des Films scheint ein klares Ja zu sein.

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Davon abgesehen, ist New Jack City aber ein spannendes Beispiel für einen Blaxploitation-Gangsterfilm, der nach Scarface entstanden ist, und der spürbar versucht, auf den De-Palma-Klassiker noch eine Schippe Härte und Realismus draufzusetzen. So spielt zum Beispiel der junge Chris Rock einen Crack-Junkie, der als Spitzel eingesetzt wird. Dessen Sucht sieht sehr viel weniger glamourös aus als die Koksberge als Tony Montanas Schreibtisch. Vor allem aber ist der Film ein Zeitdokument, mit einem tollen Soundtrack und großem Einfluss auf die HipHop-Kultur.

Der Titel bezieht sich auf das Genre New Jack Swing, eine HipHop- und R’n’B-Ästhetik, die ihren Wiedererkennungswert vor allem aus dem Sound der Drum Machines der Zeit und ihren synkopierten, Funk-beeinflussten Rhythmen bezieht. Teddy Riley, der den New Jack Swing maßgeblich prägte, produzierte in diesem Stil unter anderem das legendäre Michael-Jackson-Album „Dangerous“ – im selben Jahr, in dem auch New Jack City erschien. Mit seiner Gruppe Guy steuerte auch Riley höchstpersönlich den Titelsong zum Soundtrack bei. Auch Rap-Klassiker von unter anderem Queen Latifah und der 2 Live Crew sind zu hören. Ein Highlight ist eine zehnminütige Partyszene, in der Musik und Tanz lange ausgespielt werden, bevor es doch in einer Schießerei endet. Die HipHop-Kultur hat sich dafür bei New Jack City revanchiert: Das Label Cash Money Records, das zeitweise Drake, Nicki Minaj und Lil Wayne zu seinem Roster zählte, ist nach Ninos Gang Cash Money Brothers benannt. Lil Waynes Reihe von Alben mit dem Titel „Tha Carter“ ist benannt nach dem Hauskomplex, in dem die Gang im Film ihren Geschäften nachgeht. Als erst vor einer Woche bei der Verleihung der Grammys ein Ensemble alter und neuer Rapper*innen ein großes „50 Jahre HipHop“-Medley aufführte, war auch Ice-T mit einer Performance von „New Jack Hustler (Nino’s Theme)“ dabei.

Trotz einiger streitbarer Entscheidungen ist New Jack City ein unterhaltsamer Gangsterfilm und ein wichtiges Zeitdokument. Vor allem wegen seines Standings in der afroamerikanischen Kulturgeschichte lohnt es sich, mit diesem Film einen Abend auf der Couch zu verbringen.

New Jack City ist bei den gängigen VoD-Anbietern zur Leihe verfügbar.

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