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Nachflimmern: Blow Out

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Als „Blow Out“ damals in die Kinos kam, waren die Reaktionen eher verhalten. Mittlerweile gilt der Film als Kultfilm. Womöglich ist der Thriller mit John Travolta auch DAS Meisterwerk von Regisseur Brian De Palma. Sebastian Seidler lässt den Film nachflimmern.  

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Blow_Out
Blow Out

Jede Woche erscheinen auf den bekannten Streaming-Plattformen Unmengen von Filmen. Wir können uns vor Geschichten, Filmen und Serien, ja vor Bildern gar nicht mehr retten. Doch wenngleich es so scheint, als wäre alles nur einen Klick entfernt, gibt es am Rande dieser Masse immer noch Filme, die kurz vor dem Vergessen stehen und dabei so schön hell und verlockend flimmern. „Blow Out“ gilt mittlerweile als Kultfilm. Auch weil sich Regisseure wie Quentin Tarantino auf ihn beziehen. Dabei ist der Thriller von Brian De Palma so viel mehr und vor allem eine komplexe medienphilosophische Reflexion. Und der Filmemacher weit mehr als ein bloßer Wiedergänger des großen Alfred Hitchcock.

Wer zum ersten Mal Blow Out sieht, muss unweigerlich irritiert sein: Man wähnt sich nämlich in den ersten Minuten in einem billigen Slasher, der mit seiner aufdringlichen Steadicam-Ästhetik deutlich auf Carpenters Halloween verweist. Wie so oft in den Filmen von Brian De Palma ist die Hommage gleichzeitig ein Zitat und eine Persiflage. Wenn sich der amerikanische Filmemacher über etwas lustig macht – wie über die konstruierten Plots bei Hitchcock in Der Tod kommt zweimal –, dann drückt er darin auch allergrößte Wertschätzung aus. So findet sich die Anmutung von sleazy Low-Budget-Filmen in vielen seiner Filme wieder. Nun aber lässt er einen Thriller über einen Tontechniker (John Travolta), der aus Zufall einen Mord mithört, mit einem Horrorfilm – einem Film im Film – beginnen? 

© Viscount Associates

De Palma eröffnet hier eine Klammer, die er erst am Ende des Films auf erschreckende Weise schließen wird. Zunächst dient diese Sequenz als ziemlich clevere Charakterisierung der Hauptfigur: Jack sitzt mit dem Regisseur des eben gesehenen Films im Schneideraum. Ausgerechnet der finale Todesschrei der Schauspielerin ist nicht zu gebrauchen. Ebenso klingt der Wind reichlich abgestanden. Also muss der talentierte, aber antriebslose Toningenieur hinaus in die Nacht und neue Geräusche finden. Natürlich nicht den Schrei. Darum kümmert sich der Regisseur selbst, der neue Kehlen für den Klang des Todes anhören wird. 

Jack steht auf einer Brücke und hält das Richtmikrofon in die Dunkelheit. Was dann folgt, ist eine der besten Szenen der Filmgeschichte, in der es Brian De Palma gelingt, das Visuelle durch die Verschaltung der Bilder zum Verschwinden zu bringen. Oder anders: Durch die Montage visualisiert er das Hören. Wir hören: das Rauschen der Blätter. Das Bild springt in einem Dreischritt zurück. Jack wird zu einem kleinen Punkt, während sich die Äste eines Baumes in den Vordergrund des Bilds drängen. Sowohl Vordergrund als auch Hintergrund sind scharf – das Bild eine ebene Fläche, in der die Punkte des Hörens durch das Geräusch verbunden werden. Von den Blättern des Baumes zu Jack wird eine „Linie“ durch das Geräusch gezogen, die entgegen der Montage-Richtung verläuft. Dieses Spiel wird sich mehrmals wiederholen: Ein Pärchen beim Turteln, ein Frosch und eine Eule. Immer das gleiche Spiel, die identische Form. 

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De Palma erzeugt mehrere Dinge gleichzeitig. Die Komplexität dieser auf den ersten Blick einfachen Szene ist atemberaubend. Zunächst: Durch das Zusammenspiel aus Montage und Sound ergibt sich eine Form des Bildes, in der es in der Tat um das reine Hören geht. Zwar sehen wir weiterhin – wir schließen ja nicht die Augen –, doch tritt der Sehsinn in den Hintergrund.

Poetisch ausgedrückt beginnen wir, mit den Augen zu hören, sehen den Prozess des Hörens, in dem es keine Hierarchie gibt. Der Hörsinn ist ein passiver Sinn. Das alltagssprachlich gerne verwendete „Hör doch mal weg“ gibt es nicht. Ein Geräusch ist da, es drängt an das Ohr. Uns bleibt nur das Zuhalten der Ohren, das Verstopfen des Gehörgangs, wie Odysseus, als er die Sirenen passiert. Wir können Geräusche allerdings als selbstverständlich nehmen, den Lärm der Stadt nicht mehr wahrnehmen, weil wir ihn kennen. Erst, wenn wir darauf aufmerksam gemacht werden, kommt er wieder zum Bewusstsein. De Palma entreißt seinen Filmbildern das Selbstverständliche, und wir sehen, wie jemand hört – erfahren es.

© Viscount Associates

Dann erzählt De Palma über diese Bilder von einer fehlenden Entsprechung. Jack hört ein seltsames Geräusch, das sich später als das Herausziehen des Würgedrahts aus der Armbanduhr des Killers herausstellen wird. Noch aber wissen wir, weiß Jack nichts: Es handelt sich um eine Leerstelle, die ein Geheimnis in den Film einwebt: Während zum Bild der schreienden Frau kein passender Ton vorhanden ist, gibt es hier nun kein visuelles Gegenstück. Denn was der Film uns zeigt, das ist vor allem das auditive Bildgedächtnis von Jack; dieses kommt hier an eine Grenze.

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Vom Versuch, Bild und Ton zur Übereinstimmung zu bringen, davon wird dann Blow Out in der Folge handeln. Ein Auto rast heran. Der Reifen platzt und der Wagen kommt von der Straße ab und geht im See unter. Jack wird die Prostituierte Sally (Nancy Allen) aus dem Wasser ziehen. Der kommende Präsidentschaftskandidat George McRyan kommt ums Leben. Noch ahnt Jack nicht, dass es sich hierbei um einen Mord, um eine politische Verschwörung handelt. Erst als er seine Aufnahmen von der Nacht abhört, wird er durch ein Geräusch irritiert: Geht dem Geräusch des platzenden Reifens ein Schuss voraus? Im Verlauf seiner eigenen Ermittlungen wird sein eigenes Leben zerstört: Er wird den Schrei nicht mehr ertragen können, den er tatsächlich gefunden hat; den Schrei für den billigen Horrorfilm. Es ist Sally, deren Todeskampf unfreiwillig aufgenommen wurde.

That’s a scream. A good scream. Die Wirklichkeit zerreißt die Fiktion des Horrorfilms. Kino ist grundsätzlich Illusion. Sie kann für einige aber alles bedeuten. De Palma lässt seinen Film im düsteren Zynismus enden: Diese Welt ist am Ende. Die Fiktion der Politik hat über das Grauen der Wahrheit gesiegt. 

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